Zuwanderung Der "Weißenfelser Weg": Migrationsprojekt gegen überlastete Verwaltungen
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21. November 2023, 17:15 Uhr
Nicht erst seit 2015 hat die Stadt Weißenfels im Süden Sachsen-Anhalts ein Problem mit Migration. Neben Asylsuchenden hat die Stadt seit jeher eine hohe Anzahl an EU-Arbeitsmigranten. Über Jahrzehnte wurde diese mit dem Blick auf die Vergrößerung der Lebensmittelindustrie als Arbeitgeber geduldet, mit Folgen für einige Stadtteile, die nun zu sozialen Brennpunkten geworden sind. Der "Weißenfelser Weg" des Oberbürgermeisters soll eine Lösung sein.
- Schon vor 2015 war Migration in Weißenfels eine Herausforderung.
- Mit dem Konzept "Weißenfelser Weg" will die Verwaltung auf fünf Säulen besser zusammenarbeiten.
- Auch im Landkreis arbeiten die unterschiedlichen Behörden beim Thema Migration verstärkt zusammen.
Martin Papke (CDU) hat es sich modern eingerichtet in seinem Büro im Rathaus am Marktplatz der Stadt. Klare Linien, moderne Technik neben rustikalen Bleiglasfenstern und schwerem Holz: Moderne trifft Tradition. Das wird auch im Gespräch klar. Erst seit eineinhalb Jahren ist er Oberbürgermeister in Weißenfels. Papke versteht, warum Weißenfels über Jahrzehnte so gehandelt hat und sich in dieser Situation befindet, aber er weiß auch: Er hat einen langen Weg vor sich, um das zu verändern. "In Mitteldeutschland sind wir diejenigen, die wirklich der Leuchtturm in der Frage der Migration sind und natürlich damit auch eine große Herausforderung haben", sagt Papke über seine Stadt. Schaut man auf die Zahlen, scheint das zu stimmen.
Weißenfels' Anteil an ausländischen Einwohnern über alle Migrationsformen hinweg liegt bei 14,7 Prozent. Der Landesschnitt lag am Jahresende bei 7,4 Prozent. Zudem schrumpft die Gesamtbevölkerung der Stadt weiter. Waren es 2015 noch 41.261, sind es Ende 2022 noch 40.122. Ein weiteres Problem: Die Ausländer verteilen sich nicht gleichmäßig über die ganze Stadt. In der Altstadt liegt der Anteil bei 27 Prozent, in der Weißenfelser Neustadt bereits bei 47 Prozent.
Fluch und Segen der Lebensmittelindustrie
Noch zu DDR-Zeiten war Weißenfels die Schuhfabrik der DDR. Mit dem "Banner des Friedens" war die Stadt das Zentrum der Schuhindustrie im Osten. Fast 5.000 Weißenfelser produzierten hier täglich 30.000 Schuhe. 1992 war Schluss, und nun erinnert neben dem Schusterjungen im Stadtpark nur noch das Schuhmuseum im Weißenfelser Schloss Neu-Augustusburg an die Handwerkstradition der Stadt, die einige Jahrhunderte zurückreicht. "Dieser Strukturbruch, den es hier gab, und der damit verbundene große Wegzug hatten zur Folge, dass heute eine fehlende bürgerliche Mitte vorhanden ist. Mir fehlt eigentlich eine zivilgesellschaftliche Mitte, die es zwar gibt, aber im Vergleich zu den Oberzentren Halle, Dessau oder Magdeburg nicht groß genug ist für integrative Prozesse", so der Oberbürgermeister.
Die Lücke schließt seit Jahren eine größer werdende Lebensmittelindustrie. "Wir haben ein Logistikzentrum für Kaufland bei Osterfeld, wir haben Henglein in Kloster Hessler, es ist nicht nur der Schlachthof, es sind aber vor allem die Lebensmittelindustrie hier am Ort, da ist es unsere Stärke hier in Weißenfels und in der Umgebung." Mit großindustrieller Lebensmittelherstellung kommt jedoch auch ein riesiger Bedarf an Mitarbeitern. Nach Zahlen der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) arbeiten allein 1.000 Osteuropäer im Schlachthof der Firma Tönnies in der Weißenfelser Neustadt.
Eben dort, wo die Stadt auch ihren sozialen Brennpunkt sieht. "Aber wir merken natürlich, dass wir mit der EU-Freizügigkeit hier in Weißenfels, mit den marktwirtschaftlichen Effekten, die jetzt hier zu Buche schlagen, negative Effekte haben", so Papke.
Lebenssituation als Problemfaktor
Gerade bei den sozialen Gefügen sieht die Stadt hier ein Problem. Während in früheren Zeiten zunächst Einzelpersonen als Montagearbeiter in die Stadt kamen, erlebt die Stadt nun einen umfangreichen Zuzug an Familien. Die Stadtverwaltung schreibt auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT: "Während in den Jahren um 2015 eher die polnischen EU-Bürger den Schwerpunkt bildeten, liegt dieser nunmehr bei Bulgarien und Rumänien. Die EU-Bürger aus Polen waren meist Einzelpersonen, welche hier ähnlich eines Montagearbeiters arbeiteten und wohnten, während die Familie überwiegend in Polen verblieb. Dies stellt sich bei den Bulgaren und Rumänen anders dar, die meistens mit Familie vor Ort sind.
Hierin liegen für die Stadt Weißenfels auch die gestiegenen Herausforderungen für die Integration. Papke sagt, gerade in den Plattenbauten der Neustadt führe das zu 90 Prozent Belegung mit ausländischen Bewohnern. "Und das führt natürlich dazu, dass die Durchmischung, die man eigentlich braucht, also das heißt, dass Deutsche mit Ausländern zusammenwohnen, überhaupt nicht mehr gegeben ist."
Und das führt natürlich dazu, dass die Durchmischung, die man eigentlich braucht, also das heißt, dass Deutsche mit Ausländern zusammenwohnen, überhaupt nicht mehr gegeben ist.
Weißenfelser Weg als Problemlöser
Seit im Februar 2022 der Stadtrat und der neu gewählte Oberbürgermeister eine gemeinsame Lösung erarbeitet haben, wie man dem Migrationsproblem entgegentreten kann, existiert auch der Name: Der "Weißenfelser Weg". Grundansatz der Lösung ist eine enge Verzahnung der verschiedenen Verwaltungsbausteine, um ausländische Neuankömmlinge besser durch das Behördenwirrwarr zu leiten.
- Clearingstelle: Diese dient als Erstkontakt für Neuankömmlinge und sammelt wichtige Informationen für die Integration. Insbesondere eine Kontrolle der Unterlagen wird hier vorgenommen. Ausweisscanner sollen die Echtheit der Unterlagen sicherstellen.
- Aufsuchende Sozialarbeit: Diese Einheit bietet Unterstützung und Beratung zu Hause an.
- Schulteam: Gewährleistet die Einhaltung der Schulpflicht und unterstützt Schulen mit hohem Ausländeranteil.
- Neustadtbüro/Stadtteilzentrum: Ein Ort des Vertrauens und der Beratung, der Gemeinschaftsaktivitäten fördert.
- Wohnraumkontrolle: Überwacht die Wohnbedingungen und setzt gesetzliche Mindestanforderungen durch.
Gerade die Wohnraumkontrolle ist in Weißenfels ein besonders brisantes Thema. Acht und mehr Personen leben zum Teil in viel zu kleinen Wohnungen in der Weißenfelser Neustadt. "Es gibt ganz, ganz viele unterschiedliche Konstellationen von vielen Menschen, die in einer Wohnung wohnen, dort aber gar nicht gemeldet sind. Auf der anderen Seite ist auch Obdachlosigkeit ein Problem. Menschen leben mit Matratzen in alten, baufälligen Häusern", sagt Papke und hat sein Ordnungsamt auf 12 Außendienstmitarbeiter vergrößert, um in der Stadt Präsenz zu zeigen.
Landkreis teilt ganzheitlichen Ansatz
Fährt man nach Naumburg ins Landratsamt, kommt man unweigerlich an einem großen Gebäude mit der Aufschrift "Migrationsagentur" vorbei. Hier hat der Burgenlandkreis ebenfalls ein ganzheitliches Konzept für Migration umgesetzt. "Es war unsere Lehre aus den Jahren 2015 und 2016, dass wir gut aufgestellt sein müssen, falls es wieder zu solchen Entwicklungen kommt. Und dazu kam es ja erst mit dem Ukrainekrieg und jetzt auch mit den steigenden Zahlen von Geflüchteten aus Drittstaaten. Und da war es gut, dass wir diese Leistung aus einer Hand gewähren", sagt Landrat Götz Ulrich (CDU).
In seiner Migrationsagentur werden alle Leistungen komprimiert angeboten: Erstaufnahme, Vermittlung von Wohnungen, Sprachangebote und, wenn der Status es zulässt, Arbeit. Mit Erfolg, wie Ulrich sagt: "Wir haben relativ viele Ukrainerinnen und Ukrainer mittlerweile in Arbeit gebracht. Im Burgenlandkreis sind von den gut 5.000 Ukrainern, die jetzt hier sind, nur 2.800 in Sozialleistung." Ulrich sagt, es mache sich bezahlt, dass Migranten nicht mehr "von Pontius zu Pilatus geschickt zu werden". Am Ende ist es auch eine Entlastung für die eigenen Mitarbeiter.
Das Ganze kostet nicht nur die Stadt Weißenfels, sondern auch den Landkreis sehr viel Geld. "Auf Dauer brauchen wir natürlich schon eine Entlastung, die wir aber eben selber nicht herbeiführen können. Entlastung heißt sicherlich auch, dass Sie finanziell unterstützt werden müssen. Denn gerade der Personalaufwand bedeutet ja auch, dass mehr Kosten auf die Kommunen zukommen, die auch irgendwie abgefedert werden müssen." Hier schielt Ulrich auf mehr Unterstützung von Bund und Land. Diese hätten die Aufgaben an die Kommunen übertragen und müssten diese auch perspektivisch finanziell abfedern.
Weißenfelser Weg als Blaupause
Die Aufgaben für die Kommunen werden auch in den nächsten Jahren nicht weniger werden, da sind sich Ulrich und Papke sicher. "Nur mit Akzeptanz für einander schaffen wir mehr Lebensqualität für alle, aber eben auch zu den rechtsstaatlichen Prinzipien und mit kultureller Annäherung so, dass es für uns passt und nicht, dass es uns sprengt." Er ist von seinem Konzept auch für andere Kommunen überzeugt: Nicht überall gibt es die Probleme, wie in Weißenfels, "aber der Weißenfelser Weg ist eine Blaupause, wie zukünftig Prozesse in anderen Städten laufen werden."
MDR (Lars Frohmüller)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 20. November 2023 | 19:00 Uhr
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