Reform Was das Bürgergeld für Menschen aus Sachsen-Anhalt gebracht hat
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27. Mai 2023, 11:30 Uhr
Zum 1. Januar ist das Arbeitslosengeld II, besser bekannt als Hartz IV, durch das neue Bürgergeld abgelöst worden. Mehr Geld und weniger Bürokratie waren die Versprechen hinter der Reform. Doch viel davon ist bei Bürgergeldempfängern bislang nicht angekommen.
- Mit der Einführung des Bürgergeldes sind zwar die Regelsätze gestiegen – aber nicht ausreichend, kritisieren Empfänger.
- Da es größere Freibeträge für Nebeneinkünfte gibt, könnten Bürgergeldempfänger, die nebenbei arbeiten, künftig profitieren.
- Mit der Bürgergeldreform sollen Menschen mehr gefördert werden. An der Umsetzung hapert es jedoch bisweilen.
Mehr Geld, mehr Förderung, dafür weniger Sanktionen und weniger Bürokratie – die Ankündigungen, die mit der Einführung des Bürgergeldes zum Jahresbeginn gemacht wurden, waren groß. Doch für Heiko Wünsch ist praktisch davon wenig angekommen: "Ich merke kaum Unterschiede zu Hartz IV", sagt Wünsch. Er berät als Sozialarbeiter und Leiter der Wärmestube der evangelischen Stadtmission in Halle täglich Wohnungslose und Armutsbetroffene, von denen die meisten Bürgergeld beziehen.
Wünsch und seine Kollegen helfen sozial schwachen Menschen beim Antragstellen, informieren sie über ihre Rechte und unterstützen bei der Kommunikation mit den Ämtern. "Wir übernehmen hier teilweise die Aufgabe der Jobcenter, denn Informationen und Neuerungen zum Bürgergeld sind von Anfang an nicht transparent genug rübergebracht worden", sagt Wünsch.
Seit knapp fünf Monaten gibt es das Bürgergeld nun. Es löste zum Jahresbeginn das Sozialgeld und das Arbeitslosengeld II ab, gemeinhin besser bekannt als Hartz IV. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit bezogen im April 2023 knapp 172.000 Menschen in Sachsen-Anhalt Bürgergeld.
Erhöhung ja, aber auch ausreichend?
Mit der Umstellung stiegen auch die Regelsätze: Alleinstehende Menschen bekommen nun 502 Euro im Monat, das sind 53 Euro mehr als zuvor. Neu ist außerdem, dass der sogenannte Vermittlungsvorrang abgeschafft wurde, Arbeitslose also nicht sofort jeden Job annehmen müssen und Erspartes bis zu 40.000 Euro im ersten Jahr nicht mehr angetastet wird.
502 Euro im Monat sind nicht genug, findet Heiko Wünsch. "Die Erhöhung ist erst mal positiv, geht aber nicht linear mit der Preiserhöhung im Lebensmittelbereich einher. Somit ist eine reale Kürzung der Leistungen vorhanden. Das führt unter anderem dazu, dass die Tafeln überlastet sind", sagt der Sozialarbeiter.
Frank Metz gehört zu den Besuchern der Wärmestube in Halle. Auch er hält die gestiegenen Regelsätze für nicht ausreichend. "Das Bürgergeld ist immer noch zu niedrig, leider. Die Höhe muss angepasst werden an den wirklichen Bedarf", sagt Metz. "Den Kulturanteil kann man zum Beispiel vergessen, damit kannst du nichts machen." Am liebsten wäre ihm ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1.000 Euro pro Person.
Höhere Zuverdienstgrenzen für Aufstocker
"Es geht alles so lange gut, so lange im Haushalt nichts kaputt geht", sagt Frank Fiedler aus Roßlau mit Blick auf das Bürgergeld. Der 61-jährige Grafikdesigner kann aufgrund einer Erkrankung nur noch ein paar Stunden am Tag arbeiten. Sein Einkommen muss er deshalb mit dem Bürgergeld aufstocken. "Merklich verändert hat sich im Vergleich zu Hartz IV für mich nichts", sagt Fiedler. "Ich bekomme jetzt knapp 50 Euro mehr, aber das fällt durch die Inflation nicht ins Gewicht."
Fiedler könnte jedoch von einer Neuregelung der Zuverdienstmöglichkeiten profitieren. Ein Zuverdienst von 100 Euro im Monat wird ihm nicht auf das Bürgergeld angerechnet. Das war auch schon bei Hartz IV so. Neu ist, dass Aufstocker bei einem Verdienst zwischen 520 und 1.000 Euro im Monat 30 Prozent des Einkommens anrechnungsfrei behalten dürfen. Zuvor waren es nur 20 Prozent. "Ich bin guter Hoffnung, dass sich mein Job dadurch künftig mehr rentiert", sagt Fiedler.
Mehr fördern statt fordern?
Die Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen der Bundesagentur für Arbeit schreibt auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT: "Mit dem Bürgergeld werden die dauerhafte Integration in Arbeit und die Verbesserung der Arbeitsmarktchancen durch Qualifizierung und Berufsausbildung stärker in den Fokus gerückt. Das Prinzip des 'Förderns und Forderns' bleibt erhalten, wird aber deutlicher auf den Aspekt des 'Förderns' ausgerichtet, indem die kooperative und vertrauensvolle Zusammenarbeit gestärkt wird." Bei den Fördermöglichkeiten werde der Instrumentenkasten zudem größer.
Sozialarbeiter Heiko Wünsch kritisiert jedoch, dass sich diese Angebote vor allem an Menschen unter 25 richten. "Bei den Älteren gibt es weiterhin kaum Förderung", sagt Wünsch. "Ich würde mir wünschen, dass man gerade bei Aufstockern, die arbeiten können und wollen, mehr in Fortbildungen investiert, damit aus Hilfskräften Fachkräfte werden. Wir haben ja schließlich überall Fachkräftemangel", so Wünsch.
"Bürokratiehürde ist geblieben"
Der Sozialverband VdK fordert, die Jobcenter personell besser aufzustellen, damit diese tatsächlich mehr Menschen gezielt fördern und in Jobs vermitteln können. "Sehr viele Regelungen zum Herzstück der Bürgergeldreform werden erst im Sommer umgesetzt. Sie sollen wieder mehr Menschen in Arbeit bringen. Wir befürchten allerdings, dass die Jobcenter dies mit ihren knappen personellen und finanziellen Ressourcen kaum bewältigen können", sagte die Präsidentin des VdK, Verena Bentele, der Tagesschau.
Auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT teilt die Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen der Bundesagentur für Arbeit mit, dass die Arbeitsbelastung der Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter derzeit hoch sei. Die Bearbeitungszeiten würden aber nicht als kritisch angesehen.
Damit sich die Situation der Bürgergeldempfänger nachhaltig verbessert, wollen Heiko Wünsch und seine Kollegen von der Stadtmission in Halle nun mit den Jobcentern in den Austausch gehen. "Ich hoffe, dass man unsere Erfahrungen aus der Sozialberatung anhört und nutzt", sagt Wünsch. Denn bislang ist das Bürgergeld für Wünsch nicht viel mehr als eine Worthülse. "Es wurde verbal abgerüstet. Bürgergeld klingt bürgernäher als Hartz IV, Sanktionen heißen jetzt Leistungsminderungen", sagt der Sozialarbeiter, "doch die große Bürokratiehürde ist geblieben."
MDR (Lucas Riemer)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 27. Mai 2023 | 08:30 Uhr
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