Studie zur Geschlechterverteilung In der Corona-Krise sind in den Medien kaum Frauen als Expertinnen gefragt
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29. Mai 2020, 08:48 Uhr
Die Corona-Krise ist die Stunde der Expertinnen und Experten. In den Medien sind sie seit Monaten nicht mehr wegzudenken. Doch Frauen, also Expertinnen, kommen deutlich weniger zum Zug als Männer. Die MaLisa-Stiftung hat jetzt die Anteile von Männern und Frauen bei den Corona-Experten wissenschaftlich untersuchen lassen.
Das Ergebnis der Studie Wer wird in Krisenzeiten gefragt ist eindeutig: Über zwei Drittel der in den Medien auftretenden Expertinnen und Experten zum Thema Corona und Covid-19 sind männlich. Die gesellschaftliche Realität - hier halten sich Frauen und Männer in etwa die Waage - bildet das nicht ab. Untersucht wurden für die Studie Nachrichtenprogramme, politische Talkshows und andere Informationssendungen im Fernsehen sowie die Online-Angebote von Tageszeitungen und Magazinen wie Spiegel, Stern und Focus.
Eine Expertin kommt auf vier Experten
Im Fernsehen kam in Nachrichten und Sondersendungen auf eine Expertin vier Experten. Auch bei Talksendungen sieht es nicht viel besser aus. Hier lag der Expertinnenanteil mit 28 Prozent zwar etwas höher. Männliche Experten sind mit einem Anteil von 72 Prozent aber klar führend. Sogar in den Bereichen, in denen überproportional mehr Frauen tätig sind wie in der Bildung oder Medizin/Pflege sollte man deshalb nicht überwiegend Expertinnen erwarten: Im Medizin-Bereich betrug der Frauenanteil nur 17 Prozent. In den Bereichen Bildung (rund 45 Prozent) und Soziales (31 Prozent) lag er immerhin höher als in allen anderen untersuchten Themenfeldern.
Interessant ist, dass in anderen TV-Programmen wie Reportagen, Magazinsendungen oder Dokumentationen mehr weibliche Hauptakteure und Expertinnen auftreten als in den Nachrichtenformaten. Hier ist das Verhältnis laut der MaLisa-Studie 41 Prozent Frauen zu 59 Prozent Männern.
ARD, ZDF, RTL und Sat.1 wurden untersucht
Für die Studie hat das Team um die Kommunikationswissenschaftlerin Elizabeth Prommer von der Universität Rostock 174 Informationssendungen zum Thema Corona im Ersten der ARD sowie bei RTL, Sat.1 und im ZDF ausgewertet. Diese 174 Sendungen wurden alle in der zweiten Aprilhälfte ausgestrahlt. Elizabeth Prommer hatte für die MaLisa-Stiftung 2017 auch die große Diversitätsstudie über Geschlechterdarstellungen in Film und Fernsehen in Deutschland durchgeführt. In ihr wurde erstmals das gesamte deutsche TV-Programm mit Blick auf Geschlechterrollen analysiert. Eine Aktualisierung dieser Studie ist derzeit in Arbeit und soll im kommenden Jahr veröffentlicht werden.
Knapp die Hälfte der Ärzte in Deutschland sind Frauen - aber nicht im TV
In der Corona-Berichterstattung im Fernsehen betrug laut der jetzt von der MaLisa-Stiftung präsentierten Untersuchung der Frauenanteil bei Virologinnen ohne Leitungsfunktion gerade einmal 27 Prozent, bei denen mit Leitungsfunktion sogar nur sieben Prozent. Im Bereich der Epidemiologie und Infektionsforschung waren sogar 94 Prozent der Befragten männlich. Laut der Studie stellen Frauen dabei einen Anteil von 47 Prozent aller Ärztinnen in Deutschland. Auch im Bereich der Virologie, Infektionsepidemiologie und Mikrobiologie ist der Frauenanteil mit rund 45 Prozent ähnlich hoch.
Ähnliches Ergebnis bei Zeitungen und Zeitschriften
Bei den Printmedien ergibt sich ein ähnliches Bild. Hier hat das Institut Prognosis für die MaLisa-Stiftung knapp 80.000 Online-Artikel ausgewertet. Die Stichprobe umfasste Beiträge der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Focus, Frankfurter Rundschau, Handelsblatt, Neues Deutschland, Nordbayern-Kurier, Spiegel, Stern, Stuttgarter Nachrichten, Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel, taz und Welt. Untersuchungszeitraum war hier ebenfalls die zweite Aprilhälfte. Insgesamt kamen in der Berichterstattung mit Corona-Bezug rund 30 Prozent Frauen und 70 Prozent Männer vor. Als Expertinnen wurden Frauen in den Zeitungen und Magazinen aber nur zu rund sieben Prozent zitiert. Als Forscherinnen wurden sie zu rund fünf Prozent und als Virologinnen sogar nur zu vier Prozent genannt.
Schauspielerin und Ärztin Maria Furtwängler: „Schieflage bedauerlich“
„Bereits unsere Studie zu TV und Film von 2017 hat besonders im Bereich der Expertinnen eine große Schieflage aufgezeigt. Dass diese sich in der aktuellen Krise, die ja zur Stunde der Expertinnen und Experten wird, fortsetzt, ist besonders bedauerlich“, sagt die Schauspielerin Maria Furtwängler. Sie hat mit ihrer Tochter Elisabeth die MaLisa-Stiftung 2016 gegründet und ist vielen TV-Zuschauerinnen und Zuschauern als „Tatort“-Kommissarin Charlotte Lindholm bekannt. Die MaLisa-Stiftung engagiert sich auf internationaler Ebene für die Beendigung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen. In Deutschland setzt sie sich für gesellschaftliche Vielfalt und die Überwindung einschränkender Rollenbilder ein. „Fast die Hälfte aller Ärztinnen und Ärzte in Deutschland sind Frauen – aber nur ein Fünftel der Medizinerinnen, die im Fernsehen vorkommen. Das hat mich besonders schockiert”, so Furtwängler, die vor ihrer Schauspiel-Karriere selbst als Ärztin gearbeitet hat.
Kommunikationswissenschaftlerin Elizabeth Prommer: „Frauen werden nicht gefragt“
Diesen Befund kann auch die Kommunikationsforscherin Elizabeth Prommer bestätigen: „Eines der wichtigsten Ergebnisse unserer Studie ist, dass Frauen nicht gefragt werden. Und zwar auch dann nicht, wenn es sie gäbe. Frauen sind die wahren Heldinnen in der Krise – und das erzählen uns: die Männer”, so Prommer.
Spiegel hat Talkshows bei ARD und ZDF untersucht
Auch der Spiegel hat sich mit der Frage beschäftigt, wer eigentlich in der Corona-Krise von den Medien gefragt wird. Das Nachrichtenmagazin hat dazu verschiedene Talkshows von ARD und ZDF unter die Lupe genommen. Untersucht wurde die Zusammensetzung der Gäste bei Anne Will, Hart aber fair, Maischberger (alle ARD) und Markus Lanz (ZDF). Seit Jahresanfang ging es laut Spiegel in 70 Sendungen mit 348 Gästen um das Thema Corona.
„Die Ergebnisse sind ernüchternd“, bilanziert der Spiegel: „Viele Bevölkerungsgruppen sind unterrepräsentiert: nicht nur Frauen und junge Eltern, sondern auch Ostdeutsche, Migranten und Menschen aus den unteren sozialen Schichten. Ihre Stimmen fehlen in den Talkshows - und auch in der gesamten Debatte über die Corona-Krise.“