Taha Alhajji 11 min
Hier sehen Sie das Interview mit dem saudischen Rechtsanwalt Taha Alhajji. Bildrechte: MDR/Jana Merkel/Sven Knobloch

Tatverdächtiger drohte mit Anschlag Erste Reaktion von Anwalt aus Saudi-Arabien zum Anschlag: "Kann sein, dass es Taleb ist"

23. Dezember 2024, 16:57 Uhr

Nach dem Anschlag in Magdeburg ist der mutmaßliche Täter in Untersuchungshaft. Sein konkretes Motiv ist noch nicht klar. Bekannt ist jedoch offenbar, dass der Mann zuvor im Internet mit Anschlägen gedroht hat. In der saudi-arabischen Community in Deutschland galt er als aggressiv und isoliert, berichtet Taha Alhajji, Rechtsanwalt aus Saudi-Arabien. Alhajji ist unklar, warum die Polizei nicht auf die Drohungen reagiert habe. Er hofft, dass der Anschlag nicht politisch ausgenutzt wird.

Es ist ein Schock für Magdeburg und das gesamte Land: Am Freitagabend fuhr ein Mann mit dem Auto in die Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt. Bei dem Anschlag starben fünf Menschen, mehr als 200 wurden verletzt. Der mutmaßliche Täter ist in Untersuchungshaft. Es handelt sich um den 50-jährigen Taleb A., der aus Saudi-Arabien stammt und seit 2006 in Deutschland lebt.

Anwalt aus Saudi-Arabien: "Habe sofort gesagt, es könnte Taleb sein"

Für Taha Alhajji aus Saudi-Arabien war die Tat keine Überraschung. Der Rechtsanwalt, der ebenfalls aus Saudi-Arabien stammt, sagte MDR SACHSEN-ANHALT: "Als ich gehört habe, dass der Täter ein Saudi sei, habe ich sofort meinen Freunden gesagt: Es kann sein, dass es Taleb ist."

Die saudische Community in Deutschland sei klein, man kenne sich. Alhajji sei A. 2016 bei einem Termin in der Erstaufnahmeeinrichtung in Halberstadt persönlich begegnet, ihn jedoch gemieden, weil er ihn als aggressiv erlebt habe. Trotzdem habe er nicht mit einem Anschlag gerechnet.

Er ist aggressiv. Aber ich habe nicht gedacht, dass er so weit gehen könnte, dass er unschuldige Menschen tötet.

Taha Alhajji Rechtsanwalt aus Halle

Taleb A. sei in der saudi-arabischen Gemeinschaft in Deutschland isoliert gewesen, berichtet Alhajji. An Treffen von Aktivisten und Oppositionellen habe A. nie teilgenommen. Die Community habe jedoch gewusst, dass A. vielen Frauen geholfen habe, die aus Saudi-Arabien geflüchtet sind, und dass er im Internet, vor allem auf "X" (ehemals Twitter) sehr aktiv gewesen ist.

A. äußerte auf Social Media mehrfach, er fühle sich vom saudischen Staat verfolgt. Alhajji kann die tatsächliche Bedrohungslage nicht einschätzen. Angesichts von Fällen wie dem des saudischen Dissidenten Omar Abdulaziz, der im Exil in Kanada vor einer Bedrohung gewarnt wurde, oder dem des ermordeten Regimekritikers Jamal Kashoggi sei sie nicht unrealistisch. Der Attentäter hat sich zusätzlich mehrfach islamophob geäußert.

Mutmaßlicher Täter sollte Gefährderansprache erhalten

A. postete auf "X" jedoch auch Beiträge, die dem MDR vorliegen, in dem er schrieb, der deutsche Staat verfolge Flüchtlinge aus Saudi-Arabien, um deren Leben zu zerstören. Darin soll er auch "baldige Rache" angekündigt haben. "Ich war immer überrascht, warum Deutschland oder die Polizei nichts gegen Taleb unternommen hat", sagte Alhajji. A. habe auf "X" mehrfach gedroht, er wolle einen Anschlag verüben. Im vergangenen Jahr habe eine Frau A. deshalb angezeigt.

Nach MDR-Informationen gingen bei der Polizei entsprechende Meldungen ein. Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erklärte, dass im Spätsommer 2023 ein Hinweis eingegangen und an die Ermittlungsbehörden weitergeleitet worden sei. Die Polizeiinspektion Magdeburg bestätigte am Sonnabend, dass A. vor rund einem Jahr eine Gefährderansprache erhalten sollte. Man habe ihn damals aber nicht angetroffen. Stattdessen hat A. offenbar eine schriftliche Gefährderansprache erhalten.

Textnachricht auf Smartphone-Display
Taha Alhajii zeigte dem MDR einen Screenshot, laut dem im September 2023 ein Hinweis an das BAMF gesendet wurde. Das BAMF verwies damals offenbar an die Polizei, teilte nun aber mit, man habe die Meldung an die Ermittlungsbehörden weitergeleitet. Bildrechte: MDR Investigativ

Alhajji: Anschlag von Magdeburg nicht politisch ausnutzen

Alhajji ist wichtig, zu betonen: "Ich persönlich glaube, dass es sich bei diesem Täter um einen Einzeltäter handelt – ohne eine Gruppe, die hinter ihm stand."

Ich persönlich glaube, dass es sich bei diesem Täter um einen Einzeltäter handelt – ohne eine Gruppe, die hinter ihm stand.

Taha Alhajji Rechtsanwalt aus Halle

Er meint zwar, deutsche Behörden müssten künftig die Vorgeschichte und Social-Media-Aktivitäten von Geflüchteten besser überprüfen, warnt aber auch davor, dass die Tat nun politisch ausgenutzt und gegen saudische Oppositionelle verwendet werden könnte. Er hoffe, dass das nicht geschehe: "Denn es gibt Leute (aus Saudi-Arabien, Anm. d. Red.), die wirklich Geschichten haben, die Asyl verdienen."

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MDR (Tarek Khello, Jana Merkel, Sven Knobloch, Maren Wilczek, Leonard Schubert)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | BRENNPUNKT | 21. Dezember 2024 | 20:15 Uhr

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