Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen
Was nun? Nach den geplatzten Sondierungen sind in Sachsen fast so viele MDRfragt-Mitglieder für Neuwahlen - wie für eine Minderheitsregierung. Bildrechte: picture alliance/dpa | Robert Michael

MDRfragt Neuwahlen gewünscht – nicht nur im Bund

08. November 2024, 18:33 Uhr

Deutschland hat seit wenigen Tagen keine Regierung mehr mit eigener Mehrheit, Sachsen und Thüringen schon seit Anfang September. Ein MDRfragt-Stimmungsbild zeigt, dass viele sich schnelle Neuwahlen im Bund wünschen. Auch in Thüringen tendiert das Meinungsbild in diese Richtung. In Sachsen liegen Befürworter von Neuwahlen und Minderheitsregierung fast gleichauf.

MDR-Redakteurin Franziska Höhnl
MDR-Redakteurin Franziska Höhnl Bildrechte: MDR / David Sievers

Nachrichten

Olaf Scholz vor Bundestag 10 min
Bildrechte: IMAGO / Christian Spicker/ MDR

Nachrichten

Olaf Scholz vor Bundestag 10 min
Bildrechte: IMAGO / Christian Spicker/ MDR

Blick auf Sachsen - und Thüringen

"Minderheitsregierung halte ich für kein probates Mittel in diesen unsicheren und turbulenten Zeiten", meint Marco (41) aus dem Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. "Wenn sich Regierungskoalitionen schon nicht einigen können, sehe ich das bei Minderheitsregierungen, wo man immer auf Oppositionsstimmen angewiesen ist, noch kritischer." Ganz im Gegenteil findet Annett (53) aus dem Vogtlandkreis: "Minderheitsregierung für Sachsen und Thüringen, oder soll so lange gewählt werden, bis das Ergebnis passt?!"

Diese beiden Kommentare spiegeln ganz gut wider, wie hin- und hergerissen die sächsische MDRfragt-Gemeinschaft in der Frage ist, ob es lieber schnell Neuwahlen für den Sächsischen Landtag geben — oder Amtsinhaber Michael Kretschmer (CDU) doch eine Minderheitsregierung versuchen sollte.

Befürworter von Minderheitsregierung oder Neuwahlen fast gleichauf

Nach dem Aus für die Gespräche zwischen CDU, SPD und Bündnis Sahra Wagenknecht in Dresden sind die Befürworter für schnelle Neuwahlen unter den mehr als 14.000 sächsischen Befragten zwar leicht in der Überzahl (44 Prozent). Doch nur geringfügig weniger Befragte (37 Prozent) sprechen sich dafür aus, dass Sachsen es mit einer Minderheitsregierung versuchen soll.

Befragung zum Thema: Wie weiter in Sachsen? Stimmungsbild aus Sachsen
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Hinweis Die Stimmungsbilder von MDRfragt sind auch dank der hohen Teilnehmendenzahl aussagekräftig. Da alle MDRfragt-Mitglieder ihre Meinung einbringen können und sollen, werden keine Zufalls-Stichproben gezogen. Die Ergebnisse sind damit nicht repräsentativ. Um mögliche Verzerrungen durch die Zusammensetzung der Befragten zu verringern, werden die Befragungsergebnisse nach bewährten wissenschaftlichen Methoden gewichtet. Zudem erlauben die Begründungen und Kommentare der Befragten, die Stimmungstendenzen einzuordnen. Mehr zur Methodik von MDRfragt am Ende des Artikels.

Dieses neue Bündnis wäre eine Koalition aus CDU, SPD und Bündnis Sahra Wagenknecht gewesen, doch am Mittwoch ließ das BSW die Gespräche platzen - im Streit um die Friedensformel in der Präambel und jetzt ist offen, wie es weitergeht. Ministerpräsident Kretschmer ist seit der Landtagswahl skeptisch, was eine Minderheitsregierung angeht. Klar ist gleichzeitig: Gibt es keine Lösung, sieht die sächsische Verfassung nach sechs Monaten Neuwahlen vor.

Argumente für eine Minderheitsregierung in Sachsen

Wer für eine Minderheitsregierung ist, argumentiert zum Beispiel damit, dass dann die Sachthemen im Vordergrund stehen, weil immer wieder neue Mehrheiten gefunden werden müssen.

So sieht es zum Beispiel Falk (44) aus Dresden: "In Sachsen und Thüringen sollen sie mal schön eine Minderheitsregierung machen und dann einfach saubere Sachpolitik. Damit wäre allen am meisten geholfen", schreibt er. Gisela (71) aus dem Landkreis Bautzen sieht es so: "Bei einer Minderheitsregierung müssen Kompromisse gesucht werden."

Andere sächsische MDRfragt-Mitglieder sind für eine Minderheitsregierung, weil sie das Bündnis Sahra Wagenknecht nicht auf der Regierungsbank sehen wollen. Entweder aus Motiven, wie sie Peter (58) aus dem Landkreis Zwickau formuliert: "BSW ist für mich nicht tragbar mit Wagenknechts unrealistischen Forderungen."

Und Andreas (66) aus dem Erzgebirgskreis wird noch deutlicher: "Ich bin froh, dass das BSW nicht mehr bei Gesprächen zur Regierungsbildung in Sachsen beteiligt ist. Eine Partei, die Herrn Putin und seinem Gefolge nach dem Mund redet und weder eine demokratische Struktur noch ein Wahlprogramm hat, möchte ich nie an einem deutschen Kabinettstisch sitzen sehen."

Oder Wortmeldungen wie die von Lutz (75) aus dem Vogtlandkreis finden sich immer wieder: "BSW sollte bei seiner Haltung zu Atomwaffen in Deutschland und zum Ukraine-Krieg bleiben, sonst verraten sie ihre Wähler."

Argumente für Neuwahlen in Sachsen

Doch was sagen jene, die für schnelle Neuwahlen in Sachsen sind? Ronny (54) aus dem Landkreis Bautzen glaubt beispielsweise, dass das BSW nach dem Zerbrechen der Ampel-Koalition im Bund neue Prioritäten hat, die eine Regierungsbeteiligung in den Ländern unwahrscheinlich machen. Er schreibt: "Nach dem 6. November sieht Sahra Wagenknecht ihre Chance, mit wehenden Fahnen in den Bundestag einzuziehen. Das wird sie sich nicht mit Regierungsbeteiligungen in Sachsen und Thüringen vermasseln lassen. Da Herr Kretschmer schon im Vorfeld der Wahlen seine Koalitionsmöglichkeiten beschnitten hat — ohne Not — bleibt ihm ja nicht mehr viel übrig."

Sabine (62) aus dem Landkreis Görlitz meint hingegen: "Dieses Land braucht endlich wieder regierungsfähige Mehrheiten in den Parlamenten. Egal, ob auf Landesbeene oder bundesweit." Und André (66) aus Leipzig ist für Neuwahlen, weil er nicht an Minderheitsregierungen glaubt: "Minderheitsregierungen werden bei der derzeitigen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Lage nichts mehr voranbringen können."

Andere, wie Uta (57) aus dem Landkreis Meißen sind hin- und hergerissen. Sie schreibt: "Neuwahlen können in Sachsen und Thüringen schnell nach hinten losgehen."

Und in Thüringen?

In Thüringen gibt es deutlich weniger Befürworter einer Minderheitsregierung als in Sachsen: Konkret sind 30 Prozent der Befragten aus diesem Freistaat dafür, dass in die Staatskanzlei ein Ministerpräsident ohne eigene Parlamentsmehrheit einzieht. Dagegen ist fast die Hälfte der Befragten (44 Prozent) in Thüringen dafür, dass der Erfurter Landtag schnell neu gewählt wird.

Befragung zum Thema: Wie weiter in Thüringen? Stimmungsbild aus Thüringen
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Mehr als ein Fünftel der fast 7.000 MDRfragt-Mitglieder aus Thüringen entschied sich hingegen für die Option: "weder noch". Das Hauptargument, das sich hinter dieser Antwortkategorie oft findet, ist: AfD und CDU hätten ja eine Mehrheit, dann sollen sie doch einfach zusammen regieren. Mancher meint sogar, dass es Wählerwille sei, dass stärkste und zweitstärkste Kraft zusammenarbeiten — und dass obwohl mehr als jeder zweite CDU-Wähler angab, er habe die Christdemokraten gewählt, damit die AfD nicht nocht mehr Einfluss bekommt. Zudem sind solche großen Koalitionen in deutschen Landes- und Bundesparlamenten seit Jahrzehnten eher nicht die Regel, sondern die Ausnahme.

Argumente für eine Minderheitsregierung in Thüringen

Für Katja (50) aus dem Landkres Greiz gilt: "Sollte es Neuwahlen geben, glaube ich nicht, dass dabei stabile Mehrheiten rauskommen."

"Eine Neuwahl würde nichts ändern", meint Felix (33) aus Erfurt knapp und schlägt vor: "Versuch der Koalition der Parteien außer der AfD". Oder wie Thomas (53) aus Erfurt es ausdrückt: "Die Bürger haben gewählt und jetzt bildet damit eine Regierung?!"

Für Johannes (29) aus Jena gilt: "Die Politik hat den Auftrag, so viel zurückzustellen, dass eine Mehrheit zustande kommt". Auch er speist seine Argumente vor allem aus dem Wunsch, Neuwahlen zu vermeiden: "Neuwahlen direkt nach einer Wahl senken die Wahlbeteiligung."

Und auch Thomas (52) aus dem Landkreis Saalfeld-Rudolstadt meint, es sei egal, ob jetzt oder in einem Jahr neu gewählt werden müsse: "Solange Rechts- und Linkspopulisten auf dem Vormarsch sind, ist die Demokratie gefährdet. Das ist es, was mir Sorgen bereitet."

Andreas (63) aus dem Wartburgkreis rät zu mehr Geduld: "Die Koalitionsverhandlungen in Sachsen und Thüringen brauchen Zeit. Auch wenn die Aussichten nicht sehr hoffnungsvoll sind: Minderheitsregierungen sind wirklich die allerletzte Möglichkeit."

Was für Neuwahlen in Thüringen spricht

Und was bewegt die MDRfragt-Mitglieder, die wollen, dass in ihrem Thüringen so schnell wie möglich neu gewählt wird? Vor allem die schwierigen Kräfteverhältnisse, die es derzeit quasi unmöglich machen, dass eine stabile Regierung mit eigener Mehrheit zustande kommt.

Bei einigen MDRfragt-Mitgliedern, wie Annette (61) aus Erfurt, sind Neuwahlen mit Hoffnungen verbunden: "Vielleicht werden doch noch einige Menschen wach und setzen nicht auf die zerstörerische Wirkung von AfD und BSW, sondern auf demokratische Parteien." Ähnlich geht es Ronny (35) aus dem Unstrut-Hainich-Kreis, der findet: "In Thüringen und Sachsen sollte eine Regierung ohne BSW und AfD gebildet werden."

Neuwahlen im Bund: Wann wäre gut?

Während in Sachsen und Thüringen noch Unklarheit herrscht, ob es auf Minderheitsregierung oder vorgezogene Neuwahlen hinausläuft, gilt für den Bundestag: Erst das eine und dann das andere. Wenige Stunde nach dem Abbruch der Sondierungsgespräche für eine Landesregierung in Sachsen zerbrach in Berlin die rot-gelb-grüne Bundesregierung.

Bundeskanzler Olaf Scholz versprach nach dem Rausschmiss von Finanzminister Christian Lindner (FDP), dass er den Weg für vorgezogene Neuwahlen frei machen will — angesichts der aktuellen Herausforderungen von kriselnder Wirtschaft, Ukraine-Krieg und Trump-Wiederwahl aber erst für Frühjahr kommenden Jahres. Seine Begründung: Er wolle vorher möglichst noch einige wichtige Gesetze zu beschließen.

Befragung zum Thema: Neuwahlen im Frühjahr auf Bundesebene
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Immerhin ein gutes Viertel (26 Prozent) der fast 28.000 befragten MDRfragt-Mitglieder findet: Diese vom Bundeskanzler vorgeschlagene Terminkette für Neuwahlen ist genau richtig. Gleichzeitig ist der Anteil derjenigen, die lieber früher einen neuen Bundestag wählen wollen, mehr als doppelt so groß (61 Prozent).

So schnell wie möglich neuer Bundestag

Karl (25) aus Chemnitz hätte gern so schnell wie möglich wieder eine Bundesregierung mit eigener Mehrheit und begründet das so: "Vor dem Amtsantritt Trumps und damit einhergehenden Komplikationen. Da ist eine bereits neu aufgestellte, handlungsfähige Bundesregierung nötig."

Thomas (53) aus Erfurt führt den Haushalt als Argument an, warum es schnellstmöglich Neuwahlen braucht: "Aufgrund der Tatsache, dass im Bundestag kein Haushalt 2025 beschlossen wurde und nicht absehbar ist, dass Olaf Scholz eine Mehrheit findet, sollten so schnell wie möglich Neuwahlen stattfinden, damit eine neue Regierung diesen Stillstand überwinden kann." Dahingegen meint Felix (33), andersherum wird ein Schuh draus: "Haushalt verabschieden, und dann Neuwahl."

Auch Henriette (44) aus Dresden ist für schnellstmögliche Neuwahlen: "Im Bundestag sind rasche Neuwahlen am sinnvollsten, da die aktuelle Regierung am Ende ist und im Grunde keine Beschlussfähigkeit mehr besitzt."

Katrin (42) aus Dresden würde mit Neuwahlen gerne noch warten: "Ich fände es tatsächlich besser, hier Einheit zu zeigen, und zwar die Bereitschaft, dieses Jahr noch gemeinsam zu Ende zu bringen. Vor allem mit dem Blick auf die USA und eine Politik, die die Gesellschaft nachhaltig gespalten hat."

Ampel-Aus ausgerechnet jetzt?

Apropos Trump-Wiederwahl: Wie gut kommt es in Mitteldeutschland an, dass die Bundesregierung ausgerechnet an dem Tag zerbrach, an dem klar war, dass mit der Wiederwahl von Donald Trump für die strauchelnde deutsche Wirtschaft ebenso unberechenbare Zeiten aufziehen wie für die Allianz aus Unterstützern der Ukraine in deren Verteidigungskampf gegen Russland?

Das MDRfragt-Stimmungsbild ist in dieser Frage tatsächlich sehr eindeutig: Ein Großteil findet es richtig, dass die Ampel-Regierung zerbrochen ist, trotz des Zeitpunktes. Konkret geben gut drei von vier Befragten an, das Aus zum jetzigen Zeitpunkt sei richtig oder eher richtig. Weniger als ein Fünftel findet das falsch oder eher falsch.

Befragung zum Thema: Bewertung des „Ampel-Aus“
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Zu der großen Gruppe der Befürworter gehört Matthias (48) aus dem Landkreis Zwickau. Er schreibt: "Lindner hat die Ampel in Geiselhaft genommen. So kann man in schweren Krisenzeiten nicht regieren." Dagegen meint Jannik (22) aus dem Landkreis Mansfeld-Südharz: "Es wurde allerhöchste Zeit. Schade, dass Olaf Scholz nun die FDP als Sündenbock dastehen lassen will, wobei alle an der Sache Schuld sind, wie die Politik läuft."

Und Henriette (38) aus dem Landkreis Leipzig meint: "Dass es soweit kommen wird, war absehbar. Dass es allerdings gestern so weit war, kam dann doch etwas überraschend."

Sebastian (41) aus dem Landkreis Meißen findet das Ende der Ampel-Koalition hingegen falsch: "Parteipolitik steht über Inhalten. Die Parteien sind sich ihrer Verantwortung nicht bewusst." Und auch Katja (39) aus Leipzig findet das Auseinanderbrechen der Koalition falsch - nicht nur zum jetzigen Zeitpunkt: "Wer Fehler macht, muss auch dafür gerade stehen! Und nicht einfach abhauen können, weil es einem gerade so in den Kram passt."

Über diese Befragung Die Befragung: "Was sagen Sie zu Ampel-Aus und Trump-Triumph" lief vom 7. bis 8. November. Insgesamt haben 27.666 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mitgemacht.

Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen. Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ.

Bei dieser Befragung haben sich 27.666 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen online mit ihrer Meinung eingebracht.

Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland. MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests.

MDR fragt 1 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Di 02.07.2024 15:29Uhr 00:57 min

https://www.mdr.de/nachrichten/mitmachen/mdrfragt/video-MDRfragt-long-sie-quer-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

MDR fragt 1 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
1 min

Di 02.07.2024 15:29Uhr 00:57 min

https://www.mdr.de/nachrichten/mitmachen/mdrfragt/video-MDRfragt-long-sie-quer-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL - Das Nachrichtenradio | 07. November 2024 | 17:53 Uhr