Das Interview zum Nachlesen Memes als politische Kommunikation
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10. Februar 2023, 01:00 Uhr
Maik Fielitz forscht am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena zu digitaler Kultur und Rechtsextremismus. Im Gespräch mit MEDIEN360G erklärt er das politische Gewicht von Memes, die sich dennoch nicht von oben herab steuern lassen. Ein Gespräch über Politik, Meinungsäußerung, und das Verpacken von vielen Inhalten in Bilder statt in Worte.
MEDIEN360G: Was sind Memes?
Maik Fielitz: Ich verstehe unter Memes an sich eine kulturelle Einheit, die verschiedene mediale Formen haben kann, die sich Stück für Stück weiterverbreitet und im Endeffekt ein Eigenleben aufnimmt. Das heißt, dass ursprüngliche Botschaften dann Schritt für Schritt angepasst werden, sich andere Kontexte wiederfinden, dass dann im Endeffekt stetig eine Form von kulturellen Einheiten immer weiter reproduziert durch eine sehr partizipative Kultur von Leuten, die daran teilnehmen.
MEDIEN360G: Wo finden wir Memes?
Maik Fielitz: Die Frage ist eher, wo Memes nicht auftauchen. Ich glaube, sie sind omnipräsent. In der digitalen Kommunikation sowieso, aber auch bestimmte Jokes oder Handlungsweisen haben auch memetische Komponenten. Die Geburtsstunde von den Memes, Online-Memes, wie wir sie oft verstehen, sind oft dann gewisse Online-Boards, wo sich Communitys zusammenschließen und ko-kreativ solche Bildchen kreieren. Es geht natürlich sehr schnell: Ein gutes Meme verbreitet sich halt. Natürlich geht das sehr schnell in die Kommunikationskanäle, mit denen wir uns beschäftigen, von sozialen Medien hin bis zu Messenger-Diensten, oder auch über Gespräche weiterverbreitet, und in gewisser Weise rezipiert und reproduziert.
MEDIEN360G: Wann ist ein Meme stark?
Maik Fielitz: An sich wird die Stärke eines Memes in der Reichweite gemessen. Und in der Art und Weise, wie es rezipiert und weiterentwickelt wird. Wenn ein Meme auf Resonanz stößt, und sich in immer neuen Kontexten reproduziert, sehen wir, dass eine Meme anscheinend eine Botschaft trägt, die sehr kompatibel ist. Das macht ein erfolgreiches Meme schon am meisten aus. Welche Elemente damit verbunden ist, ist wirklich sehr kontextabhängig. Es kann schon sein, dass insbesondere Slapstick in einer Interaktion beziehungsweise Situation besonders häufig ziehen. Das heißt: Wo Menschen sich hineinversetzen können in eine bestimmte Lage, und wo Bild das ausdrücken kann, was Worte sehr schlecht ausdrücken können.
MEDIEN360G: Wie stabilisieren sich Memes?
Maik Fielitz: Das Besondere an Memes ist eigentlich, dass wenige Top-Down-Memes kreiert werden, die dann im Endeffekt Verbreitung finden, sondern dass es eigentlich schon sehr stark Bottom-Up funktioniert. Das heißt: Eigentlich sind Memes sehr schwer zu steuern, sondern sie sind sehr abhängig davon, wie andere Menschen darauf reagieren, und auch aus eigener, organischer Motivation versuchen, sie weiterzuentwickeln. So richtig lässt sich nicht sagen, wann ein Meme zieht, und wann nicht. Das ist, glaube ich, auch das Interessante am Meme: Dass es einfach so unvorhersehbar ist, wie es sich verbreitet. Deswegen produzieren auch sehr viele Leute Memes oder teilen sie, weil sie Teil von einer Dynamik werden wollen. Möglichst am Anfang und nicht dann, wenn es schon im Mainstream gelandet ist.
MEDIEN360G: Warum machen Leute Memes?
Maik Fielitz: Aus Spaß. Ich glaube, es macht viel Spaß, Memes zu kreieren. Aus Aufmerksamkeitsgründen, weil man dann einer der ersten sein will, der eine gewisse Information bildlich darstellt oder der etwas entdeckt hat im Online-Kosmos. Man strickt auch politische Botschaften rein. Das ist ein ganz zentrales Element von Memes: Dass verschiedene Botschaften in einem Bild zusammengefasst werden, und dass dann verschiedene Zielgruppen unterschiedliche interpretieren können. Diese Vielschichtigkeit des Memes ist etwas, was es sehr anknüpfungsfähig für verschiedene Kontexte macht. Und sich dann im Endeffekt verselbstständigt in einer Art und Weise.
MEDIEN360G: Sind Memes harmlos?
Maik Fielitz: Sie sind ein zentrales Element von öffentlicher Kommunikation. In einem politischen sowie sozialen und kulturellen Diskurs spielt visuelle Kommunikation eine ganz zentrale Rolle. Das ist bewusst so, weil es sehr direkt ist. Bildkommunikation ist sehr direkt. Somit sind Memes auch ganz selbstverständlich zentrale Kommunikationsweisen, an denen viele Menschen partizipieren können. Das heißt, sie können viele Menschen erreichen. Es braucht nicht eine bestimmte Lesart. Es braucht nicht eine bestimmte Sprache. Sondern die funktionieren transkulturell, translingual. Gleichzeitig haben sie das Potential, eine gewisse Repsonsivität auszulösen, eine gewisse Interaktivität nach sich zu ziehen, an der Leute partizipieren können. Es gibt ein großes Gemeinschaftsdenken, am Memes zu partizipieren, und auch eine große Ingroup-/Outgroup-Dynamik. Wer versteht die Memes und wer versteht sie nicht? Wer soll sie verstehen, wer soll sie nicht verstehen? Wer kann sie kreieren, wer kreiert sie nicht? Das ist schon ein sehr identitätsstiftendes Element in der Meme-Kreation, die dann einerseits sehr exkludierend wirken kann in der Art und Weise, wer sie produziert und wer sie wahrnimmt, aber auch vom Inhalt immer eine gewisse Form von Ausschluss beinhaltet. Über diejenigen, die die Sprache nicht verstehen, oder scheinbar den Sinn nicht verstehen. Andererseits kann es auch gehen: Ausschließend, weil man einer Gruppe angehört, die in den Memes aufs Korn genommen wird.
MEDIEN360G: Sind Memes politisch?
Maik Fielitz: Ja. Visuelle Kultur ist eigentlich immer auch politisch. Auch, wenn wir popkulturell gucken, welche Bilder genommen werden, welche Personen abgebildet werden. Das ist immer eine politische Entscheidung in gewisser Art und Weise. Selbst, wenn das besonders harmlos wirkt. Aber ich glaube: Memes haben nicht den Anspruch, das zu verheimlichen. Klar, es gibt viele, die eher unpolitisch wirken. Teilweise auch sind, weil sie gewisse Reaktionen nur einfach wiedergeben. Andererseits kommt es auf den Kontext an, wo Memes eingesetzt werden. Ein sehr unverfängliches Meme kann in der politischen Debatte einen sehr politischen Charakter haben. Als Beispiel: Wenn wir in irgendeiner Diskussion über Hautfarbe oder Herkunft eine Meme nehmen, was jemanden mit einer dunklen Hautfarbe abbildet, hat das sofort eine Konnotation. Egal welche Form, welche Handlung er da im Endeffekt vollzieht. Somit ist das sehr Kontext-abhängig, wann eine Meme eingesetzt wird, dass es dadurch auch eine politische Komponente mit sich trägt.
MEDIEN360G: Gehören Memes einer digitalen Avantgarde?
Maik Fielitz: Die "Normies", sozusagen, die auch nicht verstehen, wie digitale Kommunikation funktioniert, das ist aus der früheren Internetkultur ein gängiges Schema zu sagen: Es gibt hier uns Nerds, und da gibt es die Normies. Es gibt einen krassen Divide zwischen dem, der digitale Kommunikation kann, und wer nicht. Das ist aber eine gewisse Subkultur, die in den frühen 2000ern gepflegt wurde, und dann über die Jahre vollkommen im Mainstream gelandet ist. Damit haben sich dann die Grenzen auch verschoben. Wer kann heute nicht mit Memes kommunizieren? Eigentlich sind das nur Leute, die kaum digitale Endgeräte nutzen. Sonst haben Memes diese inklusive Potential gleichzeitig, dass sie eigentlich jeder nutzen kann. Sie sind frei verfügbar. Sie können sehr schnell und sehr einfach in Kommunikation eingebaut werden. Und wir haben verschiedene Medienarten: Vom GIF über das Emoji bis hinzu Image-Macros, in denen ganz verschiedene Sachen kommuniziert werden können. Es ist schon teilweise recht schwer, da überhaupt einen gemeinsamen Rahmen zu finden. Memes als Überbegriff, klar. Aber im Detail kann das sehr unterschiedlich genutzt werden beziehungsweise sehr unterschiedliche Medienformate miteinschließen.
MEDIEN360G: Welche Rolle spielt dabei Humor?
Maik Fielitz: Es gibt ein sehr starkes Potential, was Memes haben, indem sie humoristisch wirken, wie sie dann die Grenzen zu dem Gegenüber senken. Das heißt, dass man Sachen aus einem anderen Blickwinkel sieht und somit dann auch emotional vielleicht mit einer anderen Sensibilität – das ist auch ein sehr wichtiger Punkt, eine gewisse Form von Sensibilität zu senken – sich einzulassen auf das Bild und somit dann auch die eigene Sichtweise zu hinterfragen. Und auch die Sichtweise zu ändern, dadurch, dass man das in einem anderen Kontext oder ge-remixt sieht, verschiedene Elemente zusammen. Das öffnet kognitiv sehr stark, eigenen Überzeugungen noch mal zu hinterfragen, und in der Hinsicht über das Meme eine gewisse Verbindung zu einer politischen Botschaft herzustellen zu können. Das funktioniert am besten über Humor, weil Humor sehr vereinheitlichend oder vergesellschaftend, vergemeinschaftend ist, und gleichzeitig diese Ingroup-/Outgroup-Mentalität in sich trägt, weil Humor meistens auf Kosten von anderen passiert.
MEDIEN360G: Müssen sie "edgy" sein?
Maik Fielitz: Klar, Memes sind immer eine Form von Grenzüberschreitungen, und so sind sie auch angelegt. In der Geschichte der Memes, wenn wir da mal zurückgehen, war das immer in der Art und Weise eine gewisse Überzeugung, Gegebenheiten zu hinterfragen. Auch zu zerstören, in gewisser Art und Weise. Auch sehr direkt und provokativ zu sein. Das hat sich natürlich übertragen. Je mehr und je offener der Mainstream für solche Sachen wird, desto schärfer wird das Meme dann auch. Weil die Grenzen der Debatte sich in den letzten Jahren sehr stark geweitet haben, in der Hinsicht, dass man heute viel vulgärer kommuniziert als noch vor zehn, fünfzehn Jahren. Gleichzeitig gibt es eine starke Sensibilisierung für den Schutz von Gruppen, insbesondere Minderheiten, was das heute noch mal viel stärker politisch macht, über Mitglieder von Gruppen in Memes zu kommunizieren. Da dann gewisse Grenzen der politischen Korrektheit zu durchbrechen, das ist in Memes sehr stark angelegt. Weshalb es sehr dazu einlädt, dass es von rechten Leuten genutzt wird, um eine gewisse Gegenreaktion zu erlangen.
MEDIEN360G: Sind Memes die Waffen der Underdogs?
Maik Fielitz: Das war es mal. Es war mal die Domäne der Underdogs. Als die frühe Internetkultur aufkam, wollte man Underdog sein, wollte man sich bewusst abgrenzen. Das hat sich, glaube ich, ein bisschen geändert. Memes werden eigentlich von fast jeder gesellschaftlichen Gruppe genutzt. Auch als ein politisches Instrument von Regierenden. Ich glaube, das ist auch jetzt gar nicht mehr so neu, dass auch politische Machthaber sich auf Memes und Meme-Armeen berufen, zum Beispiel Trump oder Bolsonaro. Es geht also sehr schnell, dass man Memes und auch Humor als eine sehr starke stabilisierende Funktion für gewisse politische Inhalte nutzen kann. Es sieht man aber auch in der Bundesregierung, zum Beispiel. Wenn Habeck beispielsweise öffentlich kommuniziert, das ist sehr darauf abgestimmt, dass gewisse Inhalte sich dann auch memeetisch verbreiten können. Ich denke jetzt nur an dieses Beispiel: "Kriegste nich, Alter!" Solche Sprüche sind natürlich für eine digitale Reproduktion gemacht. Das ist teilweise auch schon angelegt, wirklich im politischen Handeln, in den politischen Reden: Dass Ausschnitte daraus genutzt werden könnten, um daraus Memes zu kreieren, damit sie sich weit verbreiten, und einen gewissen Unterhaltungsfaktor in digitalen Kontexten zu entfalten.
MEDIEN360G: Wie verändern sie den politischen Diskurs?
Maik Fielitz: Je mehr sich der politische Diskurs in digitale Sphären überträgt, desto mehr muss man sich den Regeln von digitaler Kommunikation anpassen. Die sind: Sehr niedrigschwellig kommunzieren: sehr markige Sprüche; sehr kurze, prägnate Ausdrucksweisen, bestenfalls noch sehr viel mit Gesichtszügen arbeiten, wie Trump das zum Beispiel gemacht hat. Sodass sich die Sachen sehr schnell als GIFs reproduzieren und dann "all over the place" sind. Das ist schon etwas, was jede politische Richtung für sich veranschlagt: Content zu produzieren, der viral gehen könnte. Ob er viral geht oder nicht, das ist vielleicht in einem Prozent der Inhalte, die produziert werden, so. Das ist schon recht deutlich, dass gewisse Inhalte im realen Austausch gemacht werden, damit sie im digitalen Austausch aufgenommen und reproduziert werden.
MEDIEN360G: "The Left can’t Meme?"
Maik Fielitz: In gewisser Art und Weise: Ja. Es gibt ja diesen Spruch, der selbst zum Meme geworden ist: "The Left Can’t Meme". Und ich glaube, das ist auch in der Zeit entstanden, wo man denkt – auf linker Seite –, dass man da einen gewissen Diskurs, der online stattfindet, leiten kann, indem man Memes kreiert. Aber es funktioniert halt so nicht. Trump war sich bewusst, dass da quasi eine gewisse Online-Armee hinter ihm steht, die das aus Spaß macht, die auch provoziert und wahrgenommen wird. Das heißt: Auch damals, 2016, war es ein recht neues Phänomen, was von den Medien nicht immer in der Art und Weise so kritisch aufgenommen wurde, wie das eigentlich müsste. Wo man dann überlegt: Welche Inhalte sollen irgendwie verbreitet werden, welche nicht? Das war natürlich ein Anreiz. Hier auf Öffentlichkeit zu drängen. Eine Gegenreaktion zu kriegen, die natürlich die Memes dann immer weiter reproduziert haben. Er war im Endeffekt für seine Meute, die er da hatte, ein gewisser Meme-Lord. Dass da viele verstanden haben oder dachten, was da passiert ist, dass sie ihn ins Amt gememt haben. Das zeigt schon, dass man da eine eigene Wirkmächtigkeit drüber entfaltet, selbst wenn die nur imaginiert ist. Aber sie ist dann doch sehr real. In der Hinsicht, dass man versteht, Teil an einem politischen Prozess zu sein, und dass sich darüber Gemeinschaften bilden, die auch ins Abstruse, ins Unreale gehen, aber mit einem gewissen Erfolg, mit einer gewissen Unnachgiebigkeit, dort Inhalte produziert, die dann das wirklich sehr schwer machen, einen wirklich Verständlichkeits-orientierten Diskurs in der Öffentlichkeit zu führen.
MEDIEN360G: Wie kommen Memes auf die Straße?
Maik Fielitz: Es gibt im digitalen Zeitalter Bewegungen, die ganz anders funktionieren als wir die eigentlich kennen aus vordigitalen Kontexten. Sehr viele Bewegungen, die sich um einen Hashtag zum Beispiel organisieren auf linker, antirassistischer, wie auch auf rechtsextremer Seite. QAnon passt da eigentlich sehr gut rein, auch wie andere sehr führungslose Bewegungen funktionieren. Das heißt, es gibt eigentlich weder Führungspersonen, die eine gewisse Vorgabe haben, noch gibt es Manifeste, denen man sich anschließt. Sondern man agiert aus dem Impuls heraus. Man agiert darüber hinaus, dass man Gemeinsamkeiten über Hashtags oder über gemeinsame Bilder findet, die dann aber auch super divers sein können. Das spielt das Meme als vergemeinschaftendes Element eine wichtige Rolle. Dadurch, dass bestimmte Bewegungen nur noch über Bilder funktionieren – auch beispielsweise Black Lives Matter würde auch nicht gut funktionieren, ohne dass da viel Bildkommunikation funktioniert. Auch QAnon muss versuchen, diese Unklarheit, die sie sprachlich gar nicht fassen könnten, was sie da eigentlich sagen, in ein Bild zu packen. Weil dieses Bild im Endeffekt für sich alleine spricht – das ist zumindest der Ansatz – und eine gewisse Botschaft, flexible Botschaft, in sich trägt, die für viele Leute etwas Unterschiedliches bedeuten kann. Das ist, glaube ich, das Entscheidende an solchen internetbasierten, vernetzten Bewegungen, die ihre Gemeinschaft nicht unbedingt nur über das politische Handeln auf der Straße herstellen, sondern darüber, dass sie gemeinsame Referenzen haben, gemeinsame Symbole nutzen, und digitale Praktiken etablieren, wo man sich wie miteinander auseinandersetzt und austauscht. Das sind die Sachen, die da eine Gemeinschaft herstellen, und die auch digitale Gemeinschaften wachsen lassen.
MEDIEN360G: Welche Rolle spielen klassische Medien?
Maik Fielitz: Ich glaube, das meiste politische Handeln ist auf Medien ausgerichtet. Das heißt: Jede politische Bewegung, jeder politische Akteur braucht die Verstärkungskraft von Medien. Das heißt, Medien sind der Weg in den Mainstream, um Leute zu erreichen. Wenn man Leute erreichen will, muss man irgendwie auch die Medien erreichen. Das ist jetzt, in Zeiten sozialer Medien, wo es nicht mehr diese starke Kontrolle über die Zugänge zu dem öffentlichen Diskurs gibt, hat sich das natürlich sehr stark verlagert. Dass Communities aus sich selbst heraus wachsen und eine Bedeutung über ihre Reichweite generieren und über ihre Reaktion, die sie auslösen, was dann wiederrum auf mediales Echo trifft. Das hängt sehr stark zusammen, die Form, wie man digital kommuniziert, dass man dann im Endeffekt aufgenommen werden möchte von den Medien selbst, die dann wiederrum in digitalen Kontexten zu Feierstimmung führen, weil gewisse Memes oder andere Botschaften dann über andere, über Mainstream-Kanäle verbreitet werden. Die Bandbreite geht da von klassischen Meme-Kulturen bis in den Rechtsterrorismus, der auch eine sehr meme-etische Logik hat in der Art und Weise, wie er seine Beweggründe kommuniziert, aber auch in der Art und Weise, wie die Tat selber zu einer Art von Meme wird. Dass man anstoßen will, wie damals mit Christchurch, einen gewissen neuen Modus initiiert, der neue Anschläge nach sich ziehen soll, die stets weiterentwickelt werden, eigene Komponenten hinzufügen und das immer am Laufen halten, das Rad am Laufen halten sollen. Das ist diese Logik, diese Meme- und Medien-Logik, sind sehr eng miteinander verbunden.
MEDIEN360G: Wäre ohne Memes weniger Hass im Netz?
Maik Fielitz: Ich glaube, wir hätten einen anderen Hass im Netz, wenn wir Memes nicht so stark als lingua franca in der digitalen Kommunikation nutzen. Es ist sehr schwer, sich vorzustellen, wie digitale Kommunikation ohne Memes heute passiert, und auch rechstextreme und rassistische Kommunikation ist sehr schwer vorstellbar ohne bildliche Propaganda. Das zieht sich durch. Von den frühen faschistischen Bewegungen und vom Nationalsozialismus über die Nachkriegszeit bis heute. Es gab schon immer eine Ästhetisierung des Politischen, die Wort im Endeffekt überflüssig macht und sehr viel stärkere Direktheit in der Kommunikation in sich trägt. Das hat sich jetzt im digitalen Kontext mit den ganzen Memes, mit den verschiedenen Bildern so potenziert, dass Hass auf einer sehr ironischen und humoristischen Art und Weise noch mal viel mehr Geltung bekommt; und damit auch gewisse Grenzen eingerissen werden und andere dann aber auch gewisse Mechanismen entstehen, wodurch dann Sachen sagbar gemacht werden, die in Worten weniger sagbar sind beziehungsweise dann auch rechtliche Grenzen überschreiten. Diese Ambiguität von Memes, diese vielfältigen Botschaften haben immer die Möglichkeit, sich auf dieses Level zurückzuziehen, zu sagen: Das ist nur Ironie, das war nur Humor. Das ist eine Form von digitaler Kultur, die ihr Normies nicht versteht, die für uns etwas anderes bedeutet als für euch. Das sehen wir schon sehr oft, dass man sich darauf zurückzieht und politische Botschaften dann in diesem Ungewissen lässt, die für die einen das eine, für die anderen das andere bedeuten kann – sogenanntes Dog Whisteling.
MEDIEN360G: Sind Memes demokratisch?
Maik Fielitz: Nicht jeder, der eine Meme kreieren will, wird gleich zum Meme-Lord. Das braucht einiges an Zeit. Das braucht einiges an Kenntnis und an Equipment. Aber klar: Es ist auf jeden Fall keine hierarchische Kommunikation, sondern es ist eine sehr horizontale Form der Kommunikation, wo jeder sein eigenes Stück zu beitragen kann. Dieses Nutzen, dieser Open-Source-Gedanke, die Memes in verschiedenen Kontexten immer wieder zu nutzen und zu verbreiten, hat eine Form von demokratischer Kommunikation. Aber ob das gleich demokratische Zwecke erfüllt, würde ich bezweifeln.
MEDIEN360G: Wie geht’s weiter?
Maik Fielitz: Das Meme-Zeitalter begann in gewisser Art und Weise in einem vollkommen unregulierten digitalen Kontext. Vor fünf, sechs Jahren konnte man noch Memes mit Hakenkreuzen auf sozialen Medien posten, und es wurde nicht gelöscht. Es gab diese Verbreitung von rassistischen und rechtsextremen Memes, als es sehr wenig Content-Moderation auf den Plattformen gab, und als auch gewisse Sachen noch als Meinungsfreiheit ausgelegt wurden, die heute sofort von den Plattformen verschwinden würden, weil es einfach eine ganz andere Sensibilisierung gibt innerhalb der letzten Jahre, weil es antirassistische Bewegungen gab, die sehr großen Einfluss nehmen auch auf Werbetreibende, auf Plattformen selbst. Das ändert sich schon sehr stark. Ein Meme kann nicht verboten werden, das ist auch klar. Das liegt im Meme selbst oder in jeder Form der digitalen Kommunikation: Einmal in der Welt, geht es auch nicht wieder raus. Deswegen würde ich nicht sagen, dass es um das Verbieten oder Löschen geht, sondern einfach viel mehr um das Einschränken von Reichweite. Die Frage: Für Bildkommunikation, die bedenklich für demokratische Austausche ist, und das Zusammenleben generell, ein gesellschaftlicher Zusammenhalt, dass hier schon regulativ geguckt werden muss. Es muss nicht jede Nachricht einer globalen Öffentlichkeit zugespielt werden. Es gibt kein Recht auf Gehört-Werden in sozialen Medien. Man hat immer die Möglichkeit, sich einen eigenen Verlag zu bauen, sich eigene Produkte zu gestalten. Aber die Art und Weise, welche Inhalte weit fliegen und somit einflussreich werden, liegt heute in der Hand von wenigen Plattformen die kaum demokratisch kontrolliert werden. Das ist, glaube ich, das Problem der nächsten Jahre, insbesondere wenn es um solche doppeldeutige oder vieldeutige Kommunikation wie Memes geht. Dass wer die Definitionsmacht darüber hat, die Grenzen festzulegen, nicht geklärt ist. Da bin ich selber auch gespannt, welche regulativen und moderativen Änderungen der nächsten Jahre die Produktion und die Verbreitung von Memes beeinflussen.