MDRfragt Kritischer Blick auf Minderheitsregierung in Sachsen
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18. Dezember 2024, 03:00 Uhr
Vor der Landtagswahl regierte Ministerpräsident Kretschmer mit seiner CDU, der SPD und den Grünen. Der Plan für die neue Regierung: ohne die Grünen und ohne eigene Mehrheit. Ein aktuelles MDRfragt-Stimmungsbild mit mehr als 12.000 Befragten aus Sachsen ergibt: Ein Großteil glaubt nicht, dass das stabil funktioniert.
- Überwiegend Skepsis, dass CDU und SPD Sachsen ohne eigene Mehrheit stabil regieren können.
- Blick zum Nachbarn: Die Thüringer MDRfragt-Gemeinschaft sieht ihre neue Brombeer-Regierung ähnlich kritisch.
- Kritik an Minderheitsregierung ist bei vielen Befragten sehr grundsätzlich.
Sachsens geschäftsführender Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) wollte eine Minderheitsregierung lange vermeiden. Jetzt will er sich als Regierungschef wiederwählen lassen — und danach mangels Alternativen eine solche Koalition ohne eigene Mehrheit führen.
Wenn die sächsische MDRfragt-Gemeinschaft sein Beraterstab wäre, dann gäbe es für diesen Plan viel Stirnrunzeln. Ein Drittel der Befragten glaubt zwar eher daran, dass Sachsen künftig stabil regiert wird. Das heißt aber im Umkehrschluss: Der größere Teil der mehr als 12.000 Befragten aus Sachsen (57 Prozent) glaubt das eher nicht.
Was lässt Befragte an stabile Regierung glauben
Mit Blick auf die Kommentare zeigt sich ein roter Faden. Egal, ob sich die sächsischen Befragten eher unter jenen einordnen, die an eine stabile Regierung ohne eigene Mehrheit glauben oder nicht: Bei vielen schwingt so oder so ein wenig Ratlosigkeit mit.
So glaubt etwa Lothar (67) aus dem Landkreis Leipzig eher, dass das mit einer stabilen Regierung im Freistaat klappen wird. Sein Kommentar: "Unsere Regierung in Sachsen sollte zusehen, dass es auch in Sachsen weiter geht." Gleichzeitig merkt er an: "Eine Minderheitsregierung hat es immer schwer, ihre Beschlüsse umzusetzen, wenn man zehn Stimmen von der Opposition benötigt. Blockadeverhalten der Opposition ist nicht auszuschließen. Und wie dann weiter?"
Manche sind optimistisch, bedauern aber gleichzeitig, dass das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) aus den Sondierungsgesprächen ausgestiegen ist. Zu ihnen gehört etwa Steffi (54) aus Leipzig: "Mir wäre eine Regierung mit dem BSW lieber gewesen."
Andere, wie Barbara (77) aus Leipzig, schöpfen ihren Optimismus aus der Person Michael Kretschmer: "Mit gutem Willen und Verstand ist das lösbar. Ich halte viel von unserem Ministerpräsidenten, er schafft das." Und auch andere MDRfragt-Mitglieder glauben vor allem an die Personen an der Spitze der angedachten Koalition. So meint Ramona (70) aus Leipzig: "Kretschmer und Köpping sind ein gutes, realistisches Duo."
Hinweis
Die Stimmungsbilder von MDRfragt sind auch dank der hohen Teilnehmendenzahl aussagekräftig.
Dieses Mal sind es mehr als 12.000 Menschen aus Sachsen.
Da alle MDRfragt-Mitglieder ihre Meinung einbringen können und sollen, werden keine Zufalls-Stichproben gezogen.
Die Ergebnisse sind damit nicht repräsentativ. Um mögliche Verzerrungen durch die Zusammensetzung der Befragten zu verringern, werden die Befragungsergebnisse nach bewährten wissenschaftlichen Methoden gewichtet. Zudem erlauben die Begründungen und Kommentare der Befragten, die Stimmungstendenzen einzuordnen. Mehr zur Methodik von MDRfragt am Ende des Artikels.
Was sind Argumente gegen stabile Regierung
Doch wie es Befragte gibt, die gerade wegen dem CDU-Spitzenpolitiker Kretschmer an eine Minderheitsregierung glauben, gibt es andere, die genau wegen ihm an der Stabilität zweifeln. Immer wieder werfen Befragte dem geschäftsführenden Ministerpräsidenten vor, es gehe ihm vor allem darum, an der Macht zu bleiben.
So meint Thomas (54) aus dem Landkreis Bautzen: "Kretschmer geht es ausschließlich um Macht und Posten. So wie er sich dreht, da wird einem schwindelig." Das MDRfragt-Mitglied aus Ostsachsen verweist darauf, dass Kretschmer kurz nach der Landtagswahl noch gesagt habe, eine Minderheitsregierung könne nicht funktionieren. "Und jetzt? Es gäbe noch mehr solcher Beispiele", so Thomas weiter.
Andere, die nicht an eine stabile CDU-SPD-Minderheitsregierung in Sachsen glauben, argumentieren nicht selten mit der Abhängigkeit von der Opposition. So meint Thomas (57) aus Mittelsachsen: "Die AfD wird, wo immer sie kann, 'dazwischengrätschen'."
Anderes Bundesland, gleiche Tendenz
In Thüringen ist der Start der Minderheitsregierung schon am 12. Dezember 2024 mit der Wahl des CDU-Politikers Mario Voigt zum neuen Ministerpräsidenten gelungen.
Auch vor dieser Abstimmung wollte die Redaktion von der MDRfragt-Gemeinschaft in Thüringen wissen, ob sie der ersten Koalition aus CDU, SPD und Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) trotz fehlender eigener Stimme eine stabile Regierung zutrauen.
Das Ergebnis: Anderes Bundesland, sehr ähnliches Meinungsbild. Auch in Thüringen vertraut gut ein Drittel der Befragten (37 Prozent) darauf, dass in der Erfurter Staatskanzlei — und vor allem im Landtag — stabil regiert werden kann. Die Mehrheit der Befragten (57 Prozent) glaubt hingegen nicht daran. Mehr können Sie im ausführlichen Artikel dazu lesen – oder alle Ergebnisse des Thüringer Stimmungsbildes herunterladen.
In Sachsen gilt: Minderheitsregierung sehen viele grundsätzlich kritisch
Die Zweifel daran, dass in Thüringen oder in Sachsen mit schwierigen Mehrheitsverhältnissen stabil regiert werden kann, gehen Hand in Hand mit einem anderen Ergebnis des aktuellen Stimmungsbildes aus der sächsischen MDRfragt-Gemeinschaft:
Es gibt mehr Gegnerinnen und Gegner der Idee, eine Minderheitsregierung zu bilden, als es Unterstützerinnen und Unterstützer dafür gibt. So sagte rund die Hälfte der sächsischen Befragten (52 Prozent), sie lehnten die geplante Minderheitsregierung ab oder eher ab.
Rund jede und jeder Dritte (35 Prozent) steht dem Vorhaben hingegen positiv oder eher positiv gegenüber. Der Rest (13 Prozent) positioniert sich in dieser Frage weder für noch gegen die Pläne für eine CDU-SPD-Minderheitsregierung.
Was für eine Minderheitsregierung vorgebracht wird
Ein Argument für eine Minderheitsregierung ist ein pragmatisches und hoffnungsvolles. So meint etwa Wolfgang (65) aus Chemnitz: "Es gab in Sachsen-Anhalt und Thüringen schon Minderheitsregierungen, die dort auch funktionierten. Ich hoffe, das klappt in Sachsen auch. Eine beim Scheitern notwendige Neuwahl würde die Verhältnisse meines Erachtens nicht bessern." Auch eine Teilnehmerin (46) aus Chemnitz nennt ein Argument, das sich immer wieder findet: "Solange die AfD nicht mit rummurkst, beziehungsweise Teil der Regierung ist, ist mir das relativ egal." Für Claudia (57) aus Leipzig gilt: "Lieber Minderheitsregierung mit offenem Ausgang als rechte Mehrheiten!"
Und Henning (47) aus dem Landkreis Bautzen findet die Minderheitsregierung aus grundsätzlichen Überlegungen gut: "So können alle Parteien zeigen, wie wichtig ihnen die Regierungsbeteiligung wirklich ist." Auch Felix (43) aus Leipzig argumentiert, eine Minderheitsregierung könne sogar hilfreich sein in diesen Zeiten: "Wenn Realpolitik gemacht wird, finde ich eine Minderheitsregierung richtig gut. Weil dann können alle Parteien im Landtag gestalten."
Was sagen die Kritikerinnen und Kritiker?
Wer sich an der Minderheitsregierung stört, hat oft genau das gegenteilige Gefühl. Eric (31) aus dem Landkreis Bautzen bringt ein immer wieder formuliertes Argument vor: "Ich bin der Meinung, sowas ist nicht wirklich demokratisch — weil so ein großer Teil der Wähler ausgeschlossen wird."
Auch eine andere Kritik findet sich sehr oft: Nämlich daran, dass die CDU bei ihrem Wort von vor der Wahl geblieben ist — und keine Koalition mit der AfD eingehen will. Andere, wie Christian (57) aus Mittelsachsen, stoßen sich prinzipiell daran, dass eine Zusammenarbeit mit Parteien vor der Wahl ausgeschlossen wird.
Er schreibt: "Schade, dass hier die Grünen und die AfD vorher schon ausgeschlossen wurden." Sein Argument: "Die CDU führt und man muss alle Wähler respektieren. Man kann den Schluss ziehen, dass AfD und so weiter undemokratisch sind, aber ein Gespräch muss es geben. Der 'Bauch der Gesellschaft' fühlt sich nicht respektiert."
Manche formulieren das Gefühl, dass die neue Regierung so ähnlich sei wie die andere und quasi alles beim Alten bleiben. So begründet Thomas (58) aus Dresden seine Kritik so: "Weil keine Veränderungen in Aussicht sind und die sind dringend notwendig!" Auch andere Befragte zweifeln, ob eine erneute Koalition, in der wieder CDU und SPD zusammensitzen — dieses Mal nur eben ohne die bisher mitregierenden Grünen — so eine gute Idee ist. Eric (37) aus dem Landkreis Zwickau meint: "Was hat die SPD in dieser Situation zu gewinnen?! Es wird ein Desaster."
Über diese Befragung
Die Befragung: "Vertrauensfrage im Bundestag: Wird nach der Neuwahl alles besser?" lief vom 6. bis 9. Dezember. Insgesamt haben 24.211 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mitgemacht.
Bei dieser Befragung gab es auch an alle MDRfragt-Mitglieder aus Sachsen zusätzliche Fragen zur sich abzeichnenden Minderheitsregierung. Aus Sachsen haben wir zur Minderheitsregierung die Meinung von mehr als 12.000 Menschen eingeholt.
Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen. Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ.
Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland. MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 18. Dezember 2024 | 10:00 Uhr