MDRfragt Mehrheit ist gegen geplante Cannabis-Legalisierung
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18. März 2024, 05:00 Uhr
Noch ist offen, ob die vom Bundestag beschlossene Cannabis-Legalisierung im April wirklich kommt. Aus den Ländern gibt es Widerstand gegen die erlaubten Mengen und die Regeln zum Minderjährigen-Schutz. In einem aktuellen Stimmungsbild von fast 22.000 Befragten aus Mitteldeutschland spricht sich eine deutliche Mehrheit gegen die geplante Legalisierung aus.
- Bei den Befragten unter 30 Jahren ist noch eine Mehrheit für die Legalisierung, bei den älteren sind die Gegner in der Mehrheit.
- Das Gesetz zur Cannabis-Freigabe ist aus Sicht vieler Befragter zu kompliziert und schützt Kinder und Jugendliche nicht ausreichend.
- Fahren unter Cannabis-Einfluss sollte generell verboten werden.
Eine Mehrheit der Teilnehmenden von MDRfragt ist gegen die geplante Legalisierung von Cannabis. Allerdings aus unterschiedlichen Gründen. "Ich befürchte, dass noch mehr junge Menschen diese Droge konsumieren werden, weil der Zugang nun einfacher ist. Es wird schlichtweg cool sein, Cannabis zu konsumieren. Wer im Freundeskreis nicht mitmacht, wird ausgeschlossen", schreibt MDRfragt-Mitglied Eileen (26) aus dem Harz. "Eine legale Form des Konsums kann durchaus Sinn machen. Das geplante Gesetz ist jedoch ein heilloser Wirrwarr. So wird der Schwarzmarkt nicht bekämpft", findet Enrico (50) aus dem Landkreis Bautzen. Eileen und Enrico lehnen wie eine deutliche Mehrheit der Befragten die geplante Legalisierung von Cannabis ab. Die Kommentare der beiden stehen zudem stellvertretend für das, was sehr viele Menschen in der aktuellen Befragung äußern: Kritik an der Freigabe an sich und Kritik am Gesetz dazu.
Sechs von zehn Befragten lehnen geplante Legalisierung ab
Insgesamt sprechen sich 63 Prozent der Teilnehmenden aus der MDRfragt-Gemeinschaft gegen die Pläne zur Freigabe von Cannabis aus. Dabei steigt der Anteil der Gegner der Legalisierung mit dem Alter. Bei den 16- bis 29-Jährigen befürwortet noch eine Mehrheit (55 Prozent) die Freigabe. Bei den älteren Befragten überwiegt der Anteil der Gegner.
Warum sich die Befragten für eine Legalisierung aussprechen
Zu den Befürwortern der Legalisierung gehört Jan (24) aus dem Landkreis Hildburghausen, der wie viele MDRfragt-Mitglieder auch auf andere bereits legal erhältliche Suchtmittel wie Alkohol hinweist: "Auch hier gibt es viele, die es über ein gesundes Maß konsumieren und unter seinem Einfluss Mist bauen. Hier sagt aber niemand, dass Alkohol verboten werden soll."
Was legal ist, verliert seinen Anreiz.
MDRfragt-Teilnehmerin Sandra (49) aus dem Landkreis Zwickau begründet ihre Zustimmung zur Legalisierung knapp so: "Was legal ist, verliert seinen Anreiz." Bei Menschen über 65 befürwortet nur noch jeder und jede Vierte die geplante Legalisierung (23 Prozent). Eine von ihnen ist Anne (68) aus dem Landkreis Gotha: "Ich halte den Konsum von Cannabis für genauso überflüssig, lästig und vor allem schädigend wie den von Alkohol und Nikotin. Eine Kriminalisierung führt nur auch noch zu sozialen Schäden. Wahrscheinlich ist die Legalisierung das kleinere Übel."
Ein Drittel hofft, dass der Schwarzmarkt eingedämmt wird
Das Gesetz für die Freigabe sieht genau zwei Wege für Erwachsene vor, in Zukunft legal an Cannabis zu kommen: Eigenanbau und die Mitgliedschaft in einem so genannten "Cannabis Social Club". Von den Befragten hält es jeder und jede Dritte (31 Prozent) für wahrscheinlich, dass damit künftig weniger Cannabis mit gefährlichen Verunreinigungen konsumiert wird. Dazu schreibt Constance (48) aus dem Erzgebirgskreis: "Bevor sich Cannabis illegal aus dem Ausland besorgt wird und dieses vielleicht gestreckt ist, verunreinigt oder andere Substanzen enthält, ist es doch legal mit Regeln besser kontrollierbar." Rund ein Drittel der Teilnehmenden (31 Prozent) teilt die Ansicht, durch die Freigabe könnte der Schwarzmarkt für Cannabis möglicherweise eingedämmt werden.
"Warum sollte man auf dem Schwarzmarkt kaufen, wenn man gutes und sauberes Cannabis legal bekommt?", fragt Anke (54) aus Leipzig. Alexander (44) aus Weimar gibt zu bedenken: "Das wird ein Marathon, kein Sprint. Wenn Cannabis-Produkte gut verfügbar sind und die Qualitätskriterien sowie die Qualitätskontrollen eingespielt und bekannt sind, wird der Schwarzmarkt für Cannabis auch zurückgehen." Das Argument schließlich, andere Suchtmittel wie Alkohol oder Nikotin seien legal zu erwerben, überzeugt offenbar jeden und jede dritte Befragte (30 Prozent). Vier von zehn Befragungsteilnehmenden geben allerdings auch an, aus ihrer Sicht habe eine Freigabe keinerlei Vorteile.
Das wird ein Marathon, kein Sprint.
Befürchtung: Wer Cannabis nicht einfach kaufen kann, weicht auf Schwarzmarkt aus
Den Bezug über die Anbauvereinigungen der "Cannabis Social Clubs" hält nur jeder und jede achte Befragte (13 Prozent) für richtig. "Ich wäre schon mal neugierig, Cannabis zu testen. Aber dafür extra in einen 'Club' eintreten, das möchte ich nicht", schreibt Katrin (53) aus dem Landkreis Schmalkalden-Meiningen. "Die Clubs erzeugen ein Gefühl der Überwachung, das wird meiner Meinung nach nicht funktionieren", findet Saskia (33) aus dem selben Landkreis.
Die Clubs erzeugen ein Gefühl der Überwachung, das wird meiner Meinung nach nicht funktionieren.
Besser geeignet für den Bezug wären aus Sicht vieler Befragter Fachgeschäfte (31 Prozent) oder auch Apotheken (33 Prozent). "Spezielle Läden wie wir sie bereits für Tabak haben, könnten auch für ein Cannabisangebot sorgen", schlägt Lukas (28) aus Halle/Saale vor. Ähnliche Modelle funktionierten in anderen EU-Staaten ebenfalls. Peter (58) aus dem Landkreis Meißen schreibt: "Es gibt in vielen skandinavischen Ländern extra Geschäfte für Alkohol. Ich wäre auch dafür, hochprozentigen Alkohol und Cannabis in solchen Geschäften zu verkaufen" . In vielen Kommentaren schreiben die Befragten, der Schwarzmarkt werde nicht eingedämmt, wenn der Bezug so aufwendig bleibe wie im aktuellen Gesetz geregelt. Knapp die Hälfte der Befragten (46 Prozent) spricht sich schließlich dafür aus, Cannabis grundsätzlich nur für medizinische Zwecke legal abzugeben. Der Verkauf für den Eigenkonsum als Genussmittel sollte verboten bleiben.
Mehrheit erwartet mehr Cannabis-Konsum
Acht von zehn Befragten (79 Prozent) erwarten, dass nach einer Freigabe mehr Cannabis gekauft und konsumiert wird. Einige MDRfragt-Teilnehmer schreiben dazu ganz offen, sie würden die Droge selbst auch probieren. Sie hätten sich aber bisher nicht getraut. "Ich bin nicht abgeneigt, es einmal zu probieren, weil ich neugierig bin und es bisher verboten war", schreibt Matthias (75) aus Mittelsachsen. "Vielleicht werden mehr Menschen sich trauen, Cannabis zu probieren oder für medizinische Zwecke zu benutzen: ich zum Beispiel", kommentiert ein 44-jähriger MDRfragt-Teilnehmer aus Halle/Saale. Eva-Maria (74) aus dem Vogtlandkreis glaubt jedoch nicht daran, dass in Deutschland mehr Cannabis genutzt wird – zumindest nicht auf lange Sicht. "In den ersten Monaten wird es einen erhöhten Konsum geben, der sich aber relativ schnell einpegeln und normalisieren wird. Denn nur was verboten ist, ist interessant und reizvoll."
Ich bin nicht abgeneigt, es einmal zu probieren, weil ich neugierig bin und es bisher verboten war.
Nicht nur die Menge an Cannabis, die künftig womöglich konsumiert wird, treibt viele MDRfragt-Mitglieder um. Zwei Drittel (64 Prozent) sorgen sich auch darum, dass es als Einstiegsdroge zum Konsum stärkerer Suchtmittel führen könnte. Zudem sei die Freigabe ein falsches Signal zur Akzeptanz von Drogen in der Gesellschaft allgemein, findet eine Mehrheit (53 Prozent).
Acht von zehn Befragten: Zu wenig Schutz für Kinder und Jugendliche
Zu kompliziert, zu viele Vorgaben für die Kontrolle des Konsums und zu wenige Möglichkeiten für den legalen Erwerb von Cannabis: Diese Kritik am neuen Gesetz zieht sich durch sehr viele Kommentare zur aktuellen Befragung. Am häufigsten bemängelt werden aber die Regeln zum Schutz von Kindern und Jugendlichen. Dabei sollen Minderjährige mit dem neuen Gesetz besser als bisher vom Cannabis-Konsum abgehalten werden. So werden die Strafen für die Abgabe der Droge an Minderjährige verschärft, der Konsum in 100 Meter Abstand von Schulen, Kindergärten und Spielplätzen wird verboten. Diese und andere Regeln zum Schutz von Kindern und Jugendlichen reichen aus Sicht von acht von zehn Befragten (79 Prozent) aber nicht aus. "100 Meter von der Schule etc. entfernt: Hat die Polizei dann ein Maßband mit? Das sind doch nur Alibi-Einschränkungen zur Gewissensberuhigung", kritisiert Nancy (45) aus dem Landkreis Zwickau. MDRfragt-Teilnehmerin Jana (45) aus dem Landkreis Gotha schreibt zum Schutz von Minderjährigen: "Durch die Legalisierung werden die Nachteile heruntergespielt."
Eine weitere Sorge von vielen Befragten: Mit der jetzt geplanten Freigabe für Erwachsene könnten trotzdem auch mehr Kinder und Jugendliche zum Cannabis-Konsum verleitet werden. Das befürchtet in der aktuellen Befragung eine große Mehrheit (78 Prozent). Evelyn (37) aus dem Saalekreis schreibt dazu: "Wenn die Eltern Cannabis konsumieren, hat das selbstverständlich Auswirkungen auf die im Haushalt lebenden Kinder. Diese werden es passiv konsumieren, sich später auch etwas davon nehmen und wachsen mit dieser Normalität auf."
Viele befürchten, dass Minderjährige schlicht einen leichteren Zugang zum Rauschmittel hätten. Das glauben zwei von drei Befragten (63 Prozent).
Autofahren: "0,0 Cannabis und 0,0 Promille Alkohol"
Noch ist offen, ob nach einer Legalisierung von Cannabis auch die Regeln für den Straßenverkehr angepasst werden. Bisher gilt ein Grenzwert für den Cannabis-Wirkstoff THC als Orientierung, den die so genannte Grenzwertkommission (GWK) aus Rechts- und Verkehrsmedizinern sowie Toxikologen und Forensikern schon 2002 vorgeschlagen hat. Im beschlossenen Gesetz gibt es noch keine Neuregelung. Das Bundesverkehrsministerium soll einen Grenzwert für THC vorschlagen.
Aus Sicht vieler Befragter muss es den gar nicht geben und Fahren unter Einfluss unter Cannabis sollte generell verboten werden. Gleichzeitig könne auch die Promillegrenze für Alkohol ähnlich wie in Tschechien oder Ungarn ganz auf Null gesetzt werden. "Drogen verändern nun mal auch in geringen Mengen die Wahrnehmung. Bei Alkohol wäre die Einführung einer Null-Promille-Grenze erstrebenswert", schreibt Sandy (39) aus Leipzig. Gabriela (62) aus Magdeburg findet: "Wer Auto fährt: 0,0 Cannabis und 0,0 Promille Alkohol." Dorit (27) aus Jena findet: "Soweit ich das verstanden habe, wird Cannabis bei Menschen unterschiedlich schnell abgebaut, das heißt, es gibt keine verlässliche Zeit, nach der man nach Konsum einer bestimmten Menge wieder fahrtauglich wäre. Von daher ist es reines Lotto, ob man irgendeinen Grenzwert über oder unterschreitet. Und Cannabis wirkt bei jedem anders, der Grenzwert müsste schon sehr niedrig sein, damit auch alle damit noch fahren können." Acht von zehn Befragten (84 Prozent) sprechen sich für eine sehr strenge Regelung aus: Wer den Cannabis-Wirkstoff THC im Körper hat, sollte nicht im Straßenverkehr unterwegs sein.
Weitere wichtige Ergebnisse der Befragung in Kürze
- Für eine Mehrheit haben Alkohol, Tabak und Cannabis ein negatives Image: Tabak hat das bei acht von zehn Befragten (77 Prozent), Cannabis bei sieben von zehn (69 Prozent). Alkohol hat bei einer knappen Mehrheit (53 Prozent) ein negatives Image.
- Fast alle Befragten (95 Prozent) befürworten den Cannabis-Einsatz für medizinische Zwecke, der in Deutschland bereits erlaubt ist. So werden beispielsweise chronische Schmerzen von Menschen mit Multipler Sklerose gelindert. Bei dieser Frage gibt es große Einigkeit in allen Altersgruppen.
- Acht von zehn Befragten sind in der aktuellen Befragung der Ansicht, auch auf Cannabis-Produkten sollte vor möglichen Folgen für die Gesundheit gewarnt werden. Das wird in Deutschland bei Tabakprodukten gemacht, bei Alkohol dagegen nicht. Der Aufdruck von Warnhinweisen auf Cannabis-Produkten wird in allen Altersgruppen befürwortet.
- Fünf von zehn Befragungsteilnehmenden (47 Prozent) haben nach eigener Aussage nur unzureichende Informationen über die Wirkung von Blüten und Blättern der Hanfpflanze. Die andere Hälfte der Befragten (45 Prozent) sieht sich dagegen gut informiert. Bei dieser Frage gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Altersgruppen: Bei Befragten zwischen 16 und 29 sieht sich eine Mehrheit (54 Prozent) gut über Cannabis informiert. Bei allen ab 50 Jahren sinkt dieser Anteil auf 43 Prozent.
Über diese Befragung
Die Befragung vom 8. bis 12. März 2024 stand unter der Überschrift: "Cannabis-Freigabe: Gefährlich oder Überfällig?"
Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.
Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben sich 21.929 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen online mit ihrer Meinung eingebracht.
Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemographischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein durchaus belastbares Stimmungsbild aus Mitteldeutschland.
MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie am Ende des Artikels.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt Ist! | 18. März 2024 | 22:10 Uhr