ARD sagt Produzenten Hilfe zu Nur noch sieben Folgen „In aller Freundschaft“
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05. April 2020, 00:00 Uhr
Die erste Klappe für Quentin Tarantinos bildstarken Anti-Nazi-Film „Inglourious Basterds“ fiel in Sachsen. 2008 wurde in Hertigswalde bei Sebnitz eine Woche lang gedreht. Tarantino, Christoph Waltz und die anderen Beteiligten nächtigten nach der markanten Befragungs-Szene zwischen Hans Landa (Waltz) und dem Bauern Perrier LaPedite (Denis Ménochet) im schnieken Hotel „Elbflorenz“.
Ob es nochmal zu einem solchen Stelldichein der Stars kommt? Die Corona-Krise wirft schon jetzt ihre Schatten auf die Filmwirtschaft in Mitteldeutschland und anderswo. Joachim Günther, Vorsitzender des Filmverbands Sachsen, spricht von einer „Alarmstimmung, weil die Situation ganz praktisch die Herstellung von Filmen oder TV-Produktionen sehr erschwert bis unmöglich macht.“ Vor allem „freischaffende Kollegen und auch Produktionsunternehmen machen sich derzeit große Sorgen, wie sie zu Einkommen kommen sollen“, erklärt er.
Drehstopp bei „In aller Freundschaft“
Im Fernsehbereich, wo die Produktionszeiten formatbedingt viel kürzer sind, sieht es ähnlich aus: Von der langjährigen, in der fiktiven „Sachsenklinik“ spielenden Krankenhausserie In aller Freundschaft liegen nur noch sieben abgedrehte Folgen auf Halde, drei weitere warten auf ihre Postproduktion, also die abschließende Bearbeitung wie zum Beispiel den Schnitt. Aber nach der Ausstrahlung der letzten Folge muss sich die ARD etwas überlegen – seit dem 20. März gilt für In aller Freundschaft und ihre beiden Ableger ein Drehstopp. „Manche Sachen laufen natürlich weiter“, heißt es aus der Pressestelle des MDR, zum Beispiel wenn es um die Stoffentwicklung wie das Schreiben von Drehbüchern geht oder die so genannte Postproduktion, also den Schnitt und die weitere Bearbeitung von bereits fertig gedrehten Folgen.
Doch auch inhaltlich könnte sich gerade für diese Serie einiges verändern. Denn selbst wenn man dank exorbitanter hygienischer Schutzmaßnahmen und angepasster Bildaufteilungen (mit weit voneinander entfernt stehenden Krankenbetten) in näherer Zukunft weiterarbeiten könnte – die Frage bleibt, ob die Pandemie thematisiert werden müsste. Dabei ist es kaum vorstellbar, dass eine fiktive Krankenhausserie, die zumindest in Ansätzen realistisch sein möchte, einen Gesundheits-GAU ignoriert. Um den akuten Ausnahmezustand in die Serie hineinzuschreiben, müsste man das Virus andererseits aber erst einmal ver- und überstehen.
ARD beteiligt sich an Kosten für die Verschiebung von Dreharbeiten
In einer Pressemeldung kündigte die ARD bereits am 17. März 2020 an, sich im Falle von Drehverschiebungen und dadurch entstehenden Kosten „im Einzelfall freiwillig mit 50 Prozent beteiligen“ zu wollen. Seit dem 27. März gibt es außerdem ein von der regionalen Filmförderung und der Filmförderanstalt des Bundes (FFA) beschlossenes Maßnahmenpaket: 15 Millionen Euro wollen die Filmfreundinnen und -freunde mit den Spendierhosen für Produktion, Verleih und die Kinos locker machen. Der Filmverband Sachsen begrüßt das, fordert aber laut Vorstand Günther „eine dem weiteren Verlauf der Krise angepasste Fortführung“. Denn momentan kann noch niemand sagen, wie lange es dauert, bis der Spuk vorüber ist, und ob das Geld tatsächlich bis zum Ende reicht.
Internationales Filmfest Dresden muss verschoben werden
Auch die Orte, an denen Filme gezeigt werden wollten, sind betroffen – Kinos genauso wie Festivals. „Noch am Montag, dem 9. März, hatten wir die Programmhefte in Druck gegeben“, sagt die Leiterin des Internationalen Filmfestes Dresden, Sylke Gottlebe. Das renommierte Festival für Kurzfilme, das einen beneidenswerten Ruf hat und seine Regisseurinnen und Regisseure mit Preisgeldern von jährlich über 67.000 Euro lockt, ist soeben von Ende April auf – voraussichtlich – September verschoben worden. Trotz der vorsichtig optimistischen Terminlösung sieht Gottlebe die Gefahr, dass die Kurzfilmschaffenden „drastische Einschränkungen, Einbußen und Verluste“ hinnehmen müssen. Allerdings hofft sie, dass es in diesem Bereich dennoch zu einer schnelleren Erholung kommen wird – denn:
Die Kurzfilmszene folgt im Vergleich zu langen Spielfilmen ganz eigenen Regeln, arbeitet viel spontaner, unkonventioneller und innovativer, und kann besser improvisieren.
Nicht alle Szenen lassen sich am Computer herstellen
Bei allem Improvisationstalent und den wachsenden digitalen Produktionstechniken wie CGI (Computer-Generated Imagery, also per Computer hergestellte Bilder) lassen sich dennoch viele bildliche und inhaltliche Sequenzen schlichtweg in diesen Zeiten nicht realisieren. Wie sollen Liebesszenen, Massenschlägereien, Tanzchoreografien gedreht werden, ohne dass sich die Darstellerinnen und Darsteller körperlich näher kommen? Filme oder mediale Produkte, die mit einer Minimalcrew erstellt wurden, sieht man zwar längst im Netz. Die vielen erfolgreichen Tutorials und Clips, die von einer einzigen Person stammen, haben jedoch meist eine recht eingeschränkte Ästhetik. Und dramaturgisch beeindruckende „Desktop Films“ wie der Thriller Profile des russischen Regisseurs Timor Bekmambetov, der sich komplett auf den Computerbildschirmen der Hauptdarstellerinnen und -darsteller abspielt, und von ihren Webcams gefilmt ist, bilden bislang die Ausnahme.
Vielleicht entsteht ja bald eine Renaissance der Robinsonaden und Kammerspiele. Oder der Trend geht zurück zur Naturdokumentation – die Sächsische Schweiz bietet sich schließlich auch dafür an. All das wird den meisten unter der Krise ächzenden Filmschaffenden jedoch nicht helfen.