Basketball-Weltmeister Von Halle auf den Basketball-Thron

11. September 2023, 15:52 Uhr

Deutschland ist Basketball-Weltmeister! Zum ersten Mal in der Geschichte. Andreas Obst ist Weltmeister! Zum ersten Mal in seinem Leben. Der Weg zum Erfolg war lang. Alles begann mit einem Poster von Dirk Nowitzki und einer verzweifelten Mutter – und wurde zu einer Geschichte über Ehrgeiz, Verzicht und die Kraft der Familie.

MDR San Mitarbeiter Daniel George
Bildrechte: MDR/punctum.Fotografie/Alexander Schmidt

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  • Mit 15 Jahren zog Andreas Obst aus, um Basketball-Profi zu werden – nun ist der Hallenser sogar Weltmeister.
  • Die ganze Welt kennt ihn jetzt. Doch er spielte nie für das Rampenlicht, sondern aus Liebe zum Spiel.
  • Halle liegt ihm noch immer am Herzen. Warum Andreas Obst ohne seine Heimat, ohne seine Familie wohl nie Weltmeister geworden wäre.

Bis zu dieser einen Frage hatte Andreas Obst seine Fassung bewahrt. Emotionen waren zwar da gewesen, vom ungläubigen Lächeln bis zum fassungslosen Kopfschütteln. Aber bei all dem Trubel um seine Person hatte sich der 27-Jährige vor keinem Mikrofon aus der Ruhe bringen lassen – es war ein Sinnbild seines Wesens nach dem Spiel seines Lebens.

Doch dann wurde der Mann aus Halle an der Saale nach seiner Familie gefragt. Nach den Anfängen mit dem Korb im Garten des Hauses seines Großvaters. Und plötzlich schossen Tränen in sein Gesicht. "Opa", sagte sein Andi mit brüchiger Stimme nur noch, "ich hab' dich lieb!"

Am vergangenen Freitag nach dem sensationellen 113:111-Sieg der deutschen Basketball-Nationalmannschaft gegen die USA war das. Andreas Obst hatte die ganze Welt überrascht, sein Team als bester Spieler ins Finale geführt. Und nun, zwei Tage später, nach dem Endspiel gegen Serbien brachen alle Emotionen aus ihm und seine Teamkollegen heraus.

Deutschland ist Weltmeister! Zum ersten Mal in der Geschichte. Andreas Obst ist Weltmeister! Zum ersten Mal in seinem Leben. Und wieder flossen sie nicht nur im philippinischen Manila, sondern auch in Sachsen-Anhalt: die Tränen voller Glück – in den noch unwirklich anmutenden Gedenken daran, wie das eigentlich alles so weit kommen konnte.

"Andi musste auf viel verzichten"

Alles fing an mit einem Poster an der Wand. Mit 15 Jahren entschloss sich Andreas Obst, seine Heimatstadt Halle zu verlassen. Hier hatte er sich in den Sport verliebt, beim USV Halle die Grundlagen gelernt, seit der Grundschule kein anderes Ziel mehr als das Leben eines Profi-Basketballers gehabt.

"Ich bin verzweifelt, habe lange gesagt, dass er eine Ausbildung machen und einen Beruf erlernen muss", sagte Simone Fischer, seine Mutter, einst in der MDR-Doku "Plan A" mit Blick zurück auf diese Zeit. Aber: "Er wollte immer nur Basketballer werden. Es gab immer nur diesen Plan A. Ein Plan B war nie da."

Deshalb wagte Obst als Teenager den Schritt nach Bamberg, ins damals beste Jugendprogramm Deutschlands. Weg von der Familie, den Freunden, hin zu der Jagd nach großen Zielen. Weil er unbedingt dorthin wollte, wo er sich am besten weiterentwickeln konnte. Weil er dem Basketball alles unterordnete. "Familienfeiern, Weihnachten – Andi war danach fast nie mehr dabei", sagte seine Mutter. "Er musste auf viel verzichten."

Jubel der deutschen Spieler nach dem Spiel, Nils Giffey 5, Maodo Lo 4 Daniel Theis.10 Johannes Thiemann 32 Isaac Bonga, Andreas Obst 42 am Boden
"Was diese Gruppe geleistet hat, ist Wahnsinn!", sagt Andreas Obst. Bildrechte: IMAGO/camera4+

Der 15-Jährige zog in eine Wohngemeinschaft mit seinen neuen Mitspielern. "Das habe ich zuerst aufgehängt", sagte er damals in seinem kleinen Zimmer und zeigte auf das Poster einer Werbekampagne mit Dirk Nowitzki, auf dem groß geschrieben stand: "Alle Träume klingen verrückt. Bis sie wahr werden."

Ich bin verzweifelt, habe lange gesagt, dass er eine Ausbildung machen und einen Beruf erlernen muss. Aber er wollte immer nur Basketballer werden.

Simone Fischer, Mutter von Andreas Obst

NBA? War (bislang) nie sein Ziel

Nun wirken seine Träume von damals fast schon belanglos. Als Bundesliga-Profi wollte er sich etablieren, vielleicht, wenn alles klappt, aber auch nur dann, irgendwann einmal in der Euroleague, der europäischen Königsklasse spielen. Die nordamerikanische Profiliga NBA, die beste Liga der Welt? "Das war nie das große Ziel von ihm", erinnerte sich sein Jugendfreund Valentin Arndt. "Da gab es andere, die viel lauter gemeint haben, dass sie es bis ganz nach oben schaffen. Er war da immer ein bisschen ruhiger."

Spätestens seit dem WM-Halbfinale gegen die USA kennt die ganze Basketball-Welt Andreas Obst. Sein Mitspieler Johannes Voigtmann aus dem thüringischen Eisenach erklärte im Anschluss: "Wir sagen immer, Andi ist der beste Werfer dieses Planeten. Er ist unglaublich." Und US-Star-Trainer Steve Kerr sagte: "Obst war der Schlüssel zum Sieg für die Deutschen."

Spätestens, nachdem er sich am Sonntag die Goldmedaille um den Hals hängen ließ, ist Andreas Obst in seiner Sportart nun also ein Weltstar. Einer, den jeder kennt. Etwas, wonach so mancher strebt. Doch ganz sicher: Niemandem ist das so unangehnehm wie ihm selbst.

Ein bisschen wollen sie alle wie Andi sein

Andreas Obst spielt Basketball nicht für Fame, nicht für Ruhm also. Andreas Obst spielt Basketball, weil er das Spiel liebt. "Das ist das, wofür ich mich entschieden habe und was mich glücklich macht", sagte er vor der letzten Weltmeisterschaft 2019. Ganz knapp schaffte er es damals in den Kader, spielte kaum eine Rolle. Deutschland schied in der Vorrunde aus.

Mit Niederlagen kann Andreas Obst nicht so gut umgehen. "Es kann auch mal passieren, dass er sich danach eine Weile nicht meldet", erzählte Simone Fischer, seine Mutter. Doch schon bald treiben ihn Misserfolge nur noch mehr an. "Keine Ahnung, wo dieser Ehrgeiz herkommt", sagt Obst. "Ich habe ihn einfach schon immer gehabt." Sein Motto damals wie heute: "Einfach durchziehen." Viele Worte braucht Andreas Obst nicht.

Dabei weiß er offenbar, wie Basketball-Profis auf Karriere-Leitern steigen sollten: Schritt für Schritt. Aus Bamberg ging es nach Gießen und Gotha, jeweils für mehr Spielzeit. Dann ein Gastspiel beim spanischen Erstligisten Obradoiro, eine neue Kultur, auch abseits des Parketts. Anschließend eine größere Rolle beim deutschen Play-off-Team aus Ulm. Vor zwei Jahren schließlich der Wechsel zum FC Bayern München, damit angekommen auch in der Euroleague. Stetig und geduldig nach oben, immer mit beiden Füßen auf dem Boden, wohl auch deshalb ohne große Rückschläge.

Noch heute nimmt sich Andreas Obst in jedem Sommer die Zeit für seinen Heimatverein. Beim USV Halle trifft er dann alte Freunde und nimmt an einem Jugendtraining teil. Ganz viele Fragen fragen ihn dann die Mädchen und Jungs und wuseln mit ihren Bällen um ihn herum. Basketball-Profi werden – er gibt ihnen das Gefühl, dass sie das auch schaffen können. Er ist noch immer einer von ihnen. Ein bisschen wollen sie alle wie Andi sein.

Andreas Obst hat oft Recht

Jetzt wollen Kinder auf der ganzen Welt wie Andi sein. So eiskalt die Würfe aus der Distanz verwandeln. So cool bleiben, wenn es wichtig ist. So wirken, als würde einen dieser ganze Rummel nicht beeindrucken. Als gäbe es nur zwei Körbe, zehn Spieler auf dem Feld und einen Ball. Als spiele es keine Rolle, wie diese Spieler heißen. Kochen alle nur mit Wasser. Und wer trifft, hat Recht. Andreas Obst hat oft Recht.

Weltmeister also. Wie konnte es nur so weit kommen? Sigrun Koch, seine Jugendtrainerin aus Halle, sagte in der MDR-Doku: "Diese Unterstützung, dieser Rückhalt, den er immer hatte durch seine Familie war extrem wichtig." Stimmt, sagt Andreas Obst, denn: "Sie haben mir immer den nötigen Freiraum gelassen und mich einfach bei allem unterstützt."

Fans von Andi

Das fing bei Opa Dieter damals im Garten an. Der Korb hing an der Hauswand. Bis es dunkel wurde spielte Andi am Wochenende. Dribbeln auf Pflastersteinen. Die Nachbarn waren genervt. Heute liegt der Korb als Erinnerung im Schuppen. Auch die Nachbarn sind stolz.

Und Opa erst. Bei fast jedem Spiel war er früher dabei – egal, wo. "Wir hatten mit Basketball nix am Hut", sagte er einmal. "Aber dann sind wir Fans geworden." Fans vom Sport. Aber vor allem: Fans von Andi. Und die versammelten sich am Sonntagnachmittag in einem halleschen Restaurant, um den WM-Triumph gemeinsam zu feiern.

Der Keller von Dieter Obst ist schon lange ein Andi-Obst-Museum mit allerlei Erinnerungsstücken. Auch ein gerahmtes Trikot von der Nationalmannschaft hängt dort an der Wand. "Für den besten Opa der Welt", steht darauf geschrieben, darunter ein Herz gemalt.

"Was uns allen wichtig ist, ist die Familie, diese Zugehörigkeit", erklärte der Opa mit Blick auf das Trikot. Er müsse unheimlich stolz auf seinen Andi sein, oder? "Auf jeden Fall", sagte Dieter Obst mit brüchiger Stimme nur noch – und hatte Tränen in den Augen.

MDR San Mitarbeiter Daniel George
Bildrechte: MDR/punctum.Fotografie/Alexander Schmidt

Über den Autor Zehn Jahre ist es her, dass Daniel George erstmals über Andreas Obst berichtete. Der Hallenser war damals gerade ins Jugendprogramm nach Bamberg gewechselt. Seitdem begleitet George die Karriere von Obst journalistisch eng, sprach für verschiedene Medien in den vergangenen Jahren immer wieder mit dem Nationalspieler. 2019 produzierte er mit seinem Kollegen Max Schörm die dreiteilige MDR-Dokumentation "Plan A" über den Weg des heute 27-Jährigen. Nach der letztjährigen Europameisterschaft war Obst außerdem bei ihm im MDR-Podcast "Ostball" zu Gast.

MDR (Daniel George)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 10. September 2023 | 19:00 Uhr

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