Wissenschaftler kritisieren Corona-Berichterstattung Journalismus: Zwischen Verantwortung und Panikmache
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09. April 2020, 17:21 Uhr
Die Schlagzeilen eines einzigen Tages verheißen nichts Gutes: "Wie tief werden wir fallen?“, fragt der Spiegel in seinem abendlichen Newsletter und meint die wirtschaftlichen Schäden durch die Corona-Krise. Die Bild-Zeitung titelt in ihrer Netz-Ausgabe: "Italiens Regierungschef warnt vor dem Scheitern Europas“ und fordert: "Wir müssen gemeinsam in die Schlacht ziehen“.
Kriegerische Bilder in der Sprache der Medien sind zwar nichts Neues, in der Corona-Krise laufen sie aber zu ganz neuen Formen auf. Ja, auch US-Präsident Donald Trump sprach schon Mitte März ganz wörtlich vom Krieg, nannte drastische Maßnahmen gegen Corona "Our big war" ("Unseren großen Krieg") und führte so kurz wie leicht verständlich aus: "Es ist ein medizinischer Krieg. Wir müssen diesen Krieg gewinnen. Das ist sehr wichtig“.
Kriegsrhetorik in der Corona-Berichterstattung
Doch was passiert, wenn die Medien diese Kriegsrhetorik übernehmen? Wenn sie immer noch ein bisschen weiter zuspitzen, weil sich die Meldung dann spektakulärer und wichtiger anhört? Ist das dann noch verantwortungsbewusster Journalismus? Oder schon das Gegenteil, nämlich unverantwortliche Panikmache? "Die massenhafte Verbreitung von Informationen und mitunter schlechten Nachrichten – hier möchte ich gerne den Ball an die Medien zurückspielen – schürt Ängste“, hat schon Mitte März der Psychotherapeut und Angstspezialist Sven Quilitzsch aus Zwickau im Interview mit der Sächsischen Zeitung festgestellt.
Wenn ich tagtäglich sehe, dass ... das ganze öffentliche Leben zum Erliegen kommt, ... macht das etwas mit mir als Individuum.
Das gelte selbst bei Menschen, die eher sachlich und nüchtern an die Berichterstattung herangingen. "Doch wenn ich tagtäglich sehe, dass zunächst in Italien und nun auch bei uns das ganze öffentliche Leben zum Erliegen kommt, wenn Hamsterkäufe getätigt werden, macht das etwas mit mir als Individuum. Das ist wie ein Selbstläufer, dem kann man sich gar nicht entziehen.“ Die Medien haben es hier nach Quilitzsch’ Meinung allerdings gar nicht komplett selbst in der Hand, dagegen zu wirken: "Das wird auch nicht einfach so aufhören – es sei denn, die Bundesregierung oder das Robert Koch Institut geben Entwarnung. Oder es wird ein Medikament oder ein Impfstoff gefunden“, so Quilitzsch.
Die Medien stehen also vor einem Dilemma: Sie haben die Aufgabe, zu berichten. Dabei können sie wie aktuell beim Thema Corona nicht verhindern, das selbst eine sachliche, nüchterne Berichterstattung bei vielen Menschen auch Ängste schürt.
Unterschiedliche Meinungen werden gegeneinander ausgespielt
Dass Medien eher über das berichten, was schlecht läuft, ist ein alter Hut. "Schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten und gute Nachrichten sind keine Nachrichten“, lautet übersetzt ein alter amerikanischer Journalistenspruch. Dabei müssen sie aber bei den Fakten bleiben. Wie aber geht das in einer Situation wie der aktuellen Pandemie, wo es zwar jede Menge Fakten gibt, sich die Expertinnen und Experten aber über die Schlussfolgerungen zum Teil sehr uneins sind?
Was Medien in jedem Falle nicht tun sollten, aber gerne tun, ist, unterschiedliche Ansichten, Interpretationen und Meinungen gegeneinander auszuspielen. Das ist für die Journalistinnen und Journalisten schön einfach, sorgt verlässlich für eine Kontroverse und damit für Aufmerksamkeit. Zu beobachten war und ist das aktuell bei der Berichterstattung über einige Virologen und ihre Ratschläge und Positionen.
So werden beispielsweise der Berliner Virologe Christian Drosten, der auch die Bundesregierung berät, und sein Kollege Alexander Kekulé von der Uni Halle-Wittenberg aneinander gemessen. Beide sind in den Medien auch mit vielgehörten Podcasts unterwegs. Drosten ist Experte im NDR-"Coronavirus-Update“, Kekulé erklärt seine Sicht der Dinge beim MDR in Kekulés Corona-Kompass.
Während Drosten von der Frankfurter Rundschau als bedachter, kritikfähiger und durch und durch seriöser Fachmann beschrieben wird, der wegen seiner Beraterfunktion eine wichtige Rolle spiele, heißt es über Kekulé: "Einen gibt es, der alles immer schon wusste: Alexander Kekulé. Der Münchner Virologe von der Uni Halle-Wittenberg war selbst mal Regierungsberater, ist es aber nicht mehr. In der Regierung ist er inzwischen 'verschrien', wie es dort heißt. Kekulé sendet ebenfalls auf allen Kanälen. Er aber wirft der Bundesregierung 'verhängnisvolles Zögern' und der Kanzlerin zugleich Panikmache vor.“
Virologe Christian Drosten kritisiert die Medien
Drosten selbst hatte Anfang April wegen des Verhaltens einiger Medien daher überlegt, ob er mit seinem Podcast weitermacht: Er kritisierte, dass in den Medien Forscher immer mehr als Entscheidungsträger dargestellt würden. Virologen und anderen würden Dinge angehängt, die nicht stimmten. In Zeitungen würden er und andere Wissenschaftler in Karikaturen dargestellt. Drostens Medienkritik löste auch unter Journalistinnen und Journalisten eine Debatte aus.
Unterschiedliche Herangehensweise in Wissenschaft und Medien
Das Verhältnis zwischen Journalistinnen und Journalisten auf der einen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf der anderen Seite ist nicht immer einfach. Der Journalismus wird auch durch die Digitalisierung immer schneller. Er hat am liebsten klare Aussagen. Wenn es verschiedene Sichtweisen auf ein und dieselbe Sache gibt, wird das gerne gegeneinander gestellt und als Konflikt thematisiert. Wissenschaft ist dagegen eher ein Langstreckenlauf. Hier wird geforscht, es werden Hypothesen aufgestellt, wie etwas sein oder wirken könnte. Diese werden dann mit wissenschaftlichen Experimenten und Analysen überprüft. Das dauert zum einen natürlich länger. Und führt zum anderen auch nicht immer sofort zu klaren Ergebnissen. Vielmehr kann die Wissenschaft gut damit leben, dass es zu ein und demselben Sachverhalt mehrere wissenschaftliche Meinungen oder Theorien gibt. Sie hat auch kein Problem damit, sich selbst zu korrigieren und Dinge anders zu sehen. Das heißt nämlich nicht, dass sie vorher falsch lag. Sondern lediglich, dass es zusätzliche Forschungsergebnisse gibt, die zu neuen Erkenntnissen führen.
Das hat auch Christian Drosten gezeigt. Anfangs war der Virologe nämlich nicht davon überzeugt, dass komplette Schulschließungen oder das Tragen von Schutzmasken in der gesamten Bevölkerung sinnvoll seien. Mit neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen änderte er seine Meinung.
Darf man berichten, was Angst macht?
Bei vielen Menschen führt gerade diese Unklarheit zu Verunsicherung. Hier haben Medien eine große Verantwortung, denn allzu kritische Berichterstattung darüber, dass man nicht genug über das Corona-Virus weiß und Wissenschaft und Politik nur auf Sicht fahren, könnte schnell zu Reaktionen oder gar Panik in der Bevölkerung führen.
Aber deswegen nicht mehr über Konflikte oder sich widersprechende Aussagen in den Medien zu berichten, kann keine Lösung sein. Helfen könnte hier, genauer zu erklären, wie die Wissenschaft arbeitet. Das gilt auch für die Frage, ob man über alle Annahmen und Vorhersagen zum Thema Corona berichten sollte, mit denen sich beispielsweise die Politik auf den so genannten "Worst Case“ vorbereitet.
Wie viel "Angstmacherei“ ist also zulässig? Auch hier gibt es keine einfache, klare Antwort. Die Kolumnistin Samira El Ouassil ist der Ansicht, die Herausforderung für die Medien sei schon, "uns auf pragmatische Art wohldosiert Angst zu machen“. Denn wenn die von den Medien transportierten Informationen "uns nur beruhigen würden, würden wir uns offenbar nicht mehr so fleißig wie jetzt unsere Hände waschen“.