MEDIEN360G im Gespräch mit... Dr. Maya Götz
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27. Mai 2020, 12:15 Uhr
Die Medienpädagogin Dr. Maya Götz ist Mitautorin der Studie "Kinder, Medien und Covid-19". Wie informieren sich Kinder in der Corona-Krise? Welche Medien nutzen sie? Was hat sich bei der Mediennutzung verändert?
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Dagmar Weitbrecht: Seit mehreren Monaten hält uns das Corona-Virus in Atem. Schlagzeilen, Sondersendungen, Statistiken - die Informationsflut ist riesig. In aller Munde ist die Risikogruppe der Menschen über 60. Doch wie gehen eigentlich Kinder mit der Corona-Pandemie um? Dieser Frage geht die Studie „Kinder, Medien und Covid-19“ vom Internationalen Zentralinstitut für Jugend- und Bildungsfernsehen beim Bayerischen Rundfunk nach. Dr. Maya Götz ist die Leiterin des Instituts und eine der Autorinnen der Studie. Ich grüße Sie, Frau Dr. Götz!
Dr. Maya Götz: Hallo!
Dagmar Weitbrecht: Wie sind Sie auf die Idee zu dieser Studie gekommen?
Dr. Maya Götz: Zum einen geht es darum: „Wie geht es den Kindern eigentlich heute?“. Kinder haben bei uns eine sehr geringe Lobby. Wir sind uns sicher, wir müssen sie aus der Schule raus nehmen. Wir müssen sie auch sichern. Sie könnten was übertragen. Aber wie es ihnen eigentlich geht, wie wir sie unterstützen können, dafür wurde einfach relativ wenig geforscht und auch wenig Tipps gegeben, zum Beispiel was Eltern tun können.
Dagmar Weitbrecht: Weltweit wurden 4322 Kinder meist online befragt. Die Resultate: Was wissen Kinder über Covid-19?
Dr. Maya Götz: Also fast alle Kinder wissen, dass das erste Auftauchen in China war. Auf Kuba gehen sie davon aus, dass es wahrscheinlich aus den USA kam oder zumindest einige Kinder. Es ist Wissen da, wie man sich davor schützt, was die Symptome sind, wer die Risikogruppe ist. Wobei sich eben dieses Wissen sehr deutlich unterscheidet. Also Kinder in Deutschland haben ganz gut eine Ahnung. Die können bestimmte Dinge einordnen. In anderen Ländern, gerade auf dem afrikanischen Kontinent, in der arabischen Welt, da gibt es deutliche Defizite.
Dagmar Weitbrecht: Wie vergleichbar sind Aussagen von Kindern in Ländern wie Ecuador, Iran, Malaysia mit denen aus Dänemark, Kanada oder Deutschland?
Dr. Maya Götz: Was die Studie auch zeigt, gerade in den qualitativen Teilen: also erstmal sind die Probleme und wie es ihnen geht, die große Langeweile, dass die Struktur fehlt, dass sie nicht mehr wissen, wann sie morgens aufstehen sollen, was sie eigentlich den Tag über machen, das ist ganz, ganz ähnlich. Auch, dass sie ihre Freunde unheimlich vermissen. Das heißt, das macht erstmal kein Unterschied, wo sie aufwachsen. Dann im Detail natürlich, was ihnen zum Beispiel an Medien zur Verfügung steht, was für ein Diskurs überhaupt im ganzen Land (existiert), wie man über das Thema redet, das ist natürlich dann schon unterschiedlich. Also beispielsweise bei uns sind wir relativ sicher, dass Gesichtsmasken eine wichtige Maßnahme ist. In Tansania wurde vom Präsidenten unter anderem ausgegeben, beten sei hilfreicher als Gesichtsmasken. Mit solchen Aussagen erstmal umzugehen und dann die Eltern auch in dem Zweifel zu erleben. Das macht einfach einen riesigen Unterschied.
Dagmar Weitbrecht: Nun sprechen wir ja über Medien, Medienkompetenz. Aus welchen Quellen beziehen die Kinder ihre Informationen über Covid-19?
Dr. Maya Götz: Sie haben vor allen Dingen das Gefühl, sie kriegen aus dem Internet die Informationen. Sie kriegen sie auch natürlich aus dem Fernsehen aus entsprechenden Sendungen. Aber sie haben das Gefühl, Informationen aus dem Internet - und wir wissen aus anderen Studien, dass sie eigentlich Wissen, dass das Internet nicht verlässlich ist - dennoch haben Sie das Gefühl, da kann ich mich am besten informieren.
Dagmar Weitbrecht: Sie haben in der Studie auch nach der Mediennutzung und die Veränderungen, die stattgefunden haben, gefragt. Wie können Sie die Ergebnisse zusammenfassen?
Dr. Maya Götz: Also insgesamt weltweit ist vor allen Dingen Fernsehen der große Gewinner. Das ist das, was Kinder jetzt einfach mehr tun. Wir wissen aus anderen Studien, dass sie einfach insgesamt viel mehr Medien nutzen. Bei uns in Deutschland ist es vor allen Dingen auch das Internet und die Möglichkeit, mit Freunden zu kommunizieren, ganz ganz wichtig. Dann gibt es bestimmte geschlechterspezifische Unterschiede bei Mädchen zum Beispiel TikTok, die dann gerade eben wirklich im Kinderbereich, die dann eben TikTok jetzt einfach vermehrt genutzt haben. Also, es gibt weltweite Studien, die auf repräsentativer Ebene die Mediennutzung abgefragt haben, das heißt, das müssten wir nicht noch mal tun. Das haben andere auf ihre Weise viel besser getan.
Das, was wir gemacht haben, ist nachzufragen. Zunächst: Es gab davor eine qualitative Studie, wo wir Kinder gebeten haben, die Fragen erst mal ganz frei zu beantworten, und haben dann ihre Kategorien genommen und die wiederum abgefragt. Das heißt Internet ist für uns eine entscheidende Bedeutung, in dem Fall auch für Kinder. Aber das, was sie dann speziell nutzen, dass TikTok natürlich auch übers Internet läuft, dass WhatsApp auch übers Internet läuft, das ist den Kindern im Detail nicht so bewusst, beziehungsweise sie denken einfach nicht in den Dimensionen.
Dagmar Weitbrecht: Sie haben in der Studie auch Wissensfragen zum Corona-Virus gestellt, aber auch Fake News bewerten lassen. Welche Ergebnisse zeigen sich hier?
Dr. Maya Götz: Zum einen muss man sagen, Kinder in Deutschland haben sie sehr deutlich identifizieren können. Da gab es relativ wenige, die das nicht konnten, die zum Beispiel nicht wussten oder die dachten, wenn man Knoblauch isst, dann hilft das gegen Corona. Das sieht in anderen Ländern anders aus. Also zum Beispiel in der Türkei gibt es einen großen Anteil von Kindern, die an diese Fake News glauben. Das wiederum zeigt sich eben, hat zum Beispiel einen Zusammenhang zu dem Gefühl der Angst, der Besorgnis. Also je mehr die Kinder wissen, desto weniger sind sie besorgt. Genauso ist es eben bei Fake News. Je mehr sie Fake News identifizieren können, desto sicherer fühlen sie sich und desto geschützter fühlen sich auch.
Dagmar Weitbrecht: Wenn Sie auf die Studienergebnisse schauen. Welche Schlussfolgerungen lassen sich für zukünftige Krisen ziehen?
Dr. Maya Götz: Zum einen, dass wir sehr viel früher darüber nachdenken müssen: Wie geht es eigentlich den Kindern? Wie geht es den Jugendlichen? Was passiert hier eigentlich? Wie können wir sie unterstützen? Denn was zum Beispiel gerade in Bezug auf die deutschen Kinder, die befragt wurden, deutlich wurde: Sie haben relativ wenig Kompetenzen, mit dem eigenen Stress umzugehen. Also, um den Stress zu regulieren, nutzen sie dann Medien. Dann haben sie das Gefühl, ich gucke Fernsehen, dann hilft mir das. Oder die Jungs haben das Gefühl: Ich mache Videospiele, dann beruhigt mich das. Wir wissen wiederum aus verschiedenen Studien, dass Videospiele nicht wirklich das Gehirn beruhigen, sondern eher anregen. Es ist ein angenehmes Gefühl, Fernsehen oder Serien zu gucken, aber es beruhigt nicht wirklich. Es ist nicht entspannend. Da fehlen unseren Kindern einfach Kompetenzen. Sie haben sehr viel weniger Erfahrung als zum Beispiel Kinder in Asien mit dem Bereich von Meditation oder Yoga oder Möglichkeiten, einfach im Hier und Jetzt zur Ruhe zu kommen. Da wäre es ganz wichtig, dass unsere Kinder einfach mehr noch lernen oder mehr Kompetenzen an die Hand bekommen, wie sie mit sich selber umgehen können. Das ist eine der großen Herausforderungen zur Zeit. Sie sind komplett losgelöst aus den normalen Strukturen. Sie müssen ihre eigenen Strukturen aufbauen, und sie müssten sich selber psychisch gesund halten. Dafür haben wir ihnen einfach zu wenige Kompetenzen an die Hand gegeben.
Dagmar Weitbrecht: Die Studie "Kinder, Medien und Covid19" ergibt unter anderem: Kinder, die mehr wissen, haben weniger Angst. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Frau Dr. Götz.
Dr. Maya Götz: Sehr gerne.
Mehr zur Person Dr. Maya Götz:
Dr. phil. Maya Götz ist Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) beim Bayerischen Rundfunk und des PRIX JEUNESSE INTERNATIONAL. Sie schloss ihr Studium an der PH Kiel mit dem Staatsexamen für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen und der Magistra der Pädagogik ab und promovierte 1998 an der Gesamthochschule Kassel mit der Dissertation „Mädchen und Fernsehen“. Ihr Hauptarbeitsfeld: Forschung im Bereich „Kinder/Jugendliche und Fernsehen” mit internationaler und geschlechtersensibler Perspektive. Sie leitete über 180 empirische Studien u. a. zu Castingshows, Lernen mit dem Fernsehen, Fernsehfiguren und Identitätsarbeit, Selbstinszenierung von Mädchen auf Instagram und betreut pädagogisch die Medienkompetenzplattform von ARD und ZDF SogehtMedien.
* Das Interview wurde am 26. Mai 2020 im MDR Landesfunkhaus Thüringen aufgezeichnet.