Corona-Folgen und die Inflation Das Nachtleben unter Druck: "Das ist gerade nicht einfach"
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06. Januar 2025, 11:20 Uhr
In Magdeburg sterben schon seit Jahren die Bars am früher beliebten Hasselbachplatz. Der Studentenclub "Baracke" soll abgerissen werden. Und auch in Halle haben in den vergangenen Jahren traditionsreiche Diskotheken – das "La Bim" etwa oder die "Schorre" – geschlossen. Die Gründe sind unterschiedlich, doch überall in Sachsen-Anhalt zeigt sich: Die Nachtkultur hat es schwer. Ein Netzwerk will nun neue Hoffnung machen.
- In vielen Städten in Sachsen-Anhalt gehen die Partyräume für junge Menschen verloren.
- Inflation, Lohnkosten, Verdrängung und Konflikte mit Anwohnern sind Probleme, mit denen Betreiber von Diskotheken und Clubs kämpfen.
- In Halle – und gern auch darüber hinaus – will der "Verein Netzwerk Musikveranstaltende" Ansprechpartner für die freie Musikkulturszene sein.
Die Diskotheken und Clubs in Sachsen-Anhalt haben zunehmend Probleme. Zunächst hat ihnen die Corona-Pandemie übel mitgespielt. Jetzt bleiben viele Gäste wegen inflationsbedingter Preiserhöhungen weg. Auffällig: Gerade jungen Leuten – die 18- bis 25-Jährigen also – scheint die Weggeh-Mentalität etwas verloren gegangen zu sein.
Sie schauen eher aufs Geld, bleiben am Wochenende lieber zu Hause. Streamingdienste und soziale Netzwerke decken inzwischen Angebote ab, die früher als Alleinstellungsmerkmal von Discos galten. Gemeint sind etwa Spotify oder die Dating-App Tinder. Damit wären wir bei der mit vielen Vorurteilen versehenen Generation Z: Sie meidet angeblich Stress, ernährt sich gesund, hat weniger Sex, schläft genug. Ihre neue Mitternacht soll angeblich 21 Uhr sein. Zum Teil sind die Klischees wissenschaftlich belegt: Die Jungen von heute trinken tatsächlich deutlich weniger Alkohol als frühere Generationen.
Macht es die Generation Z der Clubszene schwer?
Förderlich für exzessives Ausgehen sind solche Lebenseinstellungen kaum. Und die Clubs und Diskotheken bekommen das zu spüren, auch in Sachsen-Anhalt. Das Wort "Clubsterben" möchte Sandy Matysiak vom "Verein Netzwerk Musikveranstaltende Halle" trotzdem nicht in den Mund nehmen: "Wir reden eigentlich viel lieber vom Clubleben, das eigentlich gefördert werden müsste", sagt sie. Die Situation der Veranstalter reiche von besorgt bis angespannt. "Corona wirkt sich bis heute aus."
Wir reden eigentlich viel lieber vom Clubleben, welches eigentlich gefördert werden müsste.
"Steigende Energie- und Lohnkosten, die Inflation im Allgemeinen – alles ist im Einkauf deutlich teurer geworden", zählt sie auf. "Daran haben viele Veranstalter echt zu knabbern. Und trotzdem wollen wir natürlich auch faire Eintritts- und Getränkepreise für unsere Besucher aufrechterhalten. Das ist gerade nicht einfach."
Der Verein spricht für die freie Musikkulturszene in Halle. Für Clubs, Konzertspielstätten, Musikkulturvereine und DJ-Kollektive. Gegründet hat er sich im November 2024 – nach drei Jahren intensiven Aufbaus – aus der Interessensgemeinschaft Freie Musikveranstaltende heraus.
Man will vernetzen, koordinieren und erster Ansprechpartner auch für die Stadt Halle sein. Die sich ihre Kultur doch so einiges kosten lässt: Im Jahre 2024 belaufen sich die Gesamtausgaben auf mehr als 42 Millionen Euro – kulturelle Bildungseinrichtungen oder die TOOH inklusive. Der gesamten freien Kulturszene stehen davon rund 1,3 Millionen Euro zur Verfügung – ein Anteil von weniger als drei Prozent. Zu wenig, sagt die Freie Kulturszene und verlangt fünf Prozent.
Freie Kulturszene in Halle verlangt mehr Geld
Aus dem Rathaus heißt es dazu nur: "Haben wir registriert." Ansonsten aber "steht der Fachbereich Kultur der Stadt Halle in einem guten Austausch mit der Freien Szene". Wie aber läuft sie wirklich, die Zusammenarbeit mit der Verwaltung? Sandy Matysiak sagt: "Die Zusammenarbeit mit der Stadt Halle gestaltet sich sehr zäh. Es gibt zwar konkrete Ansprechpartner, die uns zugesprochen sind. Wir wünschten uns aber, dass wir stärker in Entscheidungen eingebunden sind, die uns direkt betreffen."
Was die Musikveranstaltenden beispielsweise wirklich aufregt, ist die seit 2022 bestehende Regelung für Spontanpartys. Das sind kurzfristig organisierte Veranstaltungen mit bis zu 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Nur noch 65 Dezibel ("vor den Lautsprechern") sind da erlaubt. Zuvor war eine Lautstärke von 103 Dezibel ("vor den Fenstern des nächsten Anwohners") zulässig.
Es wohnen Menschen drumherum. Wir müssen in Mischgebieten an den Anwohnerschutz denken.
"Es wohnen Menschen drumherum", sagt Tobias Teschner, Leiter des Fachbereichs Sicherheit, im Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt und Ordnung der Stadt. "Wir müssen in Mischgebieten an den Anwohnerschutz denken." "Verständlich", findet Sandy Matysiak. Aber dadurch würden Spontanpartys faktisch unmöglich gemacht. Bereits jede Bluetooth-Box erreiche diese Lautstärke. Zudem setze Halle eine viel strengere Regelung um, als es Bundesgesetze vorsehen.
Spontanpartys in Halle sind ein Trend
Spontanpartys sind ein Trend, nicht erst seit Corona. Viele in der Generation Z lieben sie. Es wird ausgewichen auf öffentliche oder private Plätze, weil Diskotheken und Clubs einfach zu teuer geworden sind.
Das sind die Regeln für eine Spontanparty
Bei einer Spontanparty darf der Veranstalter keine Gewinnabsicht haben. Auch darf es keine Getränkestände geben. Eine Anmeldung für die Partys ist nicht nötig. Allerdings müssen diese mindestens 24 Stunden vorher und Freitags bis 13 Uhr beim Dienstleistungszentrum Veranstaltungen der Stadt Halle angezeigt werden.
Sandy Matysiak sagt: "Musikveranstaltende müssen sich in Sachsen-Anhalt an die Industrie-Lärm-Verordnung halten. Wir fordern hingegen eine Kultur-Schall-Verordnung, wie es sie auch schon in anderen Bundesländern gibt. Dass der Lärm in Mischgebieten nach 22 Uhr von 60 dB auf 45 dB runtergepegelt werden muss, ist schon ein riesen Problem, wenn der Straßenlärm allein diese 45 dB bereits überschreitet." Auf diese Probleme macht die Freie Musikszene auch immer wieder aufmerksam. Und das manchmal auch laut und schrill: Im Juli 2024 erst zog die politische Musikparade "Klangkarawane" wieder mal durch Halle. Übrigens zusammen mit Vertretern der Stadt.
Freie Szene tauscht sich in Leipzig mit Politik und Verwaltung aus
Im August 2024 gab es in Leipzig erstmalig die Mitteldeutsche Nachtkulturkonferenz (MiNa) – im Rahmen des Leipzig Pop Fest. Fachlicher Austausch und Vernetzung der Freien Szene mit der Politik und der Verwaltung stand dort auf der Tagesordnung. Es ging um den Wert der Nachtkultur im Allgemeinen und um kulturelle Stadtentwicklung.
Clubs wollen als Kulturstätten anerkannt werden
"Fördern statt fordern" – das wünschte sich der Verein Netzwerk Musikveranstaltende Halle. Die Clubs sollten von der Politik endlich als Kulturstätten anerkannt und nicht wie bisher als Vergnügungsstätten eingestuft werden.
Zum Teil unterstützt das auch die Politik: Die Linken-Fraktion hat im September genau dazu einen Antrag in den Landtag eingebracht. "Es geht darum zu prüfen, ob Clubs künftig auch in die Kulturförderrichtlinie aufgenommen werden können", erklärte Stefan Gebhardt, parlamentarischer Sprecher der Fraktion. Die Förderung gelte nicht für rein kommerzielle Veranstaltungen, es müsse ein kultureller Mehrwert erkennbar sein. "Zum Beispiel, indem man Nachwuchsförderung betreibt oder regionalen Künstlern eine Chance gibt."
Es geht darum, dass Clubs künftig auch in die Kulturförderrichtlinie aufgenommen werden, sofern sie keine rein kommerziellen Veranstaltungen durchführen.
Dieser Vorschlag sei "mehr Schein als Sein", sagen viele Veranstalter, die in der Regel doch eher gewinnorientiert unterwegs sind. So wie Lars Wilken. Der Pächter des "Capitol" in Halle trägt alle Kosten und Risiken allein, hat "nebenbei" sogar auch noch zwei Freibäder "an der Backe" – und macht einfach. "Alles, was wir machen ist mit viel Herzblut, es ist nur das, was wir auch selber machen möchten, wo wir auch selber hingehen möchten. Und dann ist es genau das, was die Leute wollen", sagt er.
Der 50-Jährige hat dem ehemaligen Kino ganz neues Leben eingehaucht: Veranstaltet beispielsweise die "Ü30 Elternabend Tanzparty". Legendär sind mittlerweile seine Depeche Mode-Partys. Aber auch Betriebs-, Firmen- und Weihnachtsfeiern gibt es im "Capitol" regelmäßig. Wilken geht oft finanziell ins Risiko: Ende November veranstaltete er den "God save the Rave" – mit Marusha und Dr. Motte. Die Eventlocation war gerammelt voll. 800 Tanzwütige waren da. Ausverkauft. Wilken hat offensichtlich ein Händchen dafür, was in Halle funktioniert:
Wir konzentrieren uns auf eine ziemlich coole Zielgruppe – auf die Erwachsenen ab 30. Die werden so ein bisschen weniger beachtet. Die haben bei uns ihr Zuhause gefunden.
Was auffällt: Lars Wilken hat die "Generation Z" gar nicht im Blick. Sondern fokussiert sich stattdessen auf die Altersgruppe Ü30 bis Ü50. "Man muss sich seine Nische suchen", sagt er. Und fährt damit offensichtlich ganz gut.
Nicht so gut findet er allerdings die überbordende Bürokratie: Schall-Emissions-Verordnung hier. Brandschutzverordnung da. Da seien Auflagen dabei, die fern jeder Realität seien. So dürfte sich der bundesweite Trend des Clubsterbens weiter fortsetzen.
Die Party scheint irgendwie vorbei zu sein.
MDR (Robert Paul Blömeke, Luca Deutschländer) | Erstmals veröffentlicht am 05.01.2025
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 02. Januar 2025 | 19:00 Uhr
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