mdrFRAGT Serie | Wirtschaftliche Auswirkungen der Coronakrise Der bange Blick in die Zukunft – reicht das Geld?
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09. April 2020, 05:00 Uhr
Miete, Versicherungen, Lebensmittel – die Ausgaben bleiben, doch die Einnahmen brechen in der Coronakrise weg. Ein Fünftel der Beschäftigten spürt laut mdrFRAGT-Befragung bereits finanzielle Verluste. Menschen aus Mitteldeutschland – alle Mitglieder der mdrFRAGT-Gemeinschaft – erzählen hier ihre Geschichten.
Steven Senf und seine Frau haben einen kleinen Laden in der Altstadt von Tangermünde. Zu kaufen gibt es dort weder Brot noch Gemüse oder andere Waren des täglichen Bedarfs, sondern: Handwerkskunst. Im Winter sind besonders Figuren aus dem Erzgebirge und Herrnhuter Sterne gefragt.
Jetzt im Frühjahr bietet der 39-Jährige unter anderem Holztulpen an – frisch aus den Niederlanden. "In Holland sind die sehr populär, die sehen Sie dort an jeder Ecke. Knallig bunt. Das kommt gut an." Aktuell verkauft Steven Senf seine Deko-Artikel ausschließlich über einen Online-Shop. Allerdings kann er seine Ausfälle damit nicht kompensieren. "Wir kommen den Kunden schon beim Porto entgegen, damit wir überhaupt Umsatz machen." Eigentlich sei er ein positiv denkender Mensch. "Das wird schon wieder. Da bin ich fest überzeugt, aber mit Blick auf die Kinder werde ich jetzt schon nervös." Sieben und fünf Jahre alt sind die beiden. Den Vormittag verbringt Senf gerade mit Schularbeiten. Noch kommt die Familie über die Runden. "Aber allerspätestens im Mai sollte das Leben wieder in einigermaßen geordneten Bahnen laufen."
"Man kann gerade sowieso nicht so viel ausgeben"
Die Sonne scheint, die Temperaturen sind gestiegen. Eigentlich gar keine schlechte Zeit für ein bisschen mehr Freizeit. Christiane Thienemann aus dem Dörfchen Wellen in der Magdeburger Börde arbeitet gerade nur zweieinhalb Tage in der Woche. Auch sie ist Mitglied der mdrFRAGT-Gemeinschaft und hat an der letzten Befragung zu den wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise teilgenommen. Sie ist im Außenhandel tätig. Die 52-Jährige fährt von Laden zu Laden. Für ihre Firma vertreibt sie Artikel wie Geschenkpapier und Zierbänder. Allerdings haben viele Geschäfte, die sie sonst besucht, gerade geschlossen. Schreibwarenläden zum Beispiel oder große Handelsketten. Übrig bleiben Läden mit gemischtem Angebot. Die, die geöffnet sein dürfen, weil sie etwa Lebensmittel verkaufen. Insgesamt ist also weniger zu tun. Die restliche Arbeit wurde auf Thienemann und ihre Kollegen aufgeteilt. "Damit jeder was zu tun hat."
Trotzdem vermisse sie die täglichen Gespräche auf ihren Touren: "Ich mag meinen Job sehr." Ihr Unternehmen hat nun Kurzarbeit beantragt. Seit dem 1. April landet daher weniger Geld auf ihrem Konto. Christiane Thienemann nimmt es gelassen. "In der Kasse macht sich das natürlich bemerkbar. Andererseits: Man kann ja gerade sowieso nicht so viel ausgeben., wie mal ein Wochenende wegfahren oder so." Christiane Thienemann denkt optimistisch und glaubt, dass es nach der Coronakrise beruflich weitergeht wie vorher. "Ich könnte mir vorstellen, dass meine Firma am Anfang noch ein bisschen daran zu knabbern hat, aber es wird weitergehen."
100 Prozent Lohn trotz Kurzarbeit – aber wie lange noch?
Peter Springfeld bekommt zwar Kurzarbeitergeld, hat aber trotzdem so viel Geld zur Verfügung wie vorher. Wie das? "Mein Unternehmen stockt das Kurzarbeitergeld auf. So komme ich auf 100 Prozent meines vorherigen Lohns. Ich bin dafür sehr dankbar." Springfeld arbeitet bei VW in Zwickau. Insofern leidet er finanziell noch nicht unter der Coronakrise. Aber: Wie lang sein Arbeitgeber die finanzielle Lücke ausgleichen kann, weiß er nicht. "Ewig hält das kein Unternehmen durch. Auch VW nicht." 100 Prozent Geld und 100 Prozent Freizeit – genießen kann der Zwickauer das trotzdem nicht wirklich. "Klar, man kann allein wandern oder spazieren. Aber ich würde lieber Zeit mit meinen Kindern und Enkeln verbringen. Zum Glück gibt es Smartphones."
Seit der Wende arbeitet Springfeld bei Volkswagen, als Industriemechaniker. Er geht gern zur Arbeit. Deswegen hatte sich er 54-Jährige auch schon auf einen Einsatz in dieser Woche gefreut. Eine stark ausgedünnte Besetzung kümmert sich im Werk darum, dass die Produktion reibungslos wieder anlaufen kann, wenn es so weit ist. Doch sein Dienst wurde abgesagt. Also: noch mehr Freizeit. Er nutzt die Zeit. "Ich bringe einem Flüchtling Deutsch bei. Das machen wir jetzt per Videotelefonie. Und zwar jeden Tag."
"Es reicht für die Betriebskosten"
Markus Trostorff hat ein sonniges Gemüt. Nicht nur, wenn die Sonne scheint. Und das, obwohl er als selbstständiger Versicherungsmakler gerade kaum Geld verdient. Er verkauft Finanzdienstleistungsprodukte – eigentlich. "Durch meinen Bestand kommt noch so viel rein, dass ich meine Betriebskosten decken kann. Mehr ist nicht drin." Er hat staatliche Soforthilfe beantragt. Eine Antwort hat der Erfurter aber noch nicht bekommen. "Die IHK hat meinen Antrag auf Vollständigkeit geprüft und an die Thüringer Aufbaubank weitergeleitet. Jetzt heißt es: abwarten." Geldsorgen hat er dennoch nicht. "Zum Glück arbeitet meine Frau im öffentlichen Dienst. Dadurch sind wir auf jeden Fall abgesichert. Wir müssen nicht verhungern."
Generell findet Trostorff, dass man sich in Deutschland nicht beschweren dürfe. "Meine Frau stammt aus Brasilien. Wenn dort jemand nicht arbeiten kann, kommt gar kein Geld rein. Und dann kann sich derjenige auch nichts mehr zu essen kaufen. Davon sind wir hier weit entfernt." Sorgen macht sich der 54-Jährige über Länder mit schlechterer Gesundheitsversorgung. "Ich darf gar nicht daran denken, was passiert, wenn sich das Virus in Afrika ausbreitet. Dann kann selbst ich die Sonne nicht mehr genießen."
"In schwierigen Zeiten kümmern sich Führungskräfte weniger um Soft Skills"
Eigentlich sei die Coronakrise doch eine gute Zeit für ihre Arbeit, meint Dr. Frauke Althoff. Jetzt, wo alles ein wenig langsamer läuft, gewohnte Arbeitsprozesse stillstehen. Doch gebucht wird Althoff gerade nicht. Die studierte Arbeitspsychologin aus Radebeul verdient ihr Geld sonst im Bereich Konfliktberatung, Coaching, Mediation. Seit 1994 ist sie selbstständig. Obwohl sie schon 74 Jahre alt ist, denkt sie nicht ans Aufhören. Zwar bekommt sie eine Rente. Die falle aber viel zu gering aus. Frauke Althoff berät daher Führungskräfte, die Probleme mit ihren Teams haben oder vermittelt in Krisensituationen auf Arbeit. Gebucht werde sie von Krankenkassen, vom öffentlichen Dienst, aber auch von Industriebetrieben. Seit Anfang März seien aber all ihre Einsätze abgesagt worden. Demnach kommt auch kein Geld rein. Sie befürchtet, dass das auch noch eine Weile so bleiben wird. "Wenn die Coronakrise überstanden ist, werden die Unternehmen erst mal andere Probleme angehen. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten kümmern sich Führungskräfte weniger um Soft Skills." Gerade ist sie dabei, ihr Geschäftsmodell ins Internet zu verlagern – Online-Coaching. Ein paar technischen Hürden seien aber noch zu meistern.
"Die Schnellkredite nehmen ein bisschen die Angst"
Ihre Sorgen um die Zukunft sind Claudia Purfürst schon am Tonfall anzuhören. Gedrückte Stimmung im thüringischen Schleiz. Ihr Mann und sie haben dort ein Autohaus: Familienbetrieb seit 1934. Um genau zu sein: Ulrich Purfürst ist der Inhaber, Claudia Purfürst kümmert sich als Angestellte um die Buchhaltung. Wie alle anderen Mitarbeiter bekommt die 58-Jährige jetzt Kurzarbeitergeld. Mit den staatlichen Hilfen, etwa den Schnellkrediten für Mittelständler, ist sie zufrieden. "Das nimmt einem ein bisschen die Angst."
Ein banges Gefühl aber bleibt. Wie wird es weitergehen? Claudia Purfürst versprüht da wenig Optimismus. "Wenn jetzt Leute ihre Arbeit verlieren oder insgesamt weniger Geld verdienen, werden sie sich nicht als erstes ein neues Auto kaufen, wenn wir wieder öffnen." Nach wie vor gearbeitet wird in der Werkstatt. Allerdings sei die Nachfrage spürbar zurückgegangen. "Die Kunden sind verunsichert, wissen nicht, dass die Werkstatt geöffnet hat. Die rufen dann auch nicht unbedingt an, um nachzufragen." Und die ältere Kundschaft traue sich mitunter gerade gar nicht aus dem Haus.
Null Einnahmen, 100 Prozent Ausgaben
Thomas Stöhr vermisst seine Gäste. Der Dresdner betreibt das Gartenlokal "Zum Sachsen". Die Gaststätte liegt in der Kleingartensparte Sachsenwerk im Stadtteil Niedersedlitz. Und während in den umliegenden Kleingärten Hochbetrieb herrscht, ist das Lokal von Thomas Stöhr gerade vor allem eines: leer. Ebenso wie die Kasse. "Ich habe 0 Einnahmen, aber 100 Prozent Ausgaben." Letztere lägen bei mehr als 3.000 Euro monatlich. Stöhr hat die staatliche Soforthilfe beantragt, glaubt aber nicht, dass das Geld seine Fixkosten decken wird. Trotzdem ist er optimistisch. "Ich lebe von meinen Stammkunden. Die sind wirklich treu. Die kommen bei Regen, Schnee, Hitze – immer. Und die werden auch nach Corona wieder kommen."
Obwohl er schon aufs Rentenalter zugeht, hat der 62-Jährige den Pachtvertrag für die Gaststätte gerade erst um fünf Jahre verlängert. Aufhören, das Lokal abgeben? "Das kann ich meinen Gästen nicht antun! Die scharren jetzt schon mit den Hufen." Die Zeit ohne seine Gäste nutzt Thomas Stöhr für einen intensiven Frühjahrsputz. Bier fließt in seiner Gaststätte übrigens trotzdem, verrät er – aber nur für den Eigenbedarf.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR aktuell | 08. April 2020 | 21:45 Uhr