Mehr Unabhängigkeit im Journalismus! Wieviel Haltung im Journalismus darf sein?
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09. Januar 2023, 22:00 Uhr
Die Kritik an der Arbeit von Journalisten ist so alt, wie der Berufsstand an sich. Selten aber dürfte die Liste länger gewesen sein, als in diesen Zeiten. Zu tendenziös, bevormundend, belehrend, unausgewogen, regierungsnah, parteiisch: Vorwürfe, die fast jeder Journalist im beruflichen oder privaten Umfeld schon mal zu hören bekommen hat. Zugespitzt hat sich die Situation ab Mitte der 2010er Jahre. Parallel zum Erstarken des Internets und der sozialen Medien, reiht sich seither Krise an Krise.
Die Berichterstattung über Kriege, Konflikte und Katastrophen: Sie hat in den vergangenen Jahren so stark im Fokus gestanden, wie nie zuvor. Krim-Annexion, Euro-Krise, Flüchtlings-Bewegung, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg und dazu hoch emotionale und öffentlich geführte Debatten über Themen wie Klimawandel und Gender-Sprache. Parallel dazu hat der digitale Wandel massiv an Tempo gewonnen. Mit dem Ergebnis: Informationen verbreiten sich grenzenlos und in Sekundenschnelle. Und: Noch nie war es für Kritiker jedweder Seite so leicht, ihrem Unmut öffentlich und reichweitenstark publik zu machen. Der Unterschied in den Möglichkeiten zwischen digitalem und vordigitalem Zeitalter ist signifikant. Gleichzeitig lohnt sich der Perspektivwechsel, um den veränderten Blick auf das Berufsfeld Journalismus besser verstehen zu können.
Journalismus vor digitalen Zeiten
Vordigital: Das hieß langsamer und reaktiv. Diese entschleunigte Form der Informationsverbreitung hatte durchaus ihren Charme. Jedenfalls war medialer Druck kein Thema der vordigitalen Zeit. Wesentlicher Vorteil: Reaktionen aus dem Affekt und auf der Basis von Halbwissen waren eher selten. Besonnenheit und nicht unter Druck gesetzte Akteure der Öffentlichkeit trafen auf zum Abwarten gezwungene Rezipienten. Und dazwischen: Die Journalisten. An ihrer Arbeit gab es natürlich auch im vordigitalen Zeitalter gelegentlich Kritik. Jedoch war das Prinzip auch dabei: Entschleunigt. Leser- oder Zuschauerbriefe, in denen sich Rezipienten Luft machten, mussten noch handschriftlich verfasst werden. Ein Aufwand, der die Emotionen häufig schon abkühlen ließ. Souveränität vor Aggressivität.
Die vordigitale Zeit: Das war eine Zeit, in der das gesellschaftliche Klima vermeintlich weniger angespannt war. Und das, obwohl die Themen auch damals aus einem Stoff waren, aus dem heutzutage spaltende Kampagnen gesponnen werden. Die 68er, die Klimabewegung, Abtreibungsgegner und Arbeitskampf: Ihre Möglichkeiten und individuelle Reichweiten waren jedoch im Vergleich zu heute beschränkt. Und das politische Umfeld, in das sie eingebettet waren: Weniger extrem. Rechts von der CSU, wie es deren Übervater Franz Josef Strauß einst einforderte, gab es tatsächlich lange Zeit keine Partei. Dass eine rechte Partei, wie mittlerweile die AfD in Thüringen, fast jeden vierten Wahlberechtigten von sich überzeugen kann, schien damals undenkbar.
Doch die Entschleunigung in Politik, Journalismus und Gesellschaft ist Geschichte. Öffentlich geführte Diskussionen ziehen sich nicht mehr über Tage hin, sondern werden augenblicklich ausgetragen. Sie sind auch kein Duell mehr. Sie sind ein Millionell, denn beteiligen kann sich mittlerweile jeder Internetnutzende. Der technische Fortschritt spannt alle ein. Auch die Journalistinnen und Journalisten. Die Gesellschaft hat sich entscheidend gewandelt. Und damit auch das Berufsfeld Journalismus, das im Spannungsfeld zwischen Sender und Empfänger – zumindest zum Teil noch – seine neue Rolle sucht.
Potenziale des technischen Fortschritts
Was in der vordigitalen Zeit an Stammtischen und im Privaten passierte, wird jetzt im Internet beziehungsweise auf den sozialen Plattformen mit enormen Reichweiten ausgetragen. Dank der Digitalisierung ist aus dem Leserbrief ein Post, Kommentar oder E-Mail geworden. Weniger Aufwand, weniger Hemmschwelle und gewiss Unterstützung durch mitlesende Gleichgesinnte: Die Spirale der Kritik-Kanäle ist unaufhaltsam.
Im Mittelpunkt der Kritik steht dabei mittlerweile häufig die Arbeit großer Redaktionen und populärer Journalisten. Von Zustimmung bis zur totalen Ablehnung, alles dabei. Experten sind sich einig: Das Zusammenkommen von Dauerkrisenzustand und Akzeleration der digitalen Technik hat die Gesellschaft und damit auch den Blick auf den Journalismus verändert.
Im Frühjahr des vergangenen Jahres hat sich der veränderte Blick auf den Journalismus in Deutschland unmissverständlich in Zahlen ausgedrückt. Eine Studie der TU Dortmund ergab: 43 Prozent der Befragten sind der Ansicht, der Journalismus sei in den vergangenen Jahren schlechter geworden. 62 Prozent finden, in der Berichterstattung werde zu stark auf Übertreibung und Skandalisierung gesetzt. Und immerhin noch 28 Prozent stimmten zu, der Journalismus habe den Kontakt zu den Menschen verloren. Immerhin, einen Lichtblick ergab die Studie auch: Trotz der gestiegenen Kritik am Berufsstand sind 87 Prozent der Deutschen der Ansicht, der Journalismus sei wichtig für das Funktionieren der Demokratie.
Das Funktionieren der Demokratie garantieren zu wollen, ist auch der Ansatz vieler Journalistinnen und Journalisten im Land. Prominente Vertreter, wie die ARD-Moderatoren Georg Restle und Anja Reschke, argumentieren: Die Grundlage ihrer Arbeit sei die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Diese zu schützen, sei eine Haltung, die angesichts des wachsenden Rechtsextremismus in Politik und Gesellschaft dringend gezeigt werden müsse. Doch Teile des Publikums sehen das kritisch.
Die Vorwürfe der Kritiker orientieren sich am Grundsätzlichen: Journalistischer Berufsethos sei es, unparteiisch und ausgewogen zu berichten. Eigene Meinung gehöre in Kommentare, aber nicht in die aktuelle Berichterstattung. Wenn sich dazu noch Bericht und Meinung ungekennzeichnet und subtil vermischten, dann entstehe daraus "Haltungsjournalismus", der erzieherisch wirke und das Publikum bevormunde. Dabei klingt der Begriff "Haltungsjournalismus" zwar wie ein Teilbereich des Journalismus. In Wahrheit ist er jedoch ein Kunstwort ohne Definition und wissenschaftlichen Beleg.
Forderung nach mehr Transparenz
Medienwissenschaftler verweisen darauf, dass Haltungen im Journalismus zwar messbar seien. Wie sich diese Haltungen auf die Berichterstattung auswirken, sei jedoch nicht zu belegen. Denn dazu, so die Begründung, müsste nicht nur erhoben werden, welche Inhalte zu einem Thema publiziert wurden. Es müsste auch geprüft werden, welche Inhalte nicht publiziert wurden und dafür fehlt es bislang an wissenschaftlichen Instrumenten.
Und dennoch stellt sich die Frage: Wie lässt sich das Gefühl in Teilen der Gesellschaft, durch Journalismus bevormundet und beeinflusst zu werden, entkräften? Armin Wolf, Österreichs bekanntester Fernsehjournalist, gilt als härtester Interviewer im deutschsprachigen Raum. Er plädiert seit vielen Jahren für einen Lösungsansatz aus Reaktion und Reform. Wolf fordert, es müsse mehr Transparenz geschaffen werden.
"Die etablierten Medienhäuser und ihre Journalisten müssen viel stärker und besser erklären, was sie wie und warum machen."
Das, so Wolf, sorge für wieder mehr Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Das bedeutet aber auch, dass die großen Redaktionen, sowohl im öffentlichen-rechtlichen, als auch in dem tradierten privaten Bereich, ihre Verhaltensmuster und Arbeitsweisen hinterfragen und gegebenenfalls umstellen müssen. Mehr Transparenz und engagierter da auftreten, wo sich die Nutzer medialer Angebote mehr und mehr aufhalten: In den sozialen Medien.