Geringe Steuereinnahmen Bornstedt: Mit welchen Problemen Sachsen-Anhalts ärmste Gemeinde zu kämpfen hat

03. Februar 2022, 20:00 Uhr

Die Gemeinde Bornstedt im Landkreis Mansfeld-Südharz hat die geringsten Steuereinnahmen in ganz Sachsen-Anhalt. Manche Investition, die eigentlich dringend nötig wäre, muss deshalb auf die lange Bank geschoben werden. Bürgermeister Lars Rose verwaltet den Mangel und will seine Gemeinde trotzdem lebenswert gestalten. Ein Besuch.

Mehr als 1100 Jahre alt ist die Burg, die auf einem Hügel am Rande von Bornstedt im Landkreis Mansfeld-Südharz thront und die kleine Gemeinde wie eine Stecknadel auf der Landkarte markiert. Wer von hier oben über den Ort blickt, der sieht am Rand, wo die Häuser mit ihren braun, rot oder dunkelgrau gedeckten Dächern aufhören, keine Fabrikhallen oder Schornsteine, keine Einkaufszentren oder Autohäuser. Stattdessen: kilometerweite Felder, durchschnitten nur von schmalen Straßen und durchsetzt von rot blinkenden Windrädern.

Rund 800 Menschen leben in dieser ländlichen Idylle namens Bornstedt. Doch in den Büchern des Ortes sieht es alles andere als idyllisch aus: Bornstedt ist nicht nur die kleinste Gemeinde Sachsen-Anhalts, sondern auch eine der ärmsten. Gerade mal 316 Euro Steuerkraft pro Einwohnerin oder Einwohner erwirtschaftete Bornstedt im Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2019, so wenig wie keine andere Gemeinde landesweit. Zum Vergleich: In Lützen im Burgenlandkreis betrug die Steuerkraft im gleichen Zeitraum pro Einwohnerin oder Einwohner mehr als 7.000 Euro.

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Sparsam, aber trotzdem Loch im Haushalt

Lars Rose, im Hauptberuf Monteur, hat daher ein bisweilen undankbares Ehrenamt: Als Gemeindebürgermeister ist der SPD-Mann Mängelverwalter und Sparfuchs in Personalunion. Rose empfängt in der früheren Bornstedter Grundschule, die schon vor langer Zeit geschlossen wurde. Draußen bröckelt der Putz von den Wänden, drinnen riecht es nach Linoleum. Im Erdgeschoss ist neben Roses Büro heute auch eine Kita untergebracht. Das Obergeschoss steht leer, "dringend sanierungsbedürftig", sagt Rose – wie so manches in Bornstedt. Die Tische und Schränke in seinem Bürgermeisterbüro stammen zum Teil noch aus DDR-Zeiten.

Rund 267.000 Euro Steuereinnahmen hatte Bornstedt im Jahr 2019, kaum genug, um überhaupt die laufenden Kosten für Gerätschaften, Strom, Wasser und die Gemeindearbeiter zu decken. "Uns fehlen Jahr für Jahr mehr als 100.000 Euro im Haushalt", sagt Rose. Dabei sei man sparsam und werfe das Geld keineswegs mit offenen Händen zum Fenster raus. Selbst den kleinen Kipplader für die Gemeindearbeiter müsse man mieten, statt ihn zu kaufen.

Was ist die Steuerkraft?

Die Steuerkraft ist eine Kenngröße, um die finanzielle Potenz einer Stadt bzw. Gemeinde zu beurteilen. Sie errechnet sich, indem zur Realsteuerkraft einer Stadt/Gemeinde der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer und der Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer hinzugerechnet werden und die Gewerbesteuerumlage abgezogen wird.

Gerade erst hat die Gemeinde die Hundesteuer erhöht, auch die Steuerhebesätze wurden auf Druck der Kommunalaufsicht mehrmals angehoben. Doch es nützt alles nichts: "Wir wären niemals aus eigenen Mitteln lebensfähig, wir sind immer auf die Unterstützung des Landes angewiesen", konstatiert Rose.

Kein Gewerbegebiet, keine großen Unternehmen

Denn größere Unternehmen, die mit ihrer Gewerbesteuer das Gemeindekonto füllen könnten, gibt es im Ort nicht. Das sei früher anders gewesen, erinnert sich der Bürgermeister. Einst habe es acht Geschäfte in Bornstedt gegeben, vom Fleischer über den Konsum bis zum Textilgeschäft, außerdem zwei größere Handwerksbetriebe, einer davon mit 25 Angestellten. Dann kam die Wende, ein Laden nach dem anderen machte zu, die Handwerker gingen pleite oder in Rente. Heute arbeiteten im größten Betrieb des Ortes noch fünf Menschen, sagt Rose.

Wie berechnet sich das Steuerist?

Die Steueristeinnahmen werden aus der Summe der Grundsteuereinnahmen, dem Gemeindeanteil an der Einkommensteuer und dem Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer berechnet.

Nur sechs Kilometer sind es von Bornstedt bis zur A38, nach Halle und Leipzig dauert es mit dem Auto kaum länger als eine Stunde. Eine Anbindung, die für große Unternehmen durchaus interessant sein könnte – doch Bornstedt hat kein Gewerbegebiet ausgewiesen. Diese Entscheidung sei Anfang der 1990er Jahre getroffen worden, damals noch ohne sein Zutun, sagt Lars Rose, der seit 2008 Gemeindebürgermeister ist.

Unglücklich ist er darüber jedoch nicht: "Hätten wir damals für viel Geld ein Gewerbegebiet eingerichtet, hätten wir heute wahrscheinlich nur noch mehr Schulden", sagt er. Es gebe genug Beispiele von kleinen Gemeinden, die sich bei der Finanzierung von Gewerbegebieten verhoben hätten und bis heute vergeblich auf die Ansiedlung großer Unternehmen warteten.

Schlechte Aussichten für kleine Geschäfte

Der letzte Dorfladen in Bornstedt schloss vor ein paar Jahren. Seitdem laufe auch ihr Geschäft deutlich schlechter, erzählt Karin Herrmann, die seit 15 Jahren als Solo-Selbständige einen kleinen Blumenladen in Bornstedt betreibt. "Wenn die Leute eh in den Supermarkt fahren müssen, nehmen sie von dort die billigen Blumen mit", berichtet sie. Das einzige, was sie noch über Wasser halte, sei der Verkauf von Grabschmuck.

Wie viele im Ort wünscht sie sich einen neuen Dorfladen, der die Wirtschaft wieder ankurbeln könnte. Auch Bürgermeister Rose hätte den gern, doch die Gemeinde besitze keine geeignete Immobilie, die sie dafür zur Verfügung stellen könnte, sagt er. Der letzte Dorfladen wurde inzwischen zu Wohnungen umgebaut.

Vielerorts Investitionsbedarf

Gegenüber der alten Schule, in der heute Lars Roses Büro untergebracht ist, liegt die Bornstedter Turnhalle, in der unter anderem die Kunstradfahrerinnen und -fahrer von Blau-Weiß Bornstedt trainieren. Bernd Rinkleib ist ihr Abteilungsleiter in dem Sportverein. Er wünscht sich dringend ein neues Dach für die alte Halle. Immerhin: Teile des Gebäudes konnte die Gemeinde mithilfe von Fördermitteln, etwa vom Landessportbund, bereits sanieren. "Außerdem", sagt Rinkbein, "müssten die Gehwege im Ort dringend auf Vordermann gebracht werden, damit alte Leute mit Rollatoren sie benutzen können."

Bürgermeister Rose kennt diese Probleme, doch viel Spielraum hat er nicht. Gerade mal 35.000 Euro jährlich bekommt er als Investitionspauschale vom Land überwiesen, um etwa Sanierungsmaßnahmen zu finanzieren. "Bei den heutigen Preisen kommen Sie damit nicht weit", sagt er. Seit drei Jahren spart die Gemeinde bereits die Investitionspauschale, um damit eine Sanierung am Bornstedter Wahrzeichen, der 1100 Jahre alten Burgruine, zu finanzieren.

Bürgermeister setzt auf Eigeninititative und Zusammenhalt

Um einen neuen Dorfladen herzurichten, die Gehwege von Schlaglöchern und Unebenheiten zu befreien oder das Turnhallendach dauerhaft abzudichten, bleibt Rose nur die Hoffnung auf Fördermittel. Etwa zwei bis drei Anträge für solche Gelder stelle die Gemeinde pro Jahr, das sei jedes Mal mit viel bürokratischem Aufwand verbunden – und längst nicht immer von Erfolg gekrönt, berichtet der Bürgermeister.

Er setzt deshalb auch auf einen anderen Faktor: Den Zusammenhalt in der Gemeinde. Es gebe engagierte Vereine und Menschen in Bornstedt, die gemeinsam viel erreichen könnten, sagt Rose. Das beste Beispiel sei der neue Spielplatz vor der Turnhalle: "Wir sind losgelaufen, haben Spenden gesammelt, Sponsoren gesucht und den Spielplatz schließlich in Eigeninitiative zusammen mit dem Sportverein Blau-Weiß Bornstedt errichtet."

Und so hätten die klammen Kassen letztlich sogar eine positive Seite für die Gemeinde, findet der Bürgermeister: "Wenn wir so ein Projekt gemeinsam stemmen, schweißt uns das noch mehr zusammen." Rose jedenfalls will sich auch künftig der Aufgabe stellen, Bornstedt ohne viel Geld lebenswert zu gestalten. Am Sonntag stellt er sich zur Wiederwahl – ohne Gegenkandidaten.

Über den Autor Lucas Riemer arbeitet seit Juni 2021 bei MDR SACHSEN-ANHALT. Der gebürtige Wittenberger hat Medien- und Kommunikationswissenschaft in Ilmenau sowie Journalismus in Mainz studiert und anschließend mehrere Jahre als Redakteur in Hamburg gearbeitet, unter anderem für das Magazin GEOlino.

Bei MDR SACHSEN-ANHALT berichtet er vor allem über kleine und große Geschichten aus den Regionen des Landes.

MDR (Lucas Riemer)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | MDR SACHSEN-ANHALT | 04. Februar 2022 | 06:30 Uhr

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