Memes Die Welt zerbröseln in ironischen Bildern?
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10. Februar 2023, 01:00 Uhr
Was früher die Karikatur war, ist heute das Meme. So jedenfalls die Sicht derjenigen, die Memes nicht primär als Netzphänomen wahrnehmen, sondern sie auf ihre kulturgeschichtlichen Vorgänger hin abklopfen. Und da stellt sich die Frage: Was bedeutet es, wenn online quasi die ganze Welt zum Meme gemacht wird?
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Als Anfang Januar 2023 das Dorf Lützerath für den Kohleabbau geräumt wurde, gingen markante Bildsequenzen durch das Netz: Im Schlamm feststeckende Polizistinnen und Polizisten, in voller, schwerer Montur. Daneben protestierende Klimaschützer, die mit Schlamm werfen. Dann ein scheinbar mühelos über den Matsch tänzelnder Mann in Mönchskutte, der einem feststeckenden Polizisten die Schulter tätschelt. Als sich der Polizist aus der misslichen Lage befreien will, stößt der Kuttenträger den Beamten unsanft in den Schlamm zurück.
Die Sequenz ging viral – und wurde sofort "memifiziert". Ein User zum Beispiel versieht das Bild mit dem Text "Schutzpatron der Klimaschützer", Fabian Köster in der "heute-show" witzelte, der Mönch könne doch Nachfolger der damals schon angeschlagenen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht werden.
Dieses Beispiel zeigt, wie Memes als Kopplung zwischen Bild und Text entstehen – und wie sie bis in den politischen Raum hinein Bedeutung generieren.
Memes in der politischen Arena
Beobachter des Phänomens sprechen davon, dass die US-Präsidentschaftswahl 2020 eine Meme-Wahl gewesen sei. Das hatte der TV-Sender CNN schon Monate zuvor vorhergesagt. Die Internet-Community machte mit humorvollen Bildchen Stimmung für den einen oder anderen Kandidaten. Der bockige Donald Trump, der seine Abwahl nicht akzeptieren wollte, lieferte stetig Futter für Netz-Satire. Und Bernie Sanders wurde als mürrisch dreinblickender Gast bei Bidens Amtsantritt zum Internet-Star – ein Mega-Meme.
Auch hierzulande sind Memes zu einem politischen Werkzeug geworden. Auch wenn die Entwicklung der in den USA hinterherläuft. Die wenigsten Entscheidungsträger selbst haben Memes als wichtiges Medium erkannt. Erste Ansätze gab es auf konservativer Seite: So sammelten CDU und CSU Likes bei Instagram - mit einer Mischung aus Selbstironie und gezielten Angriffen gegen die Grünen, im letzten Bundestagswahlkampf etwa gegen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock.
Als Bottom-Up-Bewegung fluten die Motive das Netz indes schon lange. Sie machen Stimmung für feministische Themen, die Klimaschutzbewegung oder einen bestimmten Kurs in der Corona-Krise. Manche Bildchen überdauern Jahre, werden immer wieder variiert und in neue Kontexte gebettet. Angela Merkel zum Beispiel, die mit ausgebreiteten Armen beim G7-Gipfel vor Barack Obama steht und stetig neue Kommentare zugeschrieben bekam. Oder FDP-Chef Christian Lindner, der in den Augen der Internet-Community viel besser in die Rolle eines Thermomix-Vertreters passen würde. Oder Robert Habeck, der als Erfinder des Ein-Röhren-Heizkörpers hops genommen wird – auf dem Höhepunkt der Diskussionen um das angemessene Reagieren auf die erwartbaren Engpässe in der Gaskrise.
El Hotzo über lustige Bilder und Memes
Ich glaube, Politik spielt gerade für 'Humoristen' wie mich eine riesige Rolle, weil sie halt einfach das lustigste Meme ist. Das ist eine sehr kalte und sehr zynische Sicht darauf, weil natürlich sich die Lebensumstände von Menschen durch Politik verändern und sie darunter leiden. Und der erste Impuls bei jeder Nachricht ist, sie zu einem Witz zu machen.
Sebastian Hotz alias El Hotzo ist einer der bekanntesten "Meme-Maker" Deutschlands. Geboren in der oberfränkischen Provinz nennt sich der Mittzwanziger selbst ein lebendiges Satire-Meme. Andere bezeichnen ihn als Internet-Clown oder Online-Humoristen. 200.000 Menschen folgen ihm bei Twitter, bei Instagram sind es eine Million. Jan Böhmermann hat ihn angeheuert - als professionellen Witzeschreiber für sein Satiremagazin im ZDF. Womit El Hotzo den Nerv seiner Generation trifft, das ist die Mischung aus Selbstironie und Spott. Zehn bis zwanzig Witze, viele davon zu brennenden gesellschaftlichen Themen, postet er täglich. Meistens kurze Texte, manchmal auch Memes.
El Hotzo leidet selbst darunter, wie der Humor der Memes, wie die "Memifizierung der Welt" inzwischen ins Negative gekippt ist. "Memifizierung" hat da nicht von ungefähr den Anklang an "Mumifizierung" – denn sie trägt neben dem morbiden Schauer auch eine Erstarrung mit sich, ist ein Totenkult, dient nicht dem Lebendigen. Als Beispiel führt Hotz den IPCC-Bericht zur Erderhitzung an, nachdem sehr wahrscheinlich die 1,5 Grad-Erwärmung schon 2030 erreicht sein wird.
"Und der erste Impuls ist nicht so ein 'oh nein!', sondern eine zynische Reaktion darauf. So ein 'Hahaha, wären halt mal die Fridays-for-Future-Kids ein bisschen netter gewesen, dann hätte die CDU vielleicht was gemacht.' Ich glaube, diese Witze werden extrem schlecht altern. Sie altern jetzt schon schlecht, und wenn wir in fünf, wenn wir in zehn Jahren darauf zurückblicken, werden diese Witze sehr boshaft wirken, weil nämlich irgendwelche zynischen Arschlöcher wie ich dasaßen und einen Witz darüber gemacht haben, während ja die Welt untergeht. Das wird sehr komisch sein." (Sebastian Hotz alias El Hotzo)
Auf der einen Seite mobilisieren Memes als leicht konsumierbares Format und als bildhafte Zuspitzung gerade jüngere Zielgruppen für Debatten. Die politische Kommunikation wird durchlässiger, womöglich demokratischer. Auf der anderen Seite spielen die Bilder oft mit gefühlten Wahrheiten – der Übergang zu Fake News ist fließend. Und die massenhafte Kultivierung von Spott und Sarkasmus birgt die Gefahr, sich von ernsten politischen Diskussionen zu entfremden, sich in der distanzierten Beobachterposition einzurichten. Oder, frei nach Neil Postman: The meme is the message.