Reportage 50 Jahre Luftrettung in Deutschland: Die Helden der Lüfte aus Oppin

19. März 2023, 20:10 Uhr

Auf dem Gelände der Deutschen Luftrettung DRF bei Oppin im Saalekreis ist fast alles rot-weiß. Die Mitarbeiter-Klamotten, Wände und Türen und natürlich die zwei Rettungs-Helikopter "Christoph Halle" und "Christoph Sachsen-Anhalt". Ein kleiner Anteil dessen, was den Stolz der DRF auf 50 Jahre Luftrettung sichtbar werden lässt. Seit über 30 Jahren auch vom Standort Oppin aus. Ein Blick hinter die Kulissen der Firma, die nach dem ADAC der größte nicht-kommerzielle Luftrettungsdienst Deutschlands ist.

Ein Mann mit Brille und blauem Sacko lächelt in die Kamera.
Bildrechte: MDR/Gaby Conrad

Kurz nach halb neun geht der Alarm für die Tagschicht zum ersten Mal los. Ein Kind hat gesundheitliche Probleme. Pilot, Notfall-Sanitäter – in der Luftrettung dank einer Spezialausbildung HEMS TC genannt – und Notarzt schlüpfen in ihre Jacken, setzen sich im Lauf ihre weißen Helme auf, in die Kopfhörer und Mikrofone integriert sind. So bleibt die Crew im Lärm des Helis untereinander – und mit der Flugsicherung und der Rettungsleitstelle verbunden.

Während der Notfall-Sanitäter schnell die Boden-Elektrik aus dem Heli zieht, läuft hörbar die Turbine an. Der Rotor beginnt sich zu drehen, schneller und schneller. Nachdem der Notarzt in den Hubschrauber gesprungen ist, schließt er die Tür. Der Lärm wird ohrenbetäubend. "Christoph Halle" hebt ab. Keine zwei Minuten sind seit dem Alarm-Piepsen der Handys vergangen. Perfekte Zeit.

HEMS TC – der Notfall-Sanitäter im Luftverkehr HEMS TC steht für "Helicopter Emergency Medical Service Technical Crew Member". Es bezeichnet die Zusatzausbildung des Notfallsanitäters, der im Rettungshubschrauber eingesetzt wird. Er hilft nicht nur am Boden gemeinsam mit dem Notarzt Menschen in medizinischen Notlagen - sondern unterstützt auch den Piloten bei der Navigation und der Überwachung des Luftraums, etwa bei Hindernissen oder querenden (Sport-)Flugzeugen. Das HEMS unterstützt auch den Funkverkehr.

"Modernster Rettungshubschrauber der Welt"

In Oppin sind gleich zwei Rettungshubschrauber stationiert. Eine Besonderheit, wie es sie so in Deutschland nur noch an zwei weiteren Standorten gibt. Während "Christoph Halle" im Einsatz ist, steht sein großer Bruder blitzeblank geputzt auf der Wiese. "Christoph Sachsen-Anhalt" – der Stolz der Station.

Luftrettung in Sachsen-Anhalt

In Sachsen-Anhalt gibt es insgesamt drei Rettungshubschrauber. Zwei stehen in Oppin, nämlich "Christoph Halle", der von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang fliegt und der größere und modernere "Christoph Sachsen-Anhalt", der dank Instrumentenflugausrüstung und Mega-Scheinwerfer auch nachts fliegt. Beide Helis fliegen Einsätze insbesondere in den Landkreisen Anhalt-Bitterfeld, Wittenberg, Saalekreis, Burgenlandkreis, Salzlandkreis und Mansfeld-Südharz. 

Am Städtischen Klinikum in Magdeburg ist "Christoph 36" stationiert. Er fliegt neben Magdeburg selbst in den Landkreisen Börde, Harz, Jerichower Land, sowie im Altmarkkreis Salzwedel und dem Landkreis Stendal. Für Überführungsflüge oder in besonderen Notfällen fliegen die Hubschrauber auch in andere Bundesländer. Alle Rettungshubschrauber in Deutschland heißen "Christoph" – in Erinnerung an den Heiligen Christopherus, der nach katholischer Lesart der Schutzpatron der Reisenden ist.

"Die Hubschrauber des Typs "Christoph Sachsen-Anhalt", wie wir sie bei der DRF fliegen, sind die modernsten Rettungshubschrauber der Welt", sagt Pilot Thorsten Schramm und bekennt, dass ihn das bei aller Routine durchaus stolz macht. Zwei Triebwerke mit über 800 PS geben die nötige Kraft auf die Rotoren, sodass der Heli inklusive Crew schnell und mit einer beeindruckenden Wendigkeit wenige Minuten nach dem Alarm am Einsatzort sind. 300 Liter Kerosin verbraucht die Maschine in der Stunde.

Fliegende Intensivstation

"Wir sind eine fliegende Intensivstation", sagt Schramm, wobei er ergänzt: "Wir können medizinisch am Ende auch nicht mehr, als die Kollegen auf dem Boden – im Zweifel sind wir aber schneller." Dass es bei Rettungseinsätzen mit dem Heli zwangsläufig mehr um den Tod, als ums Leben geht, ist dabei ein verbreiteter Irrglauben.

HEMS TC Nico Hiller, ebenfalls angestellt bei der DRF, erzählt: "Wir sind oftmals auch reine Notarzt-Zulieferer. Bei der Leitstelle wird geprüft, wie der Notarzt am Schnellsten zum Einsatzort kommt. Und wenn wir das sind, dann landet der Alarm bei uns – auch wenn es letztlich um einen gebrochenen Arm geht." Notarzt Moritz Heinen ergänzt: "Grundsätzlich sind wir aber so ausgestattet, geschult und vorbereitet, dass wir jederzeit schwerstkranke oder schwerstverletzte Patienten versorgen und ins nächst gelegene Krankenhaus bringen oder in bestimmte Spezialkliniken überführen können."

Heinen ist beim Klinikum Bergmannstrost in Halle angestellt und teilweise für die Luftrettung abgestellt. Er ist dabei wie alle Notärzte auf Rettungshubschraubern Anästhesist, also Narkosearzt. "Was viele nicht wissen ist, das dies die Disziplin ist, die bei Notfällen am meisten gebraucht wird. Hier geht’s um die Überwachung und Aufrechterhaltung von lebenswichtigen Funktionen – oft auch im Zusammenhang mit Schmerzreduktion."

Klinikum Bergmannstrost, Halle
Notarzt Moritz Heinen arbeitet hier im Klinikum Bergmannstrost in Halle. Bildrechte: imago images / Steffen Schellhorn

Expertise statt Emotionen

Leid im Helikopter auf engstem Raum mitzubekommen, fällt ihm besonders dann nicht leicht, wenn es um Kinder geht. "Aber natürlich versuchen wir so wenig wie möglich mit nach Hause zu nehmen und nach Einsätzen einen Haken dran zu machen. Auch im Einsatz selbst geht es darum, medizinische Expertise abzurufen zum Wohle der Patienten – und Emotionen draußen zu lassen."

Eine Arbeit, die durchaus geschätzt wird. Von Angriffen, wenn die Teams sprichwörtlich auf dem Boden der Einsatz-Tatsachen landen, weiß man in Oppin nichts zu berichten. Vielmehr käme es schon vor, dass Patienten sich nach den Flügen nochmal melden und sich bedanken. "Manche kommen erst nach vielen Jahren und sagen, sie seien jetzt erst bereit, sich nochmal den Hubschrauber anzuschauen und über die Situation damals zu reden. Viele bringen Süßigkeiten mit, die sind gerne gesehen. Nur nicht bei den Piloten, kurz bevor sie zum Fliegerarzt müssen", lacht Nico Hiller.

"Wir greifen alle ineinander wie Zahnräder"

Überhaupt wird viel gelacht in den gemütlichen Aufenthaltsräumen der Station, in der neun Notfall-Sanitäterinnen und Notfall-Sanitäter und 13 Pilotinnen und Piloten ihren Dienst tun – dazu kommen die Notärzte, die aber nicht bei der DRF angestellt sind. Ob es Kabbeleien gibt, wer der "coolste" im Team ist? Nein, sagt Duncan Harrison, der vor einigen Jahren der Liebe wegen sein Heimatland Neuseeland für den Pilotenjob in Sachsen-Anhalt verlassen hat. "Wir greifen alle ineinander wie Zahnräder in einem Uhrwerk."

Wertschätzung untereinander – und auch nach draußen: "Besonderen Respekt habe ich vor den Freiwilligen Feuerwehren im Land, die uns etwa in der Nacht die Einsatzstellen ausleuchten. Im Gegensatz zu mir bekommen die für ihren Nachtdienst kein Geld – und die stehen dennoch nachts um 1:00 Uhr auf – auch wenn der Wecker um 5:00 Uhr wieder zum Broterwerb klingelt", sagt Thorsten Schramm.

Bleibt die Luftrettung in Oppin?

2.055 Einsätze ist das Team im Jahr 2022 geflogen, im Schnitt sechs pro Tag. Tendenz steigend. "Das hat damit zu tun, dass sich die Krankenhausstruktur verändert, wie etwa in Hettstedt, wo die Notaufnahme geschlossen hat", sagt der Pilot, der auf 7000 Stunden in der Luft zurückblickt.

In diesem Jahr läuft die Luftrettungs-Konzession für die DRF am Standort Oppin turnusgemäß aus, weitere Mitbewerber können sich bewerben. Schramms Hoffnung ist jedoch, dass auch weiterhin die rot-weißen Helis der DRF an dem kleinen Flugplatz im Saalekreis abheben. Einen Wettbewerbsvorteil sieht er wieder beim Fluggerät und der Ausbildung. "Die Luftrettung in der Nacht wird weiter wachsen und da sind wir führend. Wir fliegen nachts mit zwei Piloten, der Sicherheit wegen."

Unterschiede zwischen Tag- und Nacht-Einsätzen

Alle sind auf Instrumentenflug geschult – haben also gelernt, sich nicht nur auf die Augen verlassen zu müssen. "Und wir haben unser Laserschwert", sagt Schramm und deutet augenzwinkernd einen dicken Knubbel an den Kufen des Hubschraubers. "Das ist ein ultrastarker Scheinwerfer, mit dem wir uns nachts selbst die Einsatzstelle erhellen können, wenn wir vor der Feuerwehr da sind. Wir können den Lichtkegel aber auch ganz schmal führen und dann unkt die Leipziger Tower-Crew gerne mal, wir hätten unser Laserschwert an." 

Nachts sind auch die Reaktionszeiten andere als am Tag. Während vom Alarm bis zum Abheben am Tag nur zwei Minuten vergehen dürfen, sind es in der Nacht fünfzehn. "Da muss erst noch das Wetter gecheckt werden, im Winter muss der Heli auch erst aus dem Hangar geschoben werden", erklärt Schramm und fügt nicht ohne Stolz hinzu. "Im Schnitt sind wir aber auch nachts nach acht Minuten in der Luft." Ausgestattet übrigens mit einem absoluten Sonderstatus in der Luftfahrt. "Wenn wir, wenn es um Leben und Tod geht, über den Flughafen Leipzig-Halle müssen, dann muss im Zweifel auch mal eine große Frachtmaschine nochmal durchstarten."

MDR (Marc Weyrich, Johanna Daher)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 18. März 2023 | 07:30 Uhr

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