Memes als exklusive Gruppe Die Insider-Witze der Neuzeit
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10. Februar 2023, 01:00 Uhr
Jeder kann sie nutzen. Jeder kann sie teilen. Ja, fast jeder kann sie sogar selbst kreieren. Der so tolerante Umgang mit ihnen ist Kern der Meme-Kultur. Warum sie trotzdem vor allem auch zur Abgrenzung dienen – und nicht jeder sie immer versteht.
Der Satz fällt in Familienkreisen ganz sicher oft: "Verstehe ich nicht." Und zwar immer dann, wenn der Sohn dem Vater mal wieder ein Meme zeigt – oder die Tochter der Mutter, oder auch umgekehrt.
Denn die humoristischen Text-Bild-Kombinationen sind längst in den allermeisten Altersgruppen angelangt. Was jedoch keineswegs bedeutet, dass jeder ihre Botschaft immer sofort entschlüsseln kann. Humor verbindet? Nicht, was Memes betrifft!
Running Gags schaffen Zusammengehörigkeit
Natürlich: Einerseits schaffen die längst zum Kult gewordenen Internet-Splitter ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Sie sind Ausdruck einer Gruppenzugehörigkeit. Denn um die Bildwitze zu verstehen, braucht es in den allermeisten Fällen auch Vorwissen: über die verwendete Sprache oder inhaltliche Hintergründe zum Beispiel.
Wer sich mit Fußball nicht auskennt, wird so nie verstehen, warum es so witzig ist, wenn Trainer Peter Neururer bei jeder Trainerentlassung, fast schon ganz gleich bei welchem Klub, vor dem jeweiligen Stadion aus seinem Porsche steigt. Wer ist Peter Neururer? Muss man wissen. Sonst lacht man ganz sicher nicht. In Fußball-Kreisen ist das eines der beliebtesten Meme-Motive.
Wer den Hip-Hop-Künstler Drake nicht kennt, wird wohl auch kaum das Meme, indem der Weltstar eine Sache ablehnt und eine andere bevorzugt, verstehen – oder zumindest nicht lustig finden. Dabei gilt dieses Meme als eines der bekanntesten in der Popkultur überhaupt.
Ob nun im Sport, der Musik oder anderswo: Memes dienen oft als Ausdruck von Subkultur und sind damit auch Mittel zur Abgrenzung. Wer sie versteht, gehört dazu. Wer nicht, bleibt draußen – oder muss sie verstehen lernen, um dazuzugehören. Dirk von Gehlen, Autor bei der Süddeutschen Zeitung, erklärt gegenüber MEDIEN360G: "In der digitalen Sphäre sind Memes einfach so etwas wie Running Gags, mit denen man erklärt, gehöre ich zu einer Gruppe oder gehöre ich nicht zu einer Gruppe."
Jan Claas van Treeck, Medienwissenschaftler an der Hochschule Fresenius in Hamburg, vergleicht das Prinzip von Memes im Gespräch mit MEDIEN360G mit Insider-Witzen auf dem Schulhof: "Das kennt man ja, dass Kinder plötzlich Dinge erzählen, wo man sich fragt: 'Wie funktioniert denn das?' Dann stellt sich heraus, dass das deren eigene Schulhof-Sprache ist, die auch nur auf diesem einen Schulhof funktioniert."
"Memes tanzen auf einer feinen Linie"
Unabhängig von der Zugehörigkeit zu bestimmten Subkulturen steht zuvorderst die Frage: Wie gut verstehen die Nutzerinnen und Nutzer die Netzkultur überhaupt? Während ältere Generationen das Prinzip von Memes, diese ganz besondere Kombination aus Text und Bild, oft lange nicht kannten, sind Jüngere damit aufgewachsen.
Und dann spielt auch der Ort des Konsums eine Rolle. Also: Wo nehmen die Menschen die Memes überhaupt war? Ältere Generationen beispielsweise sind eher auf Facebook unterwegs. Memes, die ihnen dort begegnen, würde die TikTok-Generation wohl eher als veraltet ansehen.
Jan Claas van Treeck sagt: "Memes tanzen immer auf der feinen Linie zwischen verstanden werden, edgy sein, vielleicht auch provokativ sein oder langweiliges Allgemeingut zu werden." Heißt: Memes sollten und müssen gewissermaßen auch für eine spitze Zielgruppe konzipiert sein, um wirklich zu funktionieren. Was nicht ausschließt, dass sie manchmal trotzdem so allgemein verständlich sind, dass sie viral gehen.
Die Humor-Unterschiede der Generationen
Was ihre Verbreitung angeht, ist das schließlich ein großer Vorteil von Memes: Jeder kann sie nutzen. Jeder kann sie teilen. Es gibt zumindest in dieser Hinsicht ein großes Gemeinschaftsdenken. Ja, fast jeder kann sie sogar selbst kreieren. Bei wohl keiner anderen Darstellungsform im Internet wird so wenig auf Urheberrecht geachtet. Der so tolerante Umgang mit ihnen ist elementarer Kern der Meme-Kultur.
Und so sind Memes inzwischen tatsächlich in nahezu allen Altersgruppen angekommen. Nicht jeder Humor trifft in jeder Altersgruppe dabei aber auf Verständnis. Die Sprachwissenschaftlerin Inke Du Bois von der Universität Bremen hat zusammen mit einer Forschungsgruppe aus Studierenden rund 1.000 Memes zum Thema Covid-19 untersucht.
Das Ergebnis: Der digitale Humor der untersuchten fünf Generationen unterscheidet sich teilweise stark, der von Frauen und Männern hingegen eher weniger. Bei der jungen Generation trat ein ganz neuer Humortyp auf, in welchem sich die jungen Menschen gerne selbst auf die Schippe nehmen. Die älteste Generation der 77- bis 94-Jährigen hatte hingegen einen sich verbindenden Humor während der Corona-Phase.
Die älteren Generationen machten auch stärker Themen wie Maskentragen, Klopapier oder Hamsterkäufe zum Thema, während die jüngeren Generationen eher gescheiterte Reisepläne, Zoom-Videokonferenzen oder die Langeweile des Lockdown-Alltags thematisierten.
Und weiter: "Auffällig war auch, dass die jüngste Generationen Z, geboren 1996 bis 2010, die meisten sprachlich-visuellen Humortypen in ihren Memes verwendet hat. Das heißt, dass sich hier das Konzept der 'Digitalen Muttersprachlerinnen und -sprachler' widerspiegelt – Menschen, die mit dem Internet und seinen Anwendungen aufgewachsen sind."
Memes stiften Identität
Ganz gleich, welchen Alters die Konsumenten denn nun sein mögen: Memes sind fester Bestandtteil der Kommunikation – ob sie nun via WhatsApp, Telegram, Signal, Instagram, TikTok oder Facebook verschickt werden.
Und die Bildwitze stiften Identität. Sie sind Ausdruck von Exklusivität. Es geht darum, mit wem man ihre Botschaften teilt. Es geht darum, wer sie versteht – und wer sie nicht versteht. Das ist im Grunde wie mit den Insider-Witzen früher: Man will nicht, dass sie jeder immer versteht. "Verstehe ich nicht" – diesen Satz zu hören, ist manchmal also vielleicht gar nicht so schlecht.