199. Sitzung des Bundestages 4 min
Bei Bundestagswahlen schon mit 16 oder 17 an die Wahlurne? Eine große Mehrheit lehnt das in der aktuellen Befragung ab. Auch bei den 16- bis 29-Jährigen würde eine Mehrheit das Mindestwahlalter nicht absenken. Bildrechte: IMAGO / Achille Abboud
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MDR AKTUELL Mo 10.02.2025 10:57Uhr 03:39 min

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MDRfragt Große Mehrheit gegen Wählen ab 16 bei Bundestagswahlen

12. Februar 2025, 08:55 Uhr

Acht von zehn Befragten sind in der aktuellen Erhebung von MDRfragt dagegen, bei Bundestagswahlen schon 16-Jährige wählen zu lassen. Das plante die Ampelkoalition bereits für die aktuelle Wahl, damit die junge Generation von der Politik mehr wahrgenommen wird. Doch selbst bei den 16- bis 29-Jährigen ist eine deutliche Mehrheit gegen ein Absenken des Wahlalters. Beim Stimmungsbild des MDR-eigenen Meinungsbarometers haben fast 23.000 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mitgemacht.

Pierre Gehmlich
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"Niemand muss wählen. Er sollte aber die Möglichkeit dazu haben, wenn er das will. Mit 16 ist bei manchen Jugendlichen die Reife dafür vorhanden. Bei anderen 25-Jährigen dagegen nicht", schreibt Tanja (46) aus dem Ilm-Kreis. Tom (28) aus dem Vogtlandkreis kommentiert: "Durch den demografischen Wandel haben junge Leute zu wenig Einfluss, obwohl sie die Konsequenzen der Wahl am stärksten spüren." Die Kommentare von Tanja und Tom stehen in der aktuellen Befragung stellvertretend für die Argumente vieler Befürworter eines Wahlrechts ab 16 Jahren: Aus ihrer Sicht können auch schon Jugendliche eine fundierte Wahlentscheidung treffen, die zu ihren Bedürfnissen und Werten passt. Mit dem aktuellen Wahlrecht werde die junge Generation zu wenig gehört, dabei gehe es auch um ihre Zukunft. Doch die Befürworter des Wählens ab 16 sind in der aktuellen Befragung von MDRfragt deutlich in der Minderheit: Gerade einmal jede und jeder Fünfte (20 Prozent) spricht sich dafür aus, das Mindestalter bei Bundestagswahlen zu senken.

Wählen ab 16 bei Bundestagswahl
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Acht von zehn Befragten (79 Prozent) sind dagegen, bei Bundestagswahlen schon 16- oder 17-Jährige wählen zu lassen. Die deutliche Ablehnung findet sich in allen Altersgruppen. Selbst bei den 16- bis 29-Jährigen sind sechs von zehn Befragten (61 Prozent) dagegen, das Mindestalter bei Bundestagswahlen auf 16 abzusenken.

Hinweis Die Stimmungsbilder von MDRfragt sind auch dank der hohen Teilnehmendenzahl aussagekräftig. Dieses Mal sind es fast 23.000 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Da alle MDRfragt-Mitglieder ihre Meinung einbringen können und sollen, werden keine Zufalls-Stichproben gezogen.

Die Ergebnisse sind damit nicht repräsentativ. Um mögliche Verzerrungen durch die Zusammensetzung der Befragten zu verringern, werden die Befragungsergebnisse nach bewährten wissenschaftlichen Methoden gewichtet. Zudem erlauben die Begründungen und Kommentare der Befragten, die Stimmungstendenzen einzuordnen. Mehr zur Methodik von MDRfragt am Ende des Artikels.

Und: Selbst Befragte, die bei der Bundestagswahl am 23. Februar noch nicht wählen dürfen, weil sie jünger als 18 Jahre alt sind, sprechen sich dagegen aus. Helene (17) aus dem Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge beispielsweise findet, bei einer Wahl ab 16 würde das Ergebnis nicht automatisch die Ansichten und Wünsche junger Menschen widerspiegeln: "Viele Jugendliche sympathisieren nur mit Parteien, um dem Elternhaus oder Gleichaltrigen zu 'trotzen'. Die Meinungen sind also eher polarisierend und voreingenommen. Außerdem wird sich zu wenig über die Wahlprogramme informiert."

Wählen ab 16 - Zustimmung nach Altersgruppen
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In den Kommentaren stellen viele der Befragten zwischen 16 und 29 den Bezug zu einer Zeit her, die für sie noch gar nicht so lange her ist.

  • "Ich hatte mit 16 Jahren noch eine ganz andere Meinung zur Politik, weil ich mich noch nicht so sehr damit befasst hatte. Ich kann mir gut vorstellen, dass es noch vielen anderen so geht." Chris (29) aus Suhl
  • "Man hat einfach nicht den Weitblick und kopiert meist nur, was die Eltern für gut befinden." Anna Katharina (22) aus Halle/Saale
  • "Mit 16 hat man leider noch keinen genügenden Eindruck über das Alltagsleben als Erwachsener. Zudem hat man noch nichts für die Gesellschaft geleistet und sollte sie somit auch noch nicht formen dürfen." Anne (27) aus dem Erzgebirgskreis
  • "In dem Alter ist man noch zu leicht manipulierbar durch den Freundeskreis oder populistische TikTok-Videos." Eileen (27) aus dem Harz
  • "Leider zeigen die Jugendwahlen, dass es den 16- und 17-Jährigen massiv an politischer Bildung fehlt. Eine Herabsetzung des Wahlalters würde die Demokratie gefährden." Jasmin (25) aus Dresden
  • "Wie aberwitzig ist das denn? Nur beschränkt geschäftsfähig, kein Auto fahren dürfen, nicht wie Erwachsene strafbar. Aber wählen?" John (29) aus Sachsen

Die Ampelregierung wollte bis zur Bundestagswahl 2025 das Wahlalter auf 16 Jahre senken. Dafür hätte das Grundgesetz mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag geändert werden müssen. CDU und AfD lehnten das Vorhaben ab und damit wäre auch die Zweidrittelmehrheit nicht zustande gekommen. Damit wird bei der Bundestagswahl am 23. Februar weiter erst ab 18 gewählt.

Wahlhelfer und Wahlhelferinnen zählen in einem Wahllokal Stimmzettel für die Bundestagswahl 4 min
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In vielen Kommentaren wird auf fehlende Reife verwiesen

Jugendlichen fehle mit 16 Jahren noch die "Reife" für eine Bundestagswahl, kommentieren in der aktuellen Befragung viele Gegner eines niedrigeren Wahlalters. So schreibt beispielsweise Sandy (40) aus Leipzig: "Mit 16 hat man noch nicht die 'geistige' und emotionale Reife, um politische Entscheidungen zu treffen." Joachim (78) aus dem Burgenlandkreis findet: "Die politische Bildung an unseren Schulen ist, vorsichtig ausgedrückt, weitestgehend zum Vergessen. Dazu muss man sich nur die Kenntnisse der Schüler zum Holocaust anschauen. Nicht anders sieht es zu den Kenntnissen zur Demokratie aus."
"Wer ein Leben lang mit jungen Leuten gearbeitet hat, der weiß, dass man sich eigentlich bis zum 20. Lebensjahr orientiert und manifestiert. Jugend neigt in dieser Phase oft zu kurzsichtigen und impulsiven Entscheidungen", schreibt Erika (73) aus dem Harz. Petra (60) aus dem Harz kommentiert: "Ich halte viele in dem Alter nicht für unabhängig informiert. Sie beziehen ihr Wissen häufig aus Social Media."

Die politische Reife geht langsam auch den Älteren verloren. Sonst hätten wir mehr Konsens in der Gesellschaft und weniger Aggressivität.

MDRfragt-Teilnehmer Andreas (70) aus dem Landkreis Leipzig

Auch in öffentlichen Diskussionen über das Wahlalter geht es immer wieder um die Frage, ob Jugendliche schon mit 16 die nötige "politische Reife" haben. "Politische Reife" steht vereinfacht gesagt für das nötige Interesse an Politik und das Wissen über Politik, um eine fundierte Entscheidung zu treffen. In der aktuellen Befragung finden acht von zehn Teilnehmenden (79 Prozent) aus der MDRfragt-Gemeinschaft, Menschen unter 18 Jahren hätten noch nicht die politische Reife für eine Bundestagswahl. Das sieht auch Andreas (70) aus dem Landkreis Leipzig so. Er gibt aber zu bedenken: "Die politische Reife fehlt nicht nur der Jugend, die geht langsam auch den Älteren verloren. Sonst hätten wir mehr Konsens in der Gesellschaft und weniger Aggressivität." Henning (24) aus dem Landkreis Gotha fragt wiederum: "Was soll politische Reife sein? Oder kennen Sie Ihren EU-Abgeordneten in Straßburg? Dann haben Sie genug politische Reife?"

Haben 16-Jährige politische Reife für Wahlentscheidungen?
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Jeder und jede Siebte würde Wahlalter sogar auf 21 anheben

Bei der Bundestagswahl kann ab 18 gewählt werden. Das ist aus Sicht einer Mehrheit auch das passende Mindestalter (60 Prozent). Unter den Teilnehmenden der aktuellen Befragung finden sich auch einige, die das Mindestalter bei Bundestagswahlen sogar noch anheben würden. Für das Wählen ab 21 stimmen 15 Prozent der Befragten. Darunter ist auch Robert (27) aus dem Landkreis Bautzen. Er begründet seinen Wunsch nach dem Anheben des Wahlalters so: "Ich hatte selbst mit 20 keine Ahnung, was ich wählen soll. Junge Menschen müssen erstmal ihr eigenes Leben in den Griff bekommen und sich eine Meinung von der Welt bilden." Rommy (64) aus Dresden begründet ihre Sicht so: "Politik ist so schwierig geworden und in der heutigen Zeit kaum noch durchschaubar."

Meinetwegen könnte man auch eine Altersbegrenzung für Alte ins Spiel bringen. Die haben zwar kein TikTok, sind aber super leicht zu beeinflussen.

MDRfragt-Teilnehmer Mario (59) aus dem Landkreis Bautzen

Willem aus Dresden ist 20 Jahre alt und stimmt auch für 21 als passendes Wahlalter bei Bundestagswahlen. Er gibt aber zu bedenken: "Politische Reife lässt sich nicht automatisch am Alter ablesen, viele Faktoren haben Einfluss darauf. Letztlich wird es nie gelingen, ein ideales Wahlsystem zu machen." Es müsse aber sichergestellt sein, dass Menschen informiert wählen. Mario (59) aus dem Landkreis Bautzen findet: "Meinetwegen könnte man auch eine Altersbegrenzung für Alte ins Spiel bringen. Die haben zwar kein TikTok, sind aber super leicht zu beeinflussen."

Ideales Wahl-Alter bei Bundestagswahl
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Europawahl ab 16, Bundestagswahl ab 18: Mehrheit findet Unterschiede nicht in Ordnung

Bei der Europawahl im Juni 2024 durften in Deutschland erstmals auch 16-Jährige wählen. Bei Landtags- und Kommunalwahlen dürfen die Bundesländer entscheiden, ob sie ab 16 oder ab 18 wählen lassen. In Sachsen-Anhalt durfte im Juni letzten Jahres bei den Kommunalwahlen ab 16 gewählt werden. Bei der Bundestagswahl bleibt es erstmal weiter beim Wählen ab 18. Die unterschiedlichen Regelungen beim Alter finden acht von zehn Befragten nicht in Ordnung (83 Prozent). Die Ablehnung des "Flickenteppichs" zieht sich auch wieder quer durch alle Altersgruppen.

  • Bei den 16- bis 29-Jährigen kritisieren im Vergleich mit den anderen Altersgruppen etwas weniger Befragte Unterschiede beim Wahlalter: Sieben von zehn Befragten (69 Prozent).
  • Bei den 30- bis 49-Jährigen finden acht von zehn Teilnehmenden (83 Prozent) die Unterschiede beim Wahlalter nicht in Ordnung.

Unterschiede bei Mindestalter bei verschiedenen Wahlen
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Ute (87) aus Leipzig begründet ihre Kritik an den nicht einheitlichen Alters-Regelungen so: "Was haben sich die Verantwortlichen dabei gedacht?! Wird da nicht eine Art Wahl entwertet?" Ähnlich sieht das auch eine 42-jährige MDRfragt-Teilnehmerin aus dem Landkreis Mansfeld-Südharz: "Es vermittelt den Eindruck, als hätte eine Wahl mehr Bedeutung oder Gewicht als eine andere. Was schlicht nicht stimmt. Jede Wahl beeinflusst das Leben der Menschen. Sei es auf kommunaler, nationaler oder europäischer Ebene."

Bettina (54) aus dem Landkreis Saalfeld-Rudolstadt gehört zu den Befragten, die Unterschiede beim Wahlalter akzeptieren: "Für die Kommunalwahl finde ich es gerade noch so in Ordnung, dass 16-Jährige ihre Stimme abgeben sollten. Hier geht es ja eigentlich um ihre direkten Bezüge zu ihrem eigenen Lebensumfeld, welches sie dadurch indirekt mitbestimmen und mitgestalten könnten." Harald (66) würde das Mindestalter sogar noch weiter absenken – allerdings nur für bestimmte Wahlen. "Ich wäre dafür, dass auf kommunaler Ebene Bürger ab 12 Jahren wählen dürfen, um bereits im Unterricht und im eigenen Lebensumfeld die positiven und negativen Mechanismen der Demokratie kennen zulernen. Dann wird es für demokratieferne Kräfte nicht mehr so einfach sein, Wähler zu täuschen." Bei Bundestagswahlen dagegen sollte aus Sicht des MDRfragt-Teilnehmers aus dem Landkreis Meißen erst mit 21 Jahren gewählt werden dürfen.

Über diese Befragung Die Befragung: "Mit 16 wählen – eine gute Idee?“ lief vom 24. bis zum 27. Januar. Insgesamt haben 22.768 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mitgemacht.

Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen. Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ.

Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland. MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests.

MDR-fragt-Logo vor einer Einkaufsstraße mit vielen Menschen 1 min
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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 10. Februar 2025 | 19:30 Uhr