Analyse Rechtsextremist Sven Liebich und die Justiz

13. Juni 2024, 17:37 Uhr

Am Donnerstag startete ein neuer Berufungsprozess gegen den Rechtsextremisten und Provokateur, Sven Liebich. Ihm droht eine Haftstrafe. Es ist nicht der erste Prozess – und wird auch nicht der letzte sein. Doch welchen Effekt haben die Prozesse auf Liebich und sein Handeln? Eine Analyse.

Thomas Vorreyer
Bildrechte: MDR/Luca Deutschländer

Den wunden Punkt sprach Sven Liebich selbst an. Die Staatsanwaltschaft Halle habe über die Jahre so viele Verfahren gegen ihn eingestellt, da habe er irgendwann gedacht, er sei im Recht. So zumindest argumentierte der bekannte Rechtsextremist am Donnerstag vor dem Landgericht Halle.

An sechs Tagen soll dort ein Prozess neu aufgerollt werden, der vor dem Amtsgericht Halle mit einem Schuldspruch geendet war: anderthalb Jahre ohne Bewährung, unter anderem für Volksverhetzung und üble Nachrede.

Erste Haftstrafe für Liebich

Nach mehr als 300 Ermittlungsverfahren gegen Liebich, nach einigen Geld- und Bewährungsstrafen, war es die erste Haftstrafe für ihn. Er selbst ging dagegen in Berufung, die Staatsanwaltschaft auch. Sie hatte ursprünglich zwei Jahre Haft gefordert.

Zum Prozessauftakt wurden Videos abgespielt. Sie zeigen das Bild, das jahrelang Halles Innenstadt geprägt hat. Liebich, wie er auf dem Markt steht, erst zu seinen Zuschauern im Internet-Livestream spricht, dann zu den Passanten auf dem Markt. Wie er schreit und über andere Menschen herzieht.

Zahlreiche Verfahren in Vergangenheit eingestellt

Die Liste jener Menschen, die Liebich dabei markiert hat, ist lang: Es sind jüdische, queere und schwarze Menschen, Politiker, Journalistinnen, Aktivistinnen, Mitarbeiter der Behörden. Die Richterin liest im Saal Obszönitäten vor, die Liebich über ältere Aktivistinnen und Geflüchtete verbreitet hatte.

Wer Ziel dieser Attacken wurde, musste in der Vergangenheit mitunter ein Verfahren erzwingen, um zu seinem Recht zu gelangen. So auch eine jetzt betroffene Aktivistin. Denn die Staatsanwaltschaft Halle stellte Dutzende Verfahren ein. Bei der schwierigen Abwägung, wo die Grenzen der Meinungsfreiheit liegen, entschied sie oft im Zweifel für Liebich, zu oft aus Sicht von Betroffenen und Beobachtern. Liebich, so schien es, wurde lange kein Einhalt geboten.

Liebich ist auf Bewährung

Doch mittlerweile sammeln sich die Verurteilungen. Liebich ist auf Bewährung. In den Schuldsprüchen geht es um Körperverletzung, Verleumdung von Personen des politischen Lebens, Volksverhetzung, Beleidigung, üble Nachrede und die Beschimpfung von religiösen Bekenntnissen. Ein Richter nannte Liebich mal einen Überzeugungstäter.

Am Donnerstag gab er sich ruhig vor Gericht. Liebich bekannte sich zu allen Taten, bestritt aber strafbare Absichten. Wieder einmal stellte er die Verfahren gegen sich womöglich vom Verfassungsschutz orchestriert dar. Dessen Präsident in Sachsen-Anhalt hatte vor vier Jahren davon gesprochen, dass der Rechtsstaat den Rechtsextremisten Liebich in die Schranken weisen müsste.

Der Angeklagte Sven Liebich bei der Personenkontrolle vor dem Gerichtssaal im Landgericht Halle.
Liebich wurde in erster Instanz zu einer Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Bildrechte: picture alliance/dpa | Heiko Rebsch

Ob das so einfach geht, diese Frage stellt sich nun wieder. Die Vorsitzende Richterin befragte Liebich am Donnerstag länger, warum er einige der Taten begangen hatte, obwohl er da bereits in gleich zwei Verfahren der Volksverhetzung schuldig gesprochen war. "Wie wäre es denn gewesen, dann nicht mehr so in der Öffentlichkeit aufzutreten?", fragte sie.

Liebich berief sich auf das Versammlungsrecht, das auch ihm zustehe, und dass er erst später erkannt haben will, dass er sich "auf Glatteis" bewege. Die Urteile seien auch nicht rechtskräftig gewesen. Seine Aussagen passen zu den Provokationen aus früheren Verfahren. Ob sie glaubwürdig und glaubhaft sind, muss das Gericht bewerten.

Mögliche Prozess-Taktik

Sven Liebich war in den Neunziger und frühen 2000er Jahren ein wichtiger Neonazi in Halle. Schon damals beschäftigte er die Justiz. Dann zog er sich zeitweise zurück. Vor rund zehn Jahren tauchte er wieder in der Stadt-Gesellschaft auf: als Unternehmer, Provokateur und Aktivist. Er nutzte die Migrationspolitik als Thema, Corona, den Krieg in der Ukraine – verdiente Geld damit und stachelte Menschen auf.

Unser Podcast "Extrem rechts" befasst sich mit dem Rechtsextremisten, Sven Liebich:

Am Donnerstag sagte Liebich, er nehme seit März dieses Jahres nicht mehr an den sogenannten Montagsdemos teil. Seine Onlineaktivitäten hat er eingeschränkt. Einen Handel mit Aufklebern und T-Shirts führen mittlerweile offiziell seine Geschwister. Liebich selbst hat eine Gewerbeuntersagung durch die Stadt Halle akzeptiert.

Valentin Hacken vom Bündnis "Halle gegen rechts" ist eine der Personen, die Liebich wiederholt verbal angegriffen hat. Im Prozess tritt er als Nebenkläger auf. Nach dem ersten Verhandlungstag sagte Hacken: "Der Prozess ist entscheidend für all diejenigen, die seit vielen Jahren von seinen Taten betroffen sind."

Liebich versuche jetzt alles zu tun, um einer Haftstrafe zu entgehen. "Ich halte das für ein rein taktisches Vorgehen", so Hacken. Er erinnerte daran, dass Liebich schließlich auch behauptet hatte, aus der extrem rechten Szene ausgestiegen zu sein. Was dann folgte, ist bekannt und mündet eben in Prozesse wie jenen vor dem Landgericht.

Weitere Anklagen gegen Liebich

Was am Donnerstag ebenfalls kurz Thema war: Am Amtsgericht Halle sind drei weitere Anklagen gegen Sven Liebich anhängig. Zeitnah soll zudem in Leipzig ein zweites Berufungsverfahren stattfinden. Dort geht es um den Vorwurf der gemeinschaftlichen Körperverletzung. In der ersten Instanz hatte Liebich dafür ebenfalls eine Haftstrafe erhalten.

Er wird die Gerichte also noch eine ganze Weile beschäftigen. Dafür sorgen auch die Ermittlungsbehörden.

Rechtsextremist Liebich und die Gerichte

MDR (Thomas Vorreyer, Cornelia Winkler)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 13. Juni 2024 | 19:00 Uhr

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