Haltung im Journalismus Aktivismus oder Journalismus?
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09. Januar 2023, 17:11 Uhr
Raphael Thelen ist Reporter und Autor. Seit 2011 berichtete er über die Aufstände in der arabischen Welt, den Krieg in Afghanistan, fuhr mit Flüchtenden übers Mittelmeer. Sein Hauptthema aber wurde das Klima. Hierüber schrieb er unter anderem für die "Zeit" und den "Spiegel". Doch das reine Berichten reicht Thelen nicht mehr. Am 6. Januar 2023 verkündet der Journalist, dass er die Seiten wechselt: Thelen ist ab sofort Aktivist bei der "Letzten Generation".
Längst nicht alle sind so konsequent wie der 1985 geborene Bonner, der 2016 vom "Medium Magazin" als einer der "30 Top-Journalisten unter 30" ausgezeichnet wurde. Dem Medienblog "Übermedien" sagte er zu seinem Schritt: "Das ist mir klar, dass das mein Abschied aus dem Journalismus ist". Es sei ihm "sehr schwer gefallen, diese Entscheidung zu treffen, weil ich seit zehn Jahren diesen Beruf mache und ihn eigentlich auch liebe und immer daran geglaubt habe." Thelen begründet den Schritt laut Übermedien damit, dass die Klimakrise in den Medien immer noch nicht ausreichend und konsequent genug thematisiert werde. Ein Grund dafür ist seiner Meinung nach die mächtige und finanzstarke Lobby für fossile Energieträger, die es geschafft hätte, die Klimakrise als "grünes" Special-Interest-Thema zu framen. "Die einzigen Leute, die vernünftig über diese Klimakrise kommunizieren, kommen entweder aus der Wissenschaft oder aus der Klimabewegung", so Thelen.
Fridays for Future im Fokus des "Stern"
Thelens Haltung verdient Respekt. Doch wie sieht es mit der klaren Grenzziehung zwischen Journalismus und Aktivismus aus, wenn beispielsweise der "Stern" im Herbst 2020 zum Weltklimatag eine Schwerpunktausgabe über den Klimawandel gemeinsam mit Klima-Aktivistinnen und -Aktivsten publiziert? "Der Stern gestaltet gemeinsam mit 'Fridays for Future' ein Klimaheft", feierte das Hamburger Magazin seine "umfassende und einmalige Kooperation: Zum ersten Mal in 72 Jahren konnten […] Menschen direkten Einfluss auf die Gestaltung des Magazins nehmen, die nicht zur Redaktion gehören." Die letzte Entscheidung habe aber stets bei den professionellen Journalistinnen und Journalisten gelegen. Redaktionelle Distanz war aber ausdrücklich nicht geplant. "Der Stern unterstützt damit in all seinen journalistischen Angeboten das Anliegen von Fridays for Future: #keinGradweiter", verkündete der Verlag stolz "in eigener Sache".
Darf Restle auf der Demo sprechen?
Auch Georg Restle, Chef des WDR-Magazins "Monitor", muss sich immer wieder rechtfertigen. Im Oktober 2018 war der Journalist bei einer Groß-Demonstration gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit des "Bündnis unteilbar" in Berlin mit dabei. Aber nicht als Berichterstatter, sonder als Redner. Für seine Kritiker und manche Medienkolleginnen und -kollegen hatte Restle damit eine Grenze überschritten. Ihr Vorwurf lautet, Restle sei so vom Journalisten zum Aktivisten geworden. "Wenn es eine Demonstration gewesen wäre, zu der eine einzige Partei oder eine ganz bestimmte Organisation aufgerufen hätte, vor deren Karren ich mich hätte spannen lassen, dann hätte ich den Vorwurf verstehen können", sagt Restle gut vier Jahre später im Interview mit MDR MEDIEN360G. Es habe sich hier aber um ein "ganz breites Bündnis der Zivilgesellschaft" gehandelt. Deshalb habe er seinen Auftritt für richtig gehalten. Und nicht nur das: Restle sprach schon 2018 das Dilemma in seiner Rede ausdrücklich an: "Als ich Kollegen erzählt habe, dass ich heute hier auf der Bühne sprechen werde, haben nicht wenige gesagt: Was fällt Dir eigentlich ein, als Journalist auf so einer Veranstaltung zu sprechen. Wie verträgt sich das eigentlich mit Unabhängigkeit (…)?"
Es geht Restle also darum, das Dilemma deutlich zu machen und dazu zu stehen. Diese Position deckt sich mit der von Glenn Greenwald. Greenwald, ein gelernter Anwalt, hatte 2013 die Berichte des Whistleblowers Edward Snowden zur weltweiten Überwachung durch US-Geheimdienste aufbereitet und veröffentlicht. Im Interview mit Zeit Online machte Greenwald klar, dass Journalismus und Aktivismus in seiner Sicht durchaus zusammenpassen. Es sei daher hier etwas ausführlicher zitiert:
ZEIT ONLINE: Sind Sie noch Journalist oder ein Aktivist?
Greenwald: Solche Begriffe bedeuten nichts. Ich fange damit nichts an.
ZEIT ONLINE: Wir Journalisten haben gelernt, Distanz zu halten. Uns mit keiner Sache gemein zu machen.
Greenwald: Das geht nicht. Menschen sind nicht distanziert. Alle Journalisten sind Aktivisten. Sie vertreten doch alle Interessen und Einschätzungen. Für mich besteht die entscheidende Frage nicht darin, ob ein Journalist eine Meinung vertritt oder nicht, sondern ob er diese Meinung seinen Lesern ehrlich mitteilt oder vor ihnen versteckt. Entscheidend ist, ob die Fakten, die ein Journalist vermittelt, wahr sind.
Döpfner: Aktivismus als Gegenteil des Journalismus
Andere sehen das skeptischer. Zu ihnen gehört der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner. Der gelernte Journalist war bis Herbst 2022 Präsident des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV). Beim BDZV-Kongress 2020 sagte Döpfner:
"Wir Medien müssen Chronisten sein, Zeitzeugen der Realität. Und nicht Missionare eines bestimmten Weltbildes. Wenn Journalisten von Aktivisten nicht mehr zu unterscheiden sind, dann können wir einpacken. Dann braucht es uns nicht mehr. Aktivismus ist das Gegenteil von Journalismus - auch wenn es um eine gute Absicht geht."
Journalismus und Haltung: kein Widerspruch
Auch das diesjährige Global Media Forum der öffentlich-rechtlichen Deutschen Welle stellte die Frage, ob es noch eine klare Trennung zwischen Journalismus und Aktivismus gibt oder diese verschwimmt. Anna Biselli, die Chefredakteurin von netzpolitik.org, und Politikwissenschaftler Christoph Bieber von der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen, hielten hier eine zwanghafte Trennung für falsch. netzpolitik.org war zunächst ein Netzwerk von Aktivistinnen und Aktivisten und ein Blog, der sich für digitale Rechte einsetzte. Heute hat sich netzpolitik.org längst zu einer journalistischen Plattform gemausert. "Auch heute werden wir deshalb noch oft mit dieser Frage konfrontiert", sagte Biselli. "Sich an journalistische Grundsätze halten, aber mit einer Haltung, einem Ziel – das muss kein Widerspruch sein". Und laut Bieber können Journalismus und Aktivismus sogar voneinander profitieren: "Bei großen und erfolgreichen Recherchen finden sich in der Entstehung meistens Praktiken sowohl aus Journalismus und Aktivismus", so Bieber.
Kooperation von Aktivisten und Medien
Ein Beispiel unter vielen: Tierschutz-Aktivisten nehmen regelmäßig Medienvertreterinnen bei ihren Aktionen mit oder stellen Aufnahmen über verheerende Zustände bei der Massentierhaltung zur Verfügung.
Und um solche Zusammenarbeit zu erleichtern, gibt es mittlerweile sogar eine PR-Agentur, die die Medien gezielt mit Aktivistinnen und Aktivisten versorgt. "Sie suchen, wir vermitteln", wirbt die Aktivistinnen-Agentur: "Geben Sie Aktivist:innen ein Mikrofon, um ihre Geschichte zu erzählen: als Betroffene, klarste Kritiker:innen der bestehenden Verhältnisse und Expert:innen dafür, wie alles ganz anders sein könnte."
Solange immer der Absender klar benannt wird und alle mitbekommen, wer Journalist ist und wer Aktivist, dürfte die Rechnung aufgehen. Dazu gehört aber vor allem eins - Ehrlichkeit bei allen Beteiligten.