Corona-Mythen Was Verschwörungsglauben attraktiv macht – und wie Journalisten ihm begegnen
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03. Juni 2020, 16:30 Uhr
In Krisenzeiten ist vieles ungewiss, aber auf eines ist Verlass: Es kursieren Verschwörungsmythen. Das war nach dem 11. September 2001 der Fall. Oder im Zug der hitzigen Debatten über Geflüchtete nach 2015, als Rechtsextreme die alte Mär neu auflegten, es werde an einem „Austausch“ der Bevölkerung gearbeitet.
Auch die Corona-Pandemie hat viele Verschwörungsmythen hervorgebracht. In mehreren europäischen Ländern haben Menschen Mobilfunkmasten angezündet, weil 5G-Strahlung angeblich das Covid-19-Virus übertrage. Es wird behauptet, das Virus sei künstlich erzeugt worden, um die Weltbevölkerung zu kontrollieren. Viel Aufmerksamkeit hat vor allem die Behauptung erfahren, der Milliardär Bill Gates wolle der Menschheit etwa eine für ihn lukrative Impfung überhelfen. Unterstützt werde er von Medien, die er gekauft habe.
Verschwörungsmythen benennen Schuldige
Verschwörungsideologen bieten einfache Erklärungen an, die die Ungewissheit aufheben sollen, die Krisen auszeichnen: Irgendjemand muss Schuld sein, im Zweifel „die da oben“. Das unerklärlich Wirkende wird personalisiert. „Der Glaube an Verschwörungen ist ein generalisiertes Misstrauen gegenüber all den Gruppen, die man als mächtig wahrnimmt“, so die Psychologin Pia Lamberty. Besonders verbreitet sei Verschwörungsglauben unter rechts verortbaren Gruppen, er sei aber auch in linken antikapitalistischen Kreisen zu finden, sagt sie.
Gründe für die Verbreitung von Verschwörungsmythen
Die Gründe für seine Verbreitung sind vielfältig. Sie werden politisch genutzt, um Zweifel an demokratischen Institutionen zu säen, auch an der Glaubwürdigkeit von Medien – wobei es für existierendes Misstrauen auch medieninterne Gründe gibt, wie der YouTuber Rezo kürzlich kritisierte. Verschwörungsmythen sind auch ein Geschäftsmodell für manche ihrer Verbreiter: Wenn überall Fragen sind, bringen geraunte Ausrufezeichen Reichweite. Ihren Anhängern können die Mythen auch dazu dienen, einzelne Aspekte des eigenen Denkens zu beglaubigen. Die Behauptung, es sei eine Zwangsimpfung gegen Corona geplant, findet etwa ein Publikum bei Menschen, die sich ohnehin gegen Impfungen verwahren. Verschwörungstheorien scheinen zu bestätigen, was man schon immer ahnte – auch wenn sie im Ganzen noch so unplausibel sein mögen. Das macht sie attraktiv.
Das Gegenmittel „Faktencheck“ und seine Grenzen
Gegen solche Erzählungen hilft Recherche. Aber nur zum Teil. Falsche Tatsachenbehauptungen lassen sich zwar widerlegen. Wenn ein Millionen Aufrufe generierender Verschwörungsprediger etwa behauptet, die Bill & Melinda-Gates-Stiftung finanziere die Weltgesundheitsorganisation zu mehr als 80 Prozent, so kann man die in Wahrheit ganz erheblich niedrigere Zahl in einem Faktencheck korrigieren. Der hinter der Behauptung stehende Spin aber – Bill Gates habe bei Corona seine Hände an den Schalthebeln – ist damit nicht aus der Welt geschafft.
Journalisten sind zumindest für jene, die für solche Theorien besonders empfänglich sind, selbst Figuren auf dem Brett. In diversen Verschwörungserzählungen sind Medien selbst Protagonisten. Egal ob es heißt, Journalisten bekämen morgens Anweisungen aus dem Kanzleramt, oder ob es heißt, Bill Gates habe ihre Berichterstattung gekauft: Unterstellt werden orchestrierte Aktionen, dirigiert im Zweifel von mächtigen Kräften unter Mitwirkung der sogenannten „System“- oder „Mainstreammedien“. So versuchen sich Verschwörungsideologinnen und -ideologen gegen Aufklärung und Recherche zu immunisieren.
Der schmale Grat bei der Herstellung von Öffentlichkeit
Eine große Mehrheit der Deutschen fand in den vergangenen Wochen die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus nachvollziehbar oder gut. Und von denen, die sie nicht gut fanden, gehen längst nicht alle den prominenten Köchen, Sängern oder YouTube-Influencern auf den Leim, die von der Weltverschwörung künden. Viele der Demonstrantinnen und Demonstranten auf den sogenannten „Hygienedemos“ hatten oder haben berechtigte Interessen, über die Medien Öffentlichkeit herstellen müssen. Sie fordern die Öffnung von Schulen und Kitas. Wollen ihre Verwandten im Seniorenheim besuchen dürfen. Ihrem Beruf wieder uneingeschränkt nachgehen. All das ist auch Thema der Medienberichterstattung.
Journalisten können aber kaum von diesen Demos berichten, ohne den extremen Kräften Aufmerksamkeit zu schenken, die die Veranstaltungen kapern bis dominieren. Hier bewegen sich Journalisten auf einem schmalen Grat. Die Gefahr, dass die Narrative durch Aufmerksamkeit geadelt werden, besteht. „Diese Dynamik gibt den Wenigen eine Lautstärke, die dann mit Relevanz verwechselt wird“, schreibt Samira El-Ouassil.
Mikrofone zu halten und Kameras auf Demonstranten zu richten, ist noch nicht Journalismus. Es geht auch um Einordnung, Kritik, Widerlegung von Falschbehauptungen, die bis zu blühendem Unsinn reichen. Was wiederum dazu führt, dass Journalisten vorgeworfen wird, sie seien nicht neutral. Was wäre aber neutral? Verschwörungsmythen zu verbreiten, nur weil es sie gibt, ist nicht neutral, sondern antiaufklärerisch. Wer behauptet, dass die Erde eine Scheibe sei, liegt falsch; dazu kann es kein Für und Wider geben.
Nicht alle Corona-Mythen sind Verschwörungstheorien
Differenzierung ist notwendig. Nicht jede Falschinformation, die im Zug der Corona-Pandemie über WhatsApp verschickt wurde, ist eine ausgefuchste Verschwörungstheorie. Längst nicht alle, die glauben, dass Wassertrinken gegen Covid-19 helfe, sind als „Covidioten“ angemessen charakterisiert. Manches ist auch nur ganz profan falsch – wie so vieles, was uns im Alltag begegnet. Die Wochenzeitung Die Zeit hat einst die Kolumne „Stimmt’s?“ geschaffen, um überlieferte Alltagsweisheiten zu hinterfragen, an die viele glauben, etwa: Hat Kaffeesatz, in den Ausguss gekippt, eine reinigende Wirkung? (Nein, hat er nicht.) In der eingestellten Zeitschrift Neon gab es eine ähnliche Rubrik, „Mythos oder Wahrheit“.
Journalistinnen und Journalisten recherchieren nach und widerlegen oder belegen. Nicht immer geschieht das in einer derart aufgeladenen Stimmung wie derzeit. Doch eines ändert sich in Krisenzeiten nicht: Im Wesentlichen ist das der Job.