Antisemitismus Zerstörtes "Tagebuch der Anne Frank": Akener setzen Zeichen gegen Hass
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02. Juni 2024, 15:53 Uhr
Etliche Menschen sind dem Aufruf von Akens Bürgermeister Jan-Hendrik Bahn gefolgt und haben am Sonntag in der Marienkirche ein Zeichen gegen Antisemitismus gesetzt. Wenige Tage zuvor sollen Jugendliche an einer Bushaltestelle in der Stadt im Landkreis Anhalt-Bitterfeld eine Ausgabe des "Tagebuchs der Anne Frank" verbrannt haben. Die Jüdin war im Zweiten Weltkrieg von den Nationalsozialisten deportiert worden und starb im Konzentrationslager Bergen-Belsen.
- In Aken gab es am Sonntag eine Veranstaltung gegen Antisemitismus. Anlass war die Verbrennung eines Exemplars von "Das Tagebuch der Anne Frank".
- Der Bürgermeister der Stadt, Jan-Hendrik Bahn, fordert eine harte Strafe für die mutmaßlichen Täter. Die Polizei ermittelt wegen Volksverhetzung.
- Ein ähnlicher Vorfall hatte 2006 bundesweit für Aufsehen gesorgt.
Nachdem drei Jugendliche in Aken im Landkreis Anhalt-Bitterfeld ein Exemplar von "Das Tagebuch der Anne Frank" beschädigt und in Teilen verbrannt haben sollen, gab es am Sonntag in der St.-Marien-Kirche eine Veranstaltung gegen Antisemitismus. Vertreter aus Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Kultur lasen dabei Abschnitte aus dem "Tagebuch der Anne Frank" vor. Etliche Akener kamen, um ein Zeichen gegen Hass und Intoleranz zu setzen.
Bürgermeister Bahn fordert harte Strafe
Akens Bürgermeister Jan-Hendrik Bahn hatte zu der Veranstaltung aufgerufen. Er sagte MDR SACHSEN-ANHALT am Sonntag: "Ich bin froh, dass hunderte Menschen hier waren und dass wir ein Zeichen gesetzt haben, für ein friedliches, respektvolles und demokratisches Miteinander."
Die Verbrennung des Tagebuchs bezeichnet Bahn als "grausame Tat", die er aufs Schärfste veruteile. Er fordert, dass der Rechtsstaat gegen die Jugendlichen mit voller Härte und Konsequenz durchgreifen müsse. Gleichzeitig solle man "den Jugendlichen die Hand reichen, mit ihnen ins Gespräch kommen", so Bahn, damit so etwas nie wieder stattfinde.
Jüdische Gemeinde in Sorge
Unter den Anwesenden war auch Aron Russ von der Jüdischen Gemeinde zu Dessau. "Was hier in Aken passiert ist, wirkt für mich befremdlich und beängstigend für die jüdische Gemeinschaft", sagte er MDR SACHSEN-ANHALT. Was offenbar an der Bushaltestelle passiert sei, reihe sich ein in eine Vielzahl anderer vergleichbarer Taten.
Russ sagte, er wünsche sich, dass die mutmaßlichen Täter nicht als alleinige, von anderen Menschen unabhängige betrachtet werden. "Diese Menschen kommen ja nicht aus einem sozialen Vakuum", sagte er und forderte, im sozialen Umfeld anzusetzen, "worin solches Gedankengut wahrscheinlich zirkuliert."
Wer war Anne Frank?
Die Familie von Anne Frank hatte sich zwischen 1942 und 1944 in einem Hinterhaus an der Amsterdamer Prinsengracht vor den Nazis versteckt. Dort ist auch das weltberühmte Tagebuch entstanden. Die Franks wurden jedoch verraten und von der Gestapo festgenommen.
Die 15-jährige Anne starb 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen an Typhus. Nur ihr Vater Otto Frank überlebte. Er veröffentlichte das Tagebuch seiner Tochter und wandelte das Haus in Amsterdam in ein Museum um.
Ermittlungen wegen Verdachts der Volksverhetzung
Stein des Anstoßes war ein Vorfall am vergangenen Mittwoch an einer Bushaltestelle in Aken. Ein 15-Jähriger und zwei 16-Jährige waren dort nach Angaben von Polizei und Staatsanwaltschaft beobachtet worden, wie sie ein Exemplar des Tagebuchs von Anne Frank verbrannt haben. Zeugen hätten das gemeldet.
Als die Polizei eintraf, sei das Feuer bereits erloschen gewesen. Die Polizei übergab die Beschuldigten an ihre Eltern. Ermittlungen wegen des Verdachts der Volksverhetzung laufen.
Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) sagte kurz darauf, Anne Franks Tagebuch sei ein bewegendes Zeugnis des Leids und der Unmenschlichkeit, die während des Zweiten Weltkriegs über die jüdische Bevölkerung gebracht wurde. "Es dient als Mahnmal und als Aufruf, niemals zu vergessen, was geschehen ist, und sicherzustellen, dass solche Grausamkeiten nie wieder geschehen. Die Respektlosigkeit und Ignoranz, die in solch einer Tat zum Ausdruck kommen, sind erschreckend und absolut inakzeptabel."
Finanzminister Lindner: Wer zu Antisemitismus schweigt, stimmt zu
Der Vorfall verdeutliche, wie wichtig eine fundierte fächerübergreifende politische Bildung in den Schulen sei, so die CDU-Politikerin. "Der Geschichts- und Literaturunterricht muss jungen Menschen nicht nur Fakten vermitteln, sondern auch das Verständnis für die menschlichen Schicksale und historischen Zusammenhänge hinter den gesellschaftlichen Entwicklungen fördern."
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat am Donnerstag in Dessau-Roßlau dazu aufgerufen, bei Antisemitismus, Ausgrenzung oder Fake-News sofort zu widersprechen – im Familienkreis und auch im Sportverein. Lindner sagte bei einem Besuch der Neuen Synagoge in Dessau-Roßlau im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT, wenn man schweige, stimme man zu.
Ähnlicher Vorfall hat sich bereits 2006 ereignet
Bereits 2006 war in Pretzien auf einer öffentlichen Feier eine Ausgabe des Buches verbrannt worden. Deshalb waren damals fünf Männer zu jeweils neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Das Amtsgericht Schönebeck sah es 2007 als erwiesen an, dass die 24- bis 29-Jährigen die Tat während einer "Sonnenwendfeier" gemeinsam geplant hatten.
Die Männer wurden wegen Volksverhetzung und der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener verurteilt. Zwei Angeklagte wurden mangels Beweisen freigesprochen. Die Tat hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt.
dpa, AFP, MDR (Hanna Kerwin, Marius Rudolph, Anja Nititzki, Moritz Arand) | Erstmals veröffentlicht am 30.05.2024
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 02. Juni 2024 | 19:00 Uhr