mdrFRAGT - Das Meinungsbarometer für Mitteldeutschland Die Treuhand wirkt bis heute nach
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03. März 2020, 05:00 Uhr
Vor 30 Jahren nahm die Treuhand ihre Arbeit auf. Sie sollte rund 8.000 volkseigene DDR-Betriebe privatisieren. Ihre Entscheidungen, das hat eine Befragung von mdrFRAGT ergeben, sind bis heute hoch umstritten. 93 Prozent der Befragten sind sogar davon überzeugt, dass die Arbeit der Treuhand noch heute Auswirkungen auf Ostdeutschland hat und für die Benachteiligung des Ostens verantwortlich ist.
Die Arbeit der Treuhandanstalt in den 1990er-Jahren in Ostdeutschland wird nach wie vor sehr kritisch gesehen. Das hat die Befragung von mdrFRAGT zum Thema "Treuhand - Fluch oder Segen" ergeben. Rund zwei Drittel der Teilnehmer stellen die Notwendigkeit der großen Privatisierungswelle von ostdeutschen Unternehmen nach der Wiedervereinigung infrage.
Mehr als 90 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die Arbeit der Treuhand sich noch heute auf den Osten auswirkt. Viele von ihnen denken, dass sie die Ursache für die noch immer vorherrschenden wirtschaftlichen Unterschiede zwischen Ost und West ist. Mehr als 80 Prozent der Befragten meinen, dass sich mithilfe der Treuhand die westdeutschen Bundesländer auf Kosten des Ostens bereichern konnten. Und fast jeder Dritte glaubt, dass sich die Wirtschaftskraft nicht mehr angleichen wird.
Die Ergebnisse im Detail
Die überwiegende Mehrheit der mdrFRAGT-Teilnehmerinnen und Teilnehmer (93 Prozent) ist der Ansicht, dass die Auswirkungen der Treuhand-Entscheidungen in Ostdeutschland bis heute zu spüren sind. Davon wiederum glauben 72 Prozent, dass der Osten durch die Treuhand innerhalb Deutschlands benachteiligt wurde. 70 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die Treuhand die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen Ost und West zementiert hat und mehr als jeder zweite Befragte glaubt, dass die aktuelle politische Situation im Osten auch durch die Treuhand verursacht wurde. Persönlich Betroffene und deren Familienmitglieder haben demnach ein besonders schlechtes Bild von der Treuhand.
Hat sich der Westen über die Treuhand bereichert?
Die meisten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer (85 Prozent) glauben, dass sich der Westen mit der Treuhand im Osten bereichert hat. Zwei Drittel denken, dass es Alternativen zur Treuhand gegeben hätte. Falsche Entscheidungen der Treuhand werden in der Umfrage für die Schließung vieler Betriebe im Osten verantwortlich gemacht - und zwar aus Sicht von mehr als jedem zweiten Befragten. Lediglich 19 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer hielten die Betriebe für zu schlecht aufgestellt für den Weltmarkt. 22 Prozent befanden sie für zu unwirtschaftlich nach der Währungsunion.
Kaum Hoffnung auf wirtschaftliche Angleichung
Lediglich 40 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmern des MDR-Meinungsbarometers mdrFRAGT denken, dass sich Ost und West innerhalb der nächsten 30 Jahre wirtschaftlich angleichen. Mehr als 30 Prozent erwarten, dass die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen Ost und West dauerhaft zementiert sind.
Osten bei Wirtschaftsentscheidungen weiter diskriminiert
Die Benachteiligung hält nach Ansicht vieler Befragter noch an: Knapp 80 Prozent glauben, dass der Osten weiter bei wirtschaftlichen Entscheidungen benachteiligt wird. Diese Meinung vertreten 84 Prozent der Befragten über 65-Jährigen und 70 Prozent der unter 30-Jährigen. Als Gründe werden besonders häufig fehlender "Hauptsitz", "verlängerte Werkbank", "fehlende Dax-Konzerne" oder "westdeutsche Führungskräfte" genannt.
Treuhand-Aufarbeitung ist den Menschen wichtig
Neun von zehn der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der mdrFRAGT-Gemeinschaft wünschen sich eine intensive Aufarbeitung der Treuhand-Aktivitäten. 44 Prozent sehen die Forschung als geeignetes Mittel, 63 Prozent hingegen plädieren für einen Untersuchungsausschuss. Lediglich fünf Prozent der Befragten hält eine Aufarbeitung für unnötig.
Die Treuhandanstalt ist Anfang der 1990er-Jahre vor allem mit der Aufgabe gegründet worden, die bis dahin volkseigenen DDR-Betriebe zu privatisieren. Infolgedessen wurden zahlreiche große ostdeutsche Unternehmen geschlossen und es verloren Hunderttausende ihre Arbeitsstelle.
Über die Befragung
Vom 21. Februar bis zum 23. Februar 2020 wollten wir von den mdrFRAGT-Teilnehmerinnen und Teilnehmern wissen: "Treuhand - Fluch oder Segen?" 10.288 der mehr als 16.000 registrierten Mitglieder aus Mitteldeutschland haben online abgestimmt.
50 Prozent der Befragten kommen aus Sachsen, 27 Prozent aus Sachsen-Anhalt und 23 Prozent aus Thüringen. Das entspricht in etwa der Verteilung der Einwohner in den drei Bundesländern.
In der Altersgruppe von 16 bis 30 haben 1,7 Prozent, in der Gruppe der 30- bis 50-Jährigen 16 Prozent, in der Gruppe der 51- bis 65-Jährigen 43 Prozent und der Gruppe der über 65-Jährigen 40 Prozent ihre Meinung geäußert.
Insgesamt haben mehr Männer (64 Prozent) als Frauen (36 Prozent) an der Befragung teilgenommen.
Die Befragungen sind nicht repräsentativ, aber sie werden nach statistischen Merkmalen wie Geschlecht, Bildung und Beruf gewichtet. Die Gewichtung ist eine Methode aus der Wissenschaft bei der es darum geht, die Befragungsergebnisse an die real existierenden Bedingungen anzupassen. Konkret heißt das, dass wir die Daten der Befragungsteilnehmer mit den statistischen Daten der mitteldeutschen Bevölkerung abgleichen.
Wenn also beispielsweise mehr Männer als Frauen abstimmen, werden die Antworten der Männer weniger stark, die Antworten der Frauen stärker gewichtet. Die Antworten verteilen sich dann am Ende so, wie es der tatsächlichen Verteilung von Männern und Frauen in der Bevölkerung Mitteldeutschlands entspricht.
Dabei unterstützt ein wissenschaftlicher Beirat das Team von "mdrFRAGT". Mit dem MDR Meinungsbarometer soll ein möglichst breites Stimmungsbild der Menschen in Mitteldeutschland eingefangen werden – mit möglichst vielen Teilnehmenden.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Der große Preis - Die Treuhand und der Osten | 01. März 2020 | 20:15 Uhr