Kraftgeber und Trostspender Besondere Erinnerungen: Schmuckstücke aus Haaren oder Asche von Verstorbenen

18. August 2024, 10:54 Uhr

Jens Kohl und Nicole Glowinski aus Halle-Seeben haben es sich zur Aufgabe gemacht, Erinnerungen an Menschen und Momente in Schmuckstücken zu verewigen. In ihrer Manufaktur für Erinnerungsschmuck fertigen sie Stücke, die schon deshalb Unikate sind, weil es weltweit nur einen einzigen Menschen geben kann, dem sie gewidmet sind. Aus einem persönlichen Wunschgedanken wurde ein junges Unternehmen.

MDR-SACHSEN-ANHALT-Reporterin Anja Nititzki
Bildrechte: Jürgen Lehmann

Nicole Glowinski trägt eine goldene Halskette. Der Anhänger ist kreisrund, schimmert glasklar, seine Oberfläche wölbt sich erhaben. Im Inneren des Schmuckstücks zeichnet sich die stilisierte Form eines Engels ab. Er ist aus Haaren ihres geliebten Vaters geformt und von einem Schatten aus winzigen Partikeln aus Graberde umgeben. Dieses war das erste Schmuckstück, was Nicole Glowinski zusammen mit ihrem Partner Jens Kohl gefertigt hat.

Die Geschäftsidee entwickelte sie vor drei Jahren aus eigenem Erleben heraus. Nicole Glowinski hatte ihren Vater verloren und während einer langen Krankheitsphase darüber sinniert, wie sie etwas Bleibendes von ihm schaffen und ihren Vater immer bei sich tragen könnte. Sie fing an mit verschiedenen Materialen zu experimentieren. So entstand ihr goldener Kettenanhänger, den sie bis heute nie abgelegt hat. "Es musste ein Engel sein", sagt sie, "weil mein Papa mit Nachnamen Engel hieß."

zwei Personen in einer Werkstatt
Jens Kohl und Nicole Glowinski fertigen in Halle ganz besondere Schmuckstücke aus Asche, Haaren oder Muttermilch. Bildrechte: MDR/Anja Nititzki

Epoxidharz konserviert Erinnerungen

Jens Kohl sitzt in der kleinen Werkstatt in Seeben, einem Stadtteil von Halle, und trägt Latexhandschuhe. Er öffnet ein kleines Päckchen aus Aluminiumfolie. Darin sind einige dunkelblonde Haare. Sie stammen von einem Verstorbenen und sollen in ein Schmuckstück eingefügt werden. Am Ende soll das kleine Medaillon aussehen wie eine wogende Blumenwiese. Mit der Pinzette nimmt er einige Haare aus dem Stapel und tränkt sie in Epoxidharz. So verkleben sie zu einem Bündel und lassen sich besser handhaben. Mit dem Skalpell schneidet er unter der Lupe die Haare auf die richtige Länge. Dafür braucht er eine absolut ruhige Hand.

"Beim ersten Mal war es schon komisch, Asche oder Haare eines Menschen anzufassen", erzählt Kohl. "Man muss beim Arbeiten ausblenden, was passiert ist, warum derjenige tot ist. Es geht am Ende darum, dass das Schmuckstück für die Hinterbliebenen schön sein muss." Das kreisrunde Medaillon trägt bereits die erste Schicht aus gefärbtem metallisch schimmernden Epoxidharz. Darauf platziert Jens Kohl jedes Haar einzeln. Aus den circa einen Zentimeter langen Stücken werden die Blumenstängel, aus den zwei Millimeter langen Fragmenten die Blätter.

Handarbeit
Für die Arbeit braucht es eine ruhige Hand. Bildrechte: MDR/Anja Nititzki

Feingefühl und ein ruhiges Händchen

Dann holt Jens Kohl sich mit feinen Werkzeugen, die aussehen wie aus der Zahnmedizin, winzige pinkfarbene Glitzerpartikel heran und formt daraus die Blütenkelche. Zum Schluss wird das Medaillon mit Epoxidharz aufgefüllt und unter UV-Licht gehärtet. "Das Schöne daran ist, dass es sehr stabil ist, dass es lange hält und extrem klar ist", sagt Kohl. Wie er es schafft das Harz einschluss- und blasenfrei hinzubekommen, bleibt sein Geheimnis.

Er hat alle Hände voll zu tun. Für seine Manufaktur sucht Kohl dringend Personal. Das können auch Quereinsteiger sein – wie Kohl selbst. Der kommt eigentlich aus der Immobilienbranche, Nicole Glowinski aus dem Vertrieb. Keiner der beiden hat das Goldschmiedehandwerk erlernt. Sie hatte eine Idee, er die ruhige Hand.

Perle mit Haar
In diesem Anhänger sind Haare verarbeitet. Bildrechte: MDR/Anja Nititzki

Das Geschäft mit Erinnerungen und Emotionen

Glowinski und Kohl sind sich der Verantwortung bewusst, die sie tragen, wenn ein Hinterbliebener ihnen Asche oder Haare des Verstobenen zur Verarbeitung überlässt. Nichts darf schiefgehen, schließlich gibt es nur sehr wenig von den Materialien. "Den Leuten ist das sehr wichtig. Es ist alles komplett dokumentiert und beschriftet. Bei uns wird nichts vertauscht. Es gibt für jeden eine Garantieurkunde in der steht, von wem welches Material verwendet wurde", sagt Nicole Glowinski, die ihren Partner, der mittlerweile Geschäftsführer der kleinen Firma ist, berät und unterstützt.

Beide freuen sich über Feedback: "Ein Paar hat uns Bilder aus Mailand geschickt, wo beide ihre Kettenanhänger mit Erinnerungsstücken darin dabei hatten. Auf diese Weise haben sie noch einmal die letzte Reise mit ihren Lieben gemacht." Sie erzählt auch von einer Tochter, die mit ihrem Erinnerungsschmuck durchs Brandenburger Tor in Berlin ging. Auf diese Weise konnte sie dieses Erlebnis mit ihrem bereits verstorbenen Vater teilen. Zu Lebzeiten hatten sie es nicht gemeinsam geschafft.

Handschmeichler mit Asche
Mit Epoxidharz lassen sich fast alle Materialen in einem Schmuckstück verarbeiten. Bildrechte: MDR/Anja Nititzki

Blut, Muttermilch, Milchzähne – alles ist möglich

Mit Epoxidharz lässt sich fast alles machen, erzählen Glowinski und Kohl. Nicht nur Erinnerungsschmuck. So haben Sie schon Blut in Herzform in Epoxidharz gegossen, Muttermilch, die erste Locke eines Neugeborenen, Sand aus dem Kennenlernurlaub am Meer oder auch ein Blütenblatt aus dem Brautstrauß in Schmuck verwandelt. "Und manchmal kommen die Mädchen vom Pferdehof aus der Nachbarschaft und klingeln an der Werkstatt, weil sie ein kleines Andenken an ihr Pferd haben wollen", erzählt Nicole Glowinski.

Erinnerungsschmuck aus Tierhaar bieten mehrere Manufakturen in Deutschland an. Für Schmuck, der an Verstorbene erinnern soll, gibt es nur wenige Anbieter. "Aber die haben den Vertriebsweg über die Bestatter noch nicht für sich entdeckt", erzählt Nicole Glowinski. Darin sehen die beiden ihr Geschäftspotential. In Sachsen-Anhalt hat sie die Bestatter-Innung wohlwollend unterstützt. Aktuell haben die beiden bereits 100 Bestattungshäuser gewinnen können, die beim Trauergespräch mit ihren Kunden auch den Erinnerungsschmuck anbieten.

Zusammenarbeit mit Bestattern

Die Nachfrage nach Erinnerungsstücken jeder Art ist gestiegen, sagt Bestattermeister Robert Wermann aus Halle. Viele entscheiden sich für ein Schmuckstück mit ein wenig Asche des Verstorbenen darin. In Sachsen-Anhalt gibt es eine kleine Grauzone, die es erlaubt, Teile der Asche zu entnehmen, verrät Wermann. Denn dies sei im Gesetz über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen nicht ausdrücklich verboten.

"Es kommt darauf an, was die Kunden wollen: Asche, Haare, Fingerabdrücke. Je nachdem suchen wir dann gemeinsam ein entsprechendes Schmuckstück aus und übergeben die Bestellung an den Hersteller aus Seeben", sagt der Bestatter. Die beiden Kreativen sind ein wenig traurig, dass sie die Freude der Kunden über ihr persönliches Unikat bei der Übergabe nicht miterleben dürfen. Denn das Aushändigen übernimmt der Bestatter.

MDR (Anja Nititzki, Fabienne von der Eltz)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 16. August 2024 | 19:00 Uhr

404 Not Found

Not Found

The requested URL /api/v1/talk/includes/html/b3b9bc2d-1c35-42d5-ac45-b334aa8e268d was not found on this server.

Mehr aus dem Raum Halle und Leipzig

Szene aus Livestream MDR-Fernsehen 3 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Mehr aus Sachsen-Anhalt