Porträtfoto von Prof. Dr. Christian P. Hoffmann von der Universität Leipzig 41 min
Im Interview mit MEDIEN360G spricht Prof. Dr. Christian Hoffmann von der Universität Leipzig über Heterogenität im Berufsfeld Journalismus. Bildrechte: MDR MEDIEN360G | Universität Leipzig Tobias Tanzyma
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Sind Redaktionen zu homogen aufgestellt? Prof. Dr. Christian Hoffmann von der Uni Leipzig meint, es sei schwierig, mehr Heterogenität im Journalismus zu schaffen.

Di 10.01.2023 10:46Uhr 40:39 min

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Das Interview zum Nachlesen Heterogenität im Journalismus

13. Januar 2023, 12:04 Uhr

Im Interview mit MEDIEN360G spricht Prof. Dr. Christian Hoffmann von der Universität Leizpig über Ansätze von Haltung in der journalistischen Berichterstattung. Der Kommunikations- und Politikwissenschaftler beleuchtet Tendenzen in der Berichterstattung über politische Großereignisse, geht auf die speziellen Herausforderungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein und wägt Möglichkeiten der Einschränkung der politischen Meinungsäußerung für Journalistinnen und Journalisten ab.

MEDIEN360G:  Ein Gespräch mit Professor Christian Hoffmann von der Universität in Leipzig. Er ist Kommunikations- und Politikwissenschaftler, und mit ihm sprechen wir über das Thema "Haltungsjournalismus" in Deutschland. Zu Beginn die Frage: Den Medien und vor allem dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird ja zunehmend vorgeworfen, dass er tendenziös oder einseitig berichtet. In diesem Zusammenhang fallen Begriffe wie Haltungsjournalismus, Meinungsjournalismus oder eben auch vorwurfsvoll Gesinnungsjournalismus. Da fragt man sich: Gibt es einen Trend? Ist mehr Haltung im Journalismus in Deutschland zu beobachten? Und wie misst man das?

Prof. Dr. Christian Hoffmann: Man kann zumindest beobachten, dass über diese Frage der Gesinnung und der Haltung im Journalismus intensiver diskutiert wird. Es gibt offensichtlich periodisch bei gewissen Themen den Eindruck in Teilen der Bevölkerung, dass die Berichterstattung einseitig sei, zu sehr auf bestimmte Themen oder bestimmte Sichtweisen auf die Themen fokussiert. Es ist allerdings tatsächlich sehr schwierig zu sagen, inwiefern das objektiv zugenommen hat. Also wir beobachten das sehr stark anhand der Publikumsreaktionen. Aber objektiv müsste man ja eigentlich die Berichterstattung anschauen und materiell untersuchen, durch Inhaltsanalysen beispielsweise. Und dann versuchen so etwas wie Trends festzustellen. Das ist einfach unwahrscheinlich schwierig. Es ist sehr aufwendig und komplex, so etwas wie politische Einseitigkeiten wirklich deutlich zu identifizieren. Weil sehr viele Aspekte in eine Berichterstattung einfließen, die dann miterhoben werden müssten.

MEDIEN360G: Wie würden Sie denn jetzt im speziellen Haltungsjournalismus definieren oder abgrenzen zu dem neutralen Journalismus?

Prof. Dr. Christian Hoffmann: Ich denke schon, dass Haltungsjournalismus eigentlich ein Vorwurf ist. Das ist  eigentlich so etwas wie ein Schimpfwort. Dahinter, wie Sie sagen, steckt der Vorwurf des Gesinnungsjournalismus, dass eine bestimmte politische Ausrichtung oder Haltung oder Präferenz eben die Berichterstattung lenkt und leitet. Und dass der Journalismus dann nicht mehr ergebnisoffen berichtet, nicht mehr sachlich berichtet, sondern eben eine Sache vertritt und so etwas wie eine Überzeugungs-Absicht oder Persuasions-Absicht verfolgt. So ähnlich wie das bei der PR traditionell ist, oder im Bereich der Werbung. Insofern ist eigentlich Haltungsjournalismus keine analytische Kategorie. Es gibt schon den Begriff der journalistischen Haltung. Damit ist im Prinzip gemeint, dass so etwas wie Berufsnormen akzeptiert und angestrebt werden. Dass man versucht, möglichst sachlich, möglichst wahrheitsgetreu über einen Gegenstand zu berichten. Dass man eine Berichterstattungs-Zielsetzung verfolgt und dass man ergebnisoffen recherchiert. Dass man versucht, Ausgewogenheit herzustellen und verschiedene Sichtweisen auf ein Thema, auch Minderheiten-Sichtweisen auf ein Thema, einzuholen, um eben ein möglichst umfassendes sachliches Verständnis zu erarbeiten. Diese journalistische Haltung unterscheidet Journalisten von beispielsweise Politikern oder Wissenschaftlern, vielleicht auch PR-Verantwortlichen, die eben nicht Journalismus betreiben. Insofern, wie gesagt, ist der Begriff der journalistischen Haltung durchaus etabliert. Aber der Haltungsjournalismus ist eigentlich ein Vorwurf.

MEDIEN360G: Meinungsjournalismus kann man machen. Haltungsjournalismus, so der Vorwurf, dann vermutlich nicht?

Prof. Dr. Christian Hoffmann: Es ist bei dem Thema oft notwendig und oft schwierig, zu unterscheiden zwischen einerseits dem Fachdiskurs und andererseits der Wahrnehmung des Publikums. Das Publikum wünscht sich in der Regel tatsächlich so etwas wie einen objektiven oder neutralen Journalismus. Das sind Begriffe, die im Fachdiskurs sehr strittig oder streitbar sind. Wo es gute Gründe gibt, zu sagen, dass das eigentlich bestenfalls Ideale sind, an die man versuchen kann, sich anzunähern. Aber dass es eigentlich nicht realistisch ist, dass Journalismus wirklich objektiv oder neutral sein kann. Man kann sogar zugespitzt sagen, ein wirklich neutraler Journalismus wäre eigentlich sehr langweilig, wäre sehr überfordernd und wahrscheinlich auch weitgehend nutzlos, weil wenn man versuchen würde, alles was in der Welt passiert, eins zu eins abzubilden, wäre das erstens viel zu viel und überwältigend und das wäre eigentlich auch nicht interessant. Wir würden sehr schnell gelangweilt werden davon. Es ist ja gerade die Aufgabe des Journalismus, eben zu selektieren und Themen herauszugreifen und in einer Weise darzustellen, die für uns interessant und relevant ist. Selektion aufgrund von Relevanzkriterien ist eine Kernaufgabe des Journalismus. In dem Moment, in dem man das tut, nimmt man ja schon eine gewisse Sichtweise auf ein Thema ein. Man gibt eigentlich in dem Moment, in dem man Berichterstattung übt, so etwas wie Neutralität unvermeidlich eigentlich auf. Insofern kann man sagen, ist Objektivität ein Ideal, das angestrebt werden kann. Und das ist im Hinblick auf sachliche Berichterstattung oder Meinungsjournalismus andererseits in der angelsächsischen Tradition sehr tief verankert. Die prägt auch unser Verständnis des Journalismus. Dass das Ziel ist, in der eigentlichen Berichterstattung sachlich zu sein, die Meinung, die Gesinnung, wenn man so will, so weit wie möglich zurückzunehmen. Dafür gibt es dann aber daneben den Meinungsjournalismus, wo das dazugehört, wo das ein Qualitätsmerkmal von Meinungsjournalismus ist. Dass es so etwas wie eine klare Sichtweise und einen Standpunkt gibt für das Thema. Das macht den Meinungsjournalismus ja auch spannend.

Aber schon alleine diese Differenzierung zwischen sozusagen sachlicher Berichterstattung und Meinungsjournalismus ist etwas, was in der Bevölkerung schon schwierig zu vermitteln ist. Das sieht man daran, dass manche Mediennutzer – das ist wahrscheinlich auch verbunden mit einer geringen Medienkompetenz oder Journalismus-Kompetenz, wenn man so möchte – diese Unterscheidung schon gar nicht treffen können, nicht verstehen, dass es da einen Unterschied gibt. Wenn dann eben einmal Meinungsjournalismus betrachtet oder konsumiert wird, man sich dann plötzlich daran stört, dass dort eine Meinung drin ist. Weil man eben nicht erkennt, dass das ein Qualitätsmerkmal von dieser Art von Journalismus ist. Darüber hinaus, glaube ich, ist es schon auch so, dass -abgesehen von einem naiven öffentlichen Journalismus-Verständnis - die Komplexität, die Rolle, die Aufgabe, die Vielfalt von Journalismus nicht ausreichend versteht, gibt es wahrscheinlich tatsächlich schon einen Konflikt in der Sichtweise, wie wichtig Objektivität für guten Journalismus ist. Wir sehen in der Fachdiskussion auch im Berufsfeld immer mehr Stimmen, die Objektivitätsnormen problematisieren. Es gibt da das Schlagwort False Balance beispielsweise, dass man sagt: Es ist eben nicht richtig, bei allen Themen verschiedene Sichtweisen gleichermaßen darzustellen, weil dann halt auch falsche oder dumme Sichtweisen, möglicherweise zu viel Raum bekommen. Das steht schon in einem gewissen Konflikt zu dem wirklich sehr, sehr breiten Wunsch in der Bevölkerung, einen ausgewogenen, einen sachlichen, einen objektiven oder eben sogar so etwas wie einen neutralen Journalismus zu haben.

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MEDIEN360G: Jetzt hatten Sie angesprochen, dass Haltungsjournalismus im Gegensatz zur journalistischen Haltung oft als Vorwurf gebraucht wird. Und dass das thematisch oder punktuell aufscheint. An welchen Punkten wird es denn problematisch oder wird das als Vorwurf formuliert in den letzten Jahren?

Prof. Dr. Christian Hoffmann: Im deutschen Diskurs kann man das tatsächlich einen gewissen politischen Großereignissen festmachen. Der Vorwurf des Haltungsjournalismus und auch der Vorwurf der Lügenpresse ist groß geworden im Kontext des ersten Ukraine-Konflikts 2014. Wo es eben doch einige Bürgerinnen und Bürger gab, die den Eindruck hatten, dass ihn in dem Journalismus, wenn man ihn so nennen kann, zu sehr eine pro-westliche, pro-europäische Position vertreten wurde und die Sichtweise Russlands nicht ausreichend dargestellt oder anerkannt wurde. Das war schon eine nicht unerhebliche Minderheit, die das so empfunden hat. Deswegen gab es auf einmal sehr viel Widerspruch zur Darstellung dieser Sachverhalte im Journalismus. Das hat noch mal einen zusätzlichen Schwung und eine zusätzliche Größenordnung bekommen im Kontext der Flüchtlingskrise. Dort gab es gerade zu Beginn - das zeigen auch inhaltsanalytische Studien - einen relativ breiten medialen Konsens, der sich für die Aufnahme der Flüchtlinge, für diese Willkommenspolitik der Bundesregierung ausgesprochen hat. Das haben doch sehr große Teile der Bevölkerung anders gesehen und haben deswegen das Gefühl gehabt, dass hier eben nicht ausgewogen berichtet wird. Die Studien zeigen auch, dass sich diese frühe Begeisterung für die Willkommenspolitik im Laufe der Zeit auch wieder ausgeglichen hat und auch andere Stimmen wieder mehr gehört wurden. Aber bis dahin war das Kind sozusagen schon in den Brunnen gefallen. Diejenigen, die unzufrieden waren mit dieser Politik hatten das Gefühl, die Medien berichten hier sehr einseitig. Dann sicherlich ein aktueller Kontext ist auch die Corona-Pandemie, wo es auch diesen Vorwurf wieder gab, dass es sozusagen eine Art einheitliche Sichtweise, eine zu eintönige Einordnung der Verhältnisse, der Sachlage und der Politik in den deutschen Medien gab, sofern man eben von den Medien sprechen kann.

MEDIEN360G: Also kann man schon sagen, dass an bestimmten thematischen Großereignissen zumindest zu Beginn eine Haltung sichtbar wurde, die sich auf das Vertrauen der Nutzenden dann ausgewirkt hat in den Medien?

Prof. Dr. Christian Hoffmann: Es gibt in der Tat zu allen diesen drei Großereignissen inzwischen diverse Studien, die eben, wie eingangs gesagt, die sich Berichterstattung inhaltlich anschauen, was eben sehr herausfordernd und sehr komplex ist. Tatsächlich: Bei eigentlich allen diesen drei Fällen kamen sie auch zu dem Ergebnis, dass es vor allem in der Frühphase einen ziemlich großen Gleichklang gab. Nicht nur in der Tatsache, dass über dieses Thema berichtet wurde, sondern auch, wie darüber berichtet wurde, wie kommentiert wurde, wie eingeordnet wurde. Dass die eine Seite sozusagen deutlicher unterstützt wurde als möglicherweise die andere Seite. Das ist allerdings auch in allen diesen Fällen eine Phase. Das ist oft zu Beginn dieses Ereignisses, wenn etwas Neues passiert, das schnell eingeordnet werden muss, dass dann halt eine bestimmte Sichtweise sich durchsetzt und dann sehr breite Unterstützung bekommt im Journalismus. Dann merkt auch der Journalismus natürlich irgendwann mal: Oh Moment mal, es gibt da auch noch andere Sichtweisen. Es gibt vielleicht negative Rückmeldungen aus dem Publikum. Dann beginnt man eben, eine größere Vielfalt herzustellen. Aber wie gesagt, gerade bei der Klientel in der Bevölkerung, die ein relativ hohes Misstrauen gegenüber den Massenmedien inzwischen hat, bis hin zu medien-zynistischen Einstellungen ist dann in der Regel das Kind schon in den Brunnen gefallen. Es ist wieder der Eindruck entstanden: Die berichten ja alle gleich. Die haben alle dieselbe Sichtweise auf das Thema. Das kann sich natürlich im Lauf der Zeit auch akkumulieren. Dass sich das sozusagen dann festsetzt und verhärtet in bestimmten Kreisen, in bestimmten Milieus. Das hat natürlich auch eine politische Komponente. Schon seit einigen Jahrzehnten ist sichtbar, dass die Medien-Unzufriedenheit auf der politischen Rechten größer ist als auf der politischen Linken. Das ist in vielen westlichen Ländern der Fall. Das ist auch in Deutschland der Fall. Bei uns zum Glück nicht ganz so dramatisch wie in den USA. Aber es ist schon, wie gesagt, über einen längeren Zeitraum erkennbar, dass Menschen, die politisch links der Mitte stehen, im Prinzip zufriedener sind mit dem, was in den Medien geboten wird, als Menschen, die politisch rechts der Mitte stehen. Dieses Muster erkennen wir jetzt im Prinzip. Nicht eins zu eins, aber auch doch immer wieder. Natürlich insbesondere beim Thema Flüchtlingskrise. Dass vor allem politisch rechts der Mitte-Stehende - was 50 Prozent der der Bevölkerung sind, wenn man es streng genommen nimmt - weniger zufrieden sind mit der Art, wie über dieses Thema berichtet wurde.

MEDIEN360G: Ist ein spezielles Problem – dieser Vorwurf der Haltung – des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?

Prof. Dr. Christian Hoffmann: Das ist eine spezifische oder speziell große Herausforderungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ich meine, es ist so, dass Ausgewogenheit im Journalismus auf verschiedenen Ebenen gedacht werden kann. Man kann das auf der Ebene einer Sendung oder einer eines Berichts überlegen. Wen zitiert man, welche Seiten lässt man zu Wort kommen? Es kann verstanden werden auf der Ebene eines Gesamtprogramms. Dann kann man sagen: Es gibt vielleicht mal eine Sendung oder einen Bericht, einen Kommentar, der es eher von der einen Seite sieht; einen, der es eher von der anderen Seite sieht. Und dann gibt es natürlich auch noch die Systemebene, also die unterschiedlichen Medien, die sich vielleicht eher links oder rechts irgendwo anders positionieren und sich so insgesamt irgendwo die Waage halten. Wenn man das Mediensystem insgesamt anschaut: Die Presse, den Online-Journalismus inzwischen natürlich vor allem auch, die privaten und die öffentlich-rechtlichen Medien. Dann ist es in der Tat so, dass man versucht, aus einer regulatorischen Perspektive auch sicherzustellen, dass es insgesamt eine systemische Ausgewogenheit und Vielfalt vor allem gibt. Nicht unbedingt Ausgewogenheit, aber Vielfalt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist nun speziell, weil er durch eine Abgabe, durch eine Gebühr, finanziert wird und wir alle, ob man nun will oder nicht, Konsumentinnen und Konsumenten, zumindest Mitträger das öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Deswegen ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk insbesondere zur Ausgewogenheit innerhalb dieser einen Organisation verpflichtet. Da reicht es eben nicht zu sagen: Naja, wir beziehen möglicherweise eine Position. Aber dann gibt es ja noch den privaten Rundfunk. Der bezieht die andere und zugleich sich das aus. Dieses Argument gilt für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht. Er muss in sich ausgewogen sein, und deswegen ist hier der Druck besonders hoch.

MEDIEN360G: Wenn Haltungsjournalismus als Vorwurf formuliert wird, geht ja damit einher, dass damit bestimmte Positionen vertreten werden. Und dass es eben nicht ausgewogen ist. Wo sehen Sie da Ursachen, dass das so ist?

Prof. Dr. Christian Hoffmann: Ich glaube, ein Problem des Begriffs des Haltungsjournalismus, wenn Journalistinnen und Journalisten den sozusagen umarmen und sagen: Ja, ich bekenne mich dazu, Haltungsjournalismus zu betreiben. Da ist natürlich die Frage: Was ist eigentlich Haltung? Das ist schon ein sehr schillernder Begriff. Wie gesagt, journalistische Haltung ist so etwas wie ein professionelles Berufsverständnis. Man kann sagen: Ich habe eine Haltung, weil ich mich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekenne, was mehr oder weniger eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Oder man kann sagen: Ich habe eine Haltung, weil ich darüber hinaus mich zu bestimmten Grundwerten bekenne, wie Toleranz beispielsweise oder Vielfalt. Aber dieses Spektrum ist natürlich fließend und kann direkt übergehen in so etwas wie eine Gesinnung. Dass man sagt: Es gibt eine bestimmte Forderung, einen bestimmten Politikansatz, den ich aufgrund meiner Werte für richtig halte und deswegen proaktiv unterstütze. Wenn jetzt der Journalismus ein Berufsfeld wäre, das politisch sehr heterogen wäre, könnte das auch immer noch relativ unproblematisch sein. Weil dann würden die einen Journalisten eher das eine in den Vordergrund stellen wollen und die anderen das andere. Aber das beißt sich dann eben mit der berufs-soziologischen Forschung zum Berufsfeld Journalismus, die zeigt, dass dieses Berufsfeld ein insgesamt eher linksorientiertes Berufsfeld ist. Ich glaube, das ist eine sehr gut etablierte und sehr wichtige Erkenntnis, die man mitdenken muss, wenn man über das Thema Haltungsjournalismus redet, weil es sonst sehr bequem werden kann, zu sagen: Na ja, wir haben alle unsere Haltung, wir haben alle unsere Sichtweisen. Und das ist doch nicht schlimm, wenn die unsere Berichterstattung auch beeinflussen. Und dabei ignoriert, dass dann, wenn alle Journalistinnen und Journalisten das tun, tatsächlich trotzdem eine einseitige Berichterstattung dabei herauskommen kann. Die Umfragen, das sind vor allem Umfragestudien, die sich Journalisten in Deutschland anschauen, kommen auch schon seit Langem, seit den 80er-Jahren spätestens, zu dem Ergebnis, dass eine deutliche Mehrheit dieses Berufsfeld links der gesellschaftlichen Mitte steht. Also wenn man sozusagen die Bevölkerung auf einen Spektrum ausbreitet, gibt es irgendwo eine Mitte. Wenn man nur das Berufsfeld Journalismus anschaut, dann ist diese Mitte des Berufsfeldes Journalismus etwas links von der Mitte der Gesellschaft. Das bedeutet, dass je nach Studie ungefähr zwei Drittel bis zu drei Viertel der Journalistinnen und Journalisten links der gesellschaftlichen Mitte stehen. Was sicherlich auch einen Zusammenhang hat mit dem Befund, dass Bürger, die rechts der politischen Mitte stehen, eher unzufrieden sind mit dem Journalismus. Übrigens sind auch genau die Bürgerinnen und Bürger am zufriedensten mit dem Journalismus, die sich ungefähr dort verorten, wo die Mitte des Berufsfeldes Journalismus ist. Die sich besonders gut abgeholt fühlen in ihrer Sicht auf die Welt, durch das, was Journalistinnen und Journalisten bieten.

MEDIEN360G: Es ist also so, dass verschiedene Studien belegen, dass es eine Verschiebung ein linkes Schwergewicht sozusagen innerhalb des Journalismus in Deutschland gibt. Wie kommt das zustande?

Prof. Dr. Christian Hoffmann: Dass ein Berufsfeld so etwas wie eine politische Verschiebung gegenüber der Bevölkerung hat, ist völlig normal. Zum Beispiel das Berufsfeld der Polizisten oder der Soldaten ist ein eher im Durchschnitt konservatives Berufsfeld. Das sind tatsächlich in der Regel eben soziologische Einflussfaktoren wie beispielsweise: Was ist das materielle Umfeld dieses Berufsfeld? Wie viel verdient man in diesem Berufsfeld? Wie kompetitiv ist das Berufsfeld? Ist das ein akademisch geprägtes Berufsfeld? Ist das ein städtisch-, urban-geprägtes Berufsfeld? Ist das eher ein junges oder ein altes Berufsfeld? Im Journalismus kommen da viele Dinge zusammen. Es hat sich in den letzten Jahren eine sehr starke Akademisierung durchgesetzt. In der Regel studieren Journalisten eine Sozial- und Geisteswissenschaft. In der Regel sind sie in Großstädten verankert oder tätig. In der Regel sind sie eben in städtische, urbane, kosmopolitische Milieus eingebunden. Der Journalismus ist ein materiell nicht furchtbar attraktives Berufsfeld, und konservativ eingestellte Menschen - auch dazu gibt es Studien - suchen sich eher materiell sichere oder gut ausgestattete Berufsfelder. Insofern muss man vermutlich auch ein bisschen ein politischer, engagierter Mensch sein, um zu sagen: Ich gehe in ein Berufsfeld, in dem ich vielleicht weniger gute Karriereaussichten oder materielle Aussichten habe, aber Befriedigung dadurch bekomme, dass ich die Welt verändern und verbessern kann. Da kommen eben all diese Dinge zusammen, die dann unterm Strich das Phänomen ergeben, dass der Journalismus ein eher links geprägtes Berufsfeld.

MEDIEN360G: Wirkt sich das aber auf die Berichterstattung aus, beziehungsweise - zugespitzt - führt das zu mehr Haltung am Ende?

Prof. Dr. Christian Hoffmann: Das ist sehr schwierig zu sagen. Wir wissen relativ gut, wie dieses Berufsfeld Journalismus zusammengesetzt ist. Wir wissen auch ziemlich gut, wie das Publikum es wahrnimmt, dass es da so eine asymmetrische Zufrieden- oder Unzufriedenheit mit der Leistung des Journalismus gibt. Aber dann eben die Frage: Inwiefern ist das, was der Journalismus bietet, möglicherweise politisch einseitig? Es gibt immer wieder Untersuchungen, die keine Einseitigkeiten feststellen können. Es gibt Studien, die temporäre Einseitigkeiten feststellen können, wie gerade beschrieben, am Beispiel der Flüchtlingskrise oder der Ukraine-Krise. Es gibt Studien, die sich bestimmte, relativ enge Themenaspekte anschauen, wie beispielsweise die Energiewende oder Düngemittel oder solche einzelnen Dinge, wo man tatsächlich dann relativ gut nachweisen kann, dass dort eine Sichtweise die andere dominiert. Insofern, würde ich sagen, ist der Forschungsstand hier nicht eindeutig. Es gibt durchaus einige Indikationen dafür, dass es tatsächlich eine solche Einseitigkeit gibt. Man muss auch sagen, wenn es Studien gibt, die eine Art Einseitigkeit in der Berichterstattung finden, dann kommt tatsächlich diese Einseitigkeit eigentlich immer aus der einen, eher aus der linken, Ecke.

MEDIEN360G: Es ist jetzt so. Es gibt eine leichte Verschiebung, aber es gibt ja da auch Möglichkeiten, das wieder auszugleichen. Welche Möglichkeiten gibt es da, um Diversität im Journalismus sicherzustellen? Beziehungsweise was wäre da wichtig?

Prof. Dr. Christian Hoffmann: Wenn man der Logik folgt, dass diese Herausforderung aus dem Berufsfeld selbst heraus kommt, dann ist, wie Sie richtig sagen, die Herausforderung, darüber nachzudenken: Wie setzt sich eigentlich das Berufsfeld zusammen? Oder eben aus Sicht einer Organisation: Wie setzt sich unsere Redaktion zusammen? Das heißt, das ist dann eine Frage des Personalmanagements, wenn man so möchte. Also eine Frage der Rekrutierung, eine Frage der Ausbildung natürlich auch. Es hat, glaube ich, auch sehr, sehr viel mit der Frage des Bewusstseins für die Herausforderung zu tun. Aus meiner Sicht ist das Ziel, aus diesem eher linksorientierten oder -verankerten Berufsfeld ein mittiges oder konservatives zu machen, ist schlicht nicht realistisch. Dafür sind die soziologischen Einflussfaktoren einfach zu groß und zu mächtig und keine Organisation kann das für sich beheben. Selbst die Vorstellung, dass man jetzt sagen kann: Wir möchten eine Redaktion aufbauen, die diese leichte Schlagseite im Berufsfeld versucht auszugleichen. Selbst das scheint mir fast unrealistisch zu sein. Es gibt eine ganz lustige, jetzt nicht furchtbar systematische Untersuchung im Hause Springer, wo man untersucht hat: Wen wählen dort die Journalistinnen und Journalisten eigentlich? Ich meine, es war bei der BILD-Zeitung. Auch dort gab es eine deutliche Mehrheit für Rot-Grün. Es gab jüngst in der Schweiz den Versuch, eine dezidiert konservative Zeitung zu lancieren. Dieses Projekt ist nach ein paar Jahren letztlich gescheitert. Es ist sehr schwierig, in einem Berufsfeld, das sich so zusammensetzt, genug Journalisten zu finden, die engagiert sind und die gut ausgebildet sind und die vielleicht auch nicht zu viel Geld verlangen, um dann wirklich ein komplett ausgeglichenes Ensemble zu haben in der Redaktion. Ich glaube, erstens die Sensibilität für diese Fragestellung bei der Ausbildung und Rekrutierung scheint mir sehr wichtig. Das ist, glaube ich, auch eine gemeinsame Herausforderung für die Institutionen des Journalismus. Eine ganz banale Frage, und das sage ich jetzt, obwohl wir natürlich eine tolle Journalismusausbildung hier an der Universität haben, ist schon: Müssen Journalisten immer einen akademischen Abschluss haben, wenn die rekrutiert werden? Der Journalismus kommt im Prinzip aus so einer Art Handwerksberuf. Diese Akademisierung ist auch verbunden damit, dass sich dann die Zusammensetzung in eine bestimmte Richtung entwickelt. Man kann sich überlegen, wie Journalistenschulen versuchen, an Nachwuchs ranzukommen. Wo man den rekrutiert, wie man versucht, Begeisterung für Journalismus zu schaffen. Ich denke, es gibt einen breiten Konsens, dass man keine Litmus-Tests einführen sollte. Im Sinne von, man muss erst mal irgendwie seine Wahl-Präferenz offen legen, bevor man eingestellt wird, oder sowas. Das kann nicht das Ziel sein. Aber wie gesagt schon so ein bisschen die Frage: Aus welchem Milieu rekrutiert man eigentlich den Nachwuchs? Muss der immer von derselben Schule kommen? Muss der immer akademisch gebildet sein? Müssen das immer Menschen sein, die einen urbanen Hintergrund haben? Auch wenn man dadurch das Problem nicht völlig beheben können wird, ist es wichtig, dass der Journalimus sich dessen bewusst ist, was für ein Berufsfeld das ist, wie dieses Berufsfeld tickt, um dann sensibel dafür zu sein, wenn solche Ereignisse eintreten, die eingeordnet werden müssen. Zu überlegen: Oh, gibt es hier möglicherweise einen Herdentrieb? Gibt es hier möglicherweise eine Tendenz, zu sehr auf Menschen zu hören, die uns inhaltlich nahestehen? Orientieren wir uns zu sehr untereinander an den eigenen Sichtweisen und kommt es dadurch zu einer möglicherweise einseitigen Berichterstattung?

MEDIEN360G: Das ist auf der der Ebene des Systems. Dann gibt es auch noch den individuellen Akteur, den individuellen Journalisten. Welche Rolle spielt denn Social Media bei dem Trend oder dem Hang zu mehr Haltung im Journalismus?

Prof. Dr. Christian Hoffmann: Die Digitalisierung hat hier einen großen und möglicherweise einen unguten Einfluss, wenn man so will. Denn das mag überraschen, aber es ist tatsächlich das klassische Finanzierungsmodell der Massenmedien über Werbung, die mit dazu beigetragen hat, den massenmedialen Journalismus in der Mitte der Gesellschaft zu verankern. Weil es ist ja so, wenn ein Medium möglichst viel und möglichst teuer Werbung verkaufen möchte, braucht es ein möglichst großes Publikum. Das bedeutet, wenn man sich politisch sehr einseitig auf der einen oder anderen Seite verortet, dann hat man ein entsprechendes Nischenpublikum und kann entsprechend weniger Werbung verkaufen oder zu tieferen Preisen. Das heißt, das alte Modell, dass man versucht, Werbeeinnahmen zu generieren, führt eigentlich dazu, dass sich Medien in der Mitte der Gesellschaft verankern, um ein breites Publikum anzusprechen. Da funktioniert der Online-Journalismus sehr anders. Der Online-Journalismus finanziert sich viel stärker aus Abonnements. Das heißt, dass die direkte Finanzierung durch die Leserinnen und Leser oder Zuschauer eine deutlich wichtigere Rolle spielen. Da gibt es dann eben eine interessante Paradoxie: Dass in Meinungsumfragen die Bürgerinnen und Bürger zwar sagen, sie möchten einen neutralen, einen ausgewogenen, einen objektiven Journalismus, aber letztlich dann doch eher zu Medienprodukten greifen, die ihr eigenes Weltbild bestätigen. Das bedeutet, dass man dann, wenn ich als Leserin, als Leser, eher links oder rechts positioniert bin, doch lieber dann ein Medium habe, das meiner Meinung entspricht. Das heißt, es gibt einen materiellen Anreiz für Online-Journalismus, sich auf der einen oder anderen Seite zu verorten. Ich glaube, ein relativ extremes Szenario dafür haben wir in den USA, wo wir inzwischen wirklich sehr stark entkoppelte Medien-Blasen haben; wo wir für konservative Konsumenten mit FoxNews insbesondere und Radiosendungen und einigen Online-Plattformen dezidiert konservativen Journalismus haben. Und dann genau das Gleiche auf der Linken eben auch mit einigen großen Medienmarken. Diese zwei Medienblasen, die überlappen sich immer weniger, was offensichtlich den öffentlichen Diskurs belastet. Ganz so weit sind wir zum Glück in Deutschland nicht, aber man merkt schon, dass wenn Medien merken: Im Bereich des Digitalen brauchen wir eine sehr enge Bindung an unsere Kundinnen und Kunden. Dann kann man auch zum Gefangenen des eigenen Publikums werden und auf den Wunsch des Publikums, das eigene Weltbild bestätigt zu bekommen, immer mehr reagieren und dadurch immer einseitiger werden.

MEDIEN360G: Ist es dann auch eine Frage der Generationen, wie die zu der Form des Journalismus stehen, aus Nutzersicht gesehen?

Prof. Dr. Christian Hoffmann: Es gibt insbesondere in den USA diesen Diskurs, diese Debatte, dass die junge Journalistengeneration, die jetzt von den Universitäten kommt und dort eben auch geprägt wurde, von bestimmten Theorien, die in den Sozial- und Geisteswissenschaften dort sehr populär sind, die was mit sozialer Gerechtigkeit, Social Justice und so weiter, mit Themen wie Sexismus, Rassismus und so weiter zu tun haben, sehr intensiv geprägt sind. Die dann eben in ihr Berufsfeld kommen mit dem Wunsch, die Welt verbessern und verändern zu wollen. Und sagen eben: Wir brauchen einen Haltungsjournalismus, der sich für diese Anliegen einsetzt. Da ist dann das alte Ideal der Ausgewogenheit oder das Ideal der Objektivität hinderlich. Aus diesem Kontext entstehen dann auch Wünsche, wie die sogenannte False Balance zu überwinden und zu sagen: Nein, bei bestimmten Themen gibt es eine richtige und eine falsche Sichtweise. Es wäre nicht korrekt, der falschen Sichtweise zu viel Raum zu geben. Das scheint in den USA ein sehr stark von der von der jungen nachstrebenden Journalistengeneration getriebenes Phänomen zu sein. Auch hier ist, glaube ich, die Lage in Deutschland ein wenig anders. Es ist nicht ganz so zugespitzt wie in den USA, aber vermutlich ist es auch ein Stück weit eine Frage der Zeit, bis diese Trends dann eben sich auch bei uns niederschlagen. Weil doch viele Theorien, viel Literatur, der Fachdiskurs sehr amerikanisch geprägt ist und auch solche Konzepte wie False Balance, also falsche Ausgewogenheit, längst bei uns auch angekommen sind. Insofern würde ich erwarten, dass wir bei uns auch einen ähnlichen Generationenkonflikt möglicherweise erleben werden.

Zwei Gruppen von diskutierenden Personen befinden sich auf einer Waage. Die Waagschale, die sich zum Boden neigt, trägt nur eine Person. Während die Waagschale die nach oben neigt, mehrere Personen tragen muss. Auf dem Bild steht die Frage: Was ist False Balance? Daneben der Vermerk: In Bildern erklärt. 2 min
Bildrechte: MDR MEDIEN360G
Zwei Gruppen von diskutierenden Personen befinden sich auf einer Waage. Die Waagschale, die sich zum Boden neigt, trägt nur eine Person. Während die Waagschale die nach oben neigt, mehrere Personen tragen muss. Auf dem Bild steht die Frage: Was ist False Balance? Daneben der Vermerk: In Bildern erklärt. 2 min
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MEDIEN360G: Wenn die jüngere Generation sich mehr Haltung in der Berichterstattung zu bestimmten Themen wünscht, die ältere tendenziell eher neutral ist. Kann das auch zum Problem für den Öffentlich-Rechtlichen werden?

Prof. Dr. Christian Hoffmann: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat generell das Problem, dass er darum kämpft, an ein junges Publikum heranzukommen. Das Durchschnittsalter des Publikums im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist ziemlich hoch. Allerdings führt das ja nicht unbedingt dazu, dass jetzt das Publikum deswegen zufriedener wäre. Also das ältere Publikum zufriedener wäre als das junge mit der Leistung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ich würde es nicht primär am Alter festmachen. Ich glaube, es ist schon sehr stark eine Frage des Milieus. Es ist sehr stark eine Frage des eigenen politischen Weltbildes. Und dass wir eben feststellen, dass eher konservative Milieus, auch klassisch liberale, eher urbane Milieus, doch etwas mehr fremdeln mit der Leistung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als andere.

MEDIEN360G: Dann schauen wir mal ein bisschen nach vorne: Wenn wir annehmen, Haltungsjournalismus nicht als Vorwurf nehmen, sondern als bestimmten anderen Ansatz des Journalismus: Reichen die klassischen W-Fragen nicht mehr aus? Welchen Vorteil könnte ein Ansatz eines Haltungsjournalismus bieten?

Prof. Dr. Christian Hoffmann: Der Vorteil des Haltungsjournalismus ist sicherlich, dass er eben tatsächlich beim Publikum doch in der Regel – bei einem Teil des Publikums – auf sehr viel Sympathie stößt. Das heißt, mit einem politisch klar verorteten Haltungs-, wenn man so will Gesinnungsjournalismus, wird man sicherlich eine Nische finden können, die man dann auch sehr eng an sich binden kann. Eine Nische, die möglicherweise eine hohe Zahlungsbereitschaft hat und auch das ist ja nicht völlig neu. Wenn man in Deutschland beispielsweise an die die taz denkt, an die Tageszeitung. Da haben wir es mit so einer Art Community-Journalismus zu tun. Das ist ein politisch klar verorteter Journalismus. Natürlich ein professioneller, aber mit einer eben deutlichen Haltung, der ein bestimmtes Milieu als Publikum anspricht und auch eng an sich binden kann. Vielleicht ist das ein bisschen das Vorbild für die Zukunft, dass wir mehr Anbieter sehen werden, die sich eben überlegen: Was ist eigentlich die Nische, die wir ansprechen möchten? Das können thematische Nischen sein. Aber im breiten Politikjournalismus werden das vermutlich eben auch Gesinnungs-orientierte Nischen sein, die man sich dann aussucht, um dann dort eine möglichst enge Bindung ans Publikum zu generieren. Aber wie eingangs gesagt, ist das ein Modell, das beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht funktioniert, weil das nicht das Finanzierungsmodell des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist und der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine solche Strategie eigentlich auch gar nicht verfolgen darf.

MEDIEN360G: Wenn wir mal über den Tellerrand hinausschauen, nach beispielsweise England. Die BBC ist dort unter politischem Druck und versucht, sehr neutrale, sehr über-ausgewogene Berichterstattung zu machen. Also genau das Gegenteil: Haltungsjournalismus vermeiden um jeden Preis. Wie schätzen Sie das ein, wie funktioniert das? Welche Gefahren birgt das? Kann das ein Modell für den ÖR in Deutschland sein?

Prof. Dr. Christian Hoffmann: Ich glaube, dass man tatsächlich aufgrund des politischen Drucks in Großbritannien dieses Problem innerhalb der BBC erkannt hat und versucht, Gegensteuer zu geben. Das sind zum Teil sehr kleine Maßnahmen, wie zum Beispiel Vorgaben, sich auf sozialen Medien zurückzuhalten. Aus meiner Sicht ist das schon ein legitimer Ansatz. Denn es ist nun mal so, dass die sozialen Medien eine sehr hohe Unmittelbarkeit haben, sehr schnelle Medien sind. Wenn dort Journalistinnen und Journalisten sehr aktiv sind und viel preisgeben über sich, dann wird sehr schnell erkennbar, wie die politische Zusammensetzung in einer Redaktion ist, insbesondere prominenter Journalistinnen und Journalisten. Dann kommen wir zurück zu der Erkenntnis, dass das ein Berufsfeld ist, das in der Gänze eher etwas nach links verschoben ist. Das heißt, die sozialen Medien stellen vielleicht in einer gewissen Hinsicht auch eine Ehrlichkeit dar, die herausfordernd ist für den Journalismus. Ein bisschen einschränkend muss man vielleicht auch dazu sagen, wenn man sich jetzt die Frage stellt, wer ist denn eigentlich besonders aktiv auf sozialen Medien? Die wichtigste Plattform ist hier ganz zweifellos Twitter. Dann stellt man doch fest, dass die Twitter-Nutzer-Basis auch wiederum eher nach links verschoben ist. Dass ist eher eben links-positionierte, links-politisierende Personen sind, die einen sehr, sehr großen Anteil an den Inhalten haben, die auf Twitter veröffentlicht werden. Insofern ist es dann auch nicht überraschend, wenn es vor allem links verortete Journalistinnen und Journalisten sind, die besonders laut sind, die besonders viel sich zur Kenntnis geben. Das kann auch unfair sein der Redaktion und dem Medium gegenüber, weil es durchaus viele Redakteure geben kann, die eine ganz andere Sichtweise haben, aber eben nicht auf Twitter sind oder nicht zumindest auf Twitter aktiv sind und sich nicht so deutlich zu erkennen geben. Vor dem Hintergrund ist so ein relativ simpler Policy-Ansatz, wie zu sagen: Denkt an eure Kolleginnen und Kollegen, versucht euch zurückzuhalten, gebt nicht zu viel über euch Preis auf Twitter. Oder, wie man es jetzt auch in Großbritannien macht, zu sagen: Wenn bestimmte Ereignisse sind, wie jetzt zum Beispiel politische Demonstrationen und so weiter, dann nehmt daran nicht teil und versucht auch in eurer Berichterstattung darüber die Ausgewogenheit zu wahren. Das sind, denke ich, schon Ansätze, die zu einem gewissen Grad wirksam sein können und gewisse Vorbehalte beim Publikum adressieren können. Aber, wie wir ja in den Reaktionen auf die BBC sehen, im Berufsfeld einfach nicht sehr populär sind.

MEDIEN360G: Es gibt da noch weitergehende Maßnahmen: In den USA ist es so, dass viele Journalisten auch nicht wählen gehen, also offiziell sich überhaupt nicht politisch positionieren. Geht das dann zu weit?

Prof. Dr. Christian Hoffmann: Vor dem Hintergrund der Forschung ist das eigentlich ein nicht unplausibler Ansatz. Das mag jetzt überraschen. Natürlich sind Journalisten Bürgerinnen und Bürger wie jeder andere auch, und haben entsprechende Rechte und Pflichten. Aber es gibt tatsächlich psychologische Forschung, die zeigt, dass wenn man selbst in einer Simulation Sache ergreift für eine bestimmte Gruppe für eine bestimmte Partei, dass das anschließend die Art und Weise, wie man über ein Thema nachdenkt, prägt. Es gibt ganz interessante Experimente, wo man Menschen einen Anreiz gibt, für eine bestimmte Situation die eine oder die andere Haltung einzunehmen, indem man zum Beispiel einfach Diskussions-Simulationen hat und sagt: Nur für dieses Experiment; vertritt doch mal diese Position. Dann kann man tatsächlich feststellen, dass das nachhallt. Insofern ist es gar nicht unplausibel, dass, wenn man in einer Wahl sich die Frage stellt, welche Partei möchte ich unterstützen? Und dann einfach als Staatsbürger zu dem Ergebnis kommt, ich unterstütze jetzt Partei X, dass das letztlich doch irgendwie auch prägen kann auf eine subtile, unterbewusste Art und Weise, wie ich anschließend über diese Partei nachdenke. Das ist jetzt wieder sehr angelsächsisch und sehr puristisch. Aber ich muss tatsächlich sagen, aus einer psychologischen Perspektive empfinde ich, ist es gar nicht unplausibel, zu sagen, Journalistinnen und Journalisten sollten möglicherweise nicht wählen.

MEDIEN360G: Da ergeben sich zwei Ansätze: Das eine wäre, dass beispielsweise im öffentlich-rechtlichen Bereich auf der Ebene der Einzelperson eines Georg Restle oder einer Anja Reschke, die in exponierten Moderations-Positionen sind; denen zu sagen: Ihr positioniert euch besser nicht politisch, geht nicht auf Demonstration. Oder eben die Frage, auf der Systemebene, auf der Sendungs-Ebene, zu sagen: Es gibt ein eher linkslastiges Politikmagazin wie Monitor, und dem muss ein eher konservatives entgegengesetzt werden. Was ist aus Ihrer Sicht da wahrscheinlicher oder vielleicht auch sinnvoller durchzusetzen?

Prof. Dr. Christian Hoffmann: Plausibel erscheint mir eigentlich beides, die Kombination. Ich denke, es ist schon so, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf allen Ebenen und in allen Schritten über diese Thematik nachdenken muss, weil es einfach eine besondere Herausforderung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist. Und dass man bei der Ausbildung, bei der Rekrutierung, über dieses Thema nachdenken muss und dann klare Verhaltensregeln gibt für diejenigen, die in dieser Organisation arbeiten. Ich glaube, es ist völlig legitim, zu sagen: Wir sind eine aus einer Abgabe finanzierte Organisation. Wir sind in besonderer Weise der Ausgewogenheit verpflichtet. Deswegen, wenn ihr Journalist seid beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dann müsst ihr euch an härtere, an schärfere Verhaltensregeln halten, als das der Fall ist, wenn ihr bei irgendeinem privaten Medium seid. Das heißt, wenn ihr gerne Haltungsjournalismus machen möchtet, dann könnt ihr das bei diversen privaten Medien ausleben, auch privat auf Twitter, bei Demonstrationen und so weiter. Aber beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk verhält man sich so eben nicht. Das sollte nicht dazu führen, dass sozusagen Ausgewogenheit simuliert wird; dass Menschen, die eigentlich eine klare Haltung haben und die auch aus einer bestimmten Haltung auf bestimmte Themen blicken und darüber berichten, dann so eine Art Scharade aufführen und so tun, als wäre das nicht der Fall. Letztlich kommt dann eben der letzte Punkt, den Sie angesprochen haben, auch noch dazu, dass man sich dann in der Programmgestaltung überlegen muss: Wie schaffe ich es, im Gesamtprogramm auch eine gewisse Vielfalt und Ausgewogenheit herzustellen? Das bedeutet, dass man dann eben versucht, mal solche und mal jene Kommentare einzubinden. Oder eben ein Magazin zu haben, das vielleicht eine eher linke, eine eher rechte Sichtweise einnimmt. Wobei links und rechts sind natürlich auch sehr schablonenhafte und plumpe Muster. Das heißt, das Problem ist ja natürlich viel komplexer, als jetzt nur einen linken und einen rechten Journalisten zu haben. Aber von der Grundidee her, sich zu überlegen: Haben wir eine Perspektivenvielfalt in unserem Programm? Und haben wir für unterschiedliche Teile der Bevölkerung politische Angebote? Jetzt nicht nur Unterhaltungsangebote, die Menschen ansprechen und dort abholen, wo sie sind. Ich glaube, das ist, wie gesagt, eine ganz ganz große Führungsaufgabe, die alle Ebenen des Prozesses unter Steuerung der Organisation betreffen.

MEDIEN360G: Wo steht da der öffentlich-rechtliche Rundfunk? Gibt es da schon Ansätze und ist das Problem erkannt?

Prof. Dr. Christian Hoffmann: Das ist jetzt ein sehr qualitativer Eindruck. Aber tatsächlich: Aus den Gesprächen, die ich führe, aus den öffentlichen Meinungsäußerungen und zum Teil auch nicht öffentlichen Äußerungen aus den Führungsetagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks habe ich schon sehr stark den Eindruck, dass es ein großes Bewusstsein gibt für die Herausforderung und einen Willen gibt, etwas zu tun. Das mag nicht auf allen Ebenen der Organisation gleichermaßen der Fall sein. Ich höre auch immer wieder, dass das als eine sehr, sehr schwierige Herausforderung betrachtet wird. Es gibt einfach auch eine sehr große Unsicherheit, wie man mit dem Thema eigentlich wirklich effektiv umgehen kann. Was gibt es für Ansätze, um sich damit kritisch auseinanderzusetzen? Ich glaube, der Wille ist da, aber der Weg ist lang und steinig.

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