Gremien: Blick über den Tellerrand Zwischen Publikumsrat und direktem Staatszugriff: öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Europa
Hauptinhalt
14. November 2022, 16:04 Uhr
Öffentlich-rechtliche Medien gibt es in vielen Ländern Europas. Doch nirgendwo sind Kontrolle und Aufsicht so umfassend geregelt wie in Deutschland. Dafür funktioniert die Rückkopplung in die Gesellschaft in einigen Ländern deutlich besser als hierzulande - auch weil die Nutzerinnen und Nutzer mehr zu sagen haben. Zum Beispiel in der Schweiz, wo die Öffentlich-Rechtlichen als Vereine organisiert sind.
Ein kompletter Überblick würde den Rahmen sprengen, daher folgen hier einige exemplarische Beispiele. Dabei fällt auf, dass vor allem in Staaten mit einer starken Zentralregierung der Einfluss des Staates auf seine öffentlich-rechtlichen Medien deutlich größer ist als in föderalen Systemen.
Großbritannien - die British Broadcasting Corporation (BBC)
Die BBC ist 1923 als kommerzielles Unternehmen gestartet und seit 1926 öffentlich-rechtlich. Im Laufe ihrer Geschichte hat sie diverse verschiedene Modelle der Aufsicht und gesellschaftlichen Kontrolle erlebt. Von 1927 bis 2007 wachte das sogenannte Board of Governors über die BBC und vertrat die Interessen der Allgemeinheit. Als Expertengremium mit zwölf Mitgliedern sollte es wie bei den deutschen Gremien die Gesellschaft in ihrer ganzen Vielfalt repräsentieren. Vier der Governos waren jeweils für die Interessenvertretung der britischen Teil-Nationen, also für England, Wales, Schottland und Nordirland verantwortlich. Zu den Aufgaben des Board of Governors gehörte die Wahl des Director General. Die Position entspricht der einer Intendantin bzw. eines Intendanten im deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Bis in die 1980er wurden auch andere Spitzenpositionen bei der BBC durch das Board of Governors bestimmt. Das Gremium war unabhängig und nur dem britischen Parlament verantwortlich und wurden auf Empfehlung der Regierung vom Monarchen ernannt. Ähnlich funktionierte der BBC Trust, der von 2007 bis 2017 diese Aufgaben übernahm.
Das neue BBC Board
Seit 2017 ist nun ein neues BBC Board für die Urmutter aller öffentlich-rechtlichen Anstalten zuständig. Das Board ist wie bei einer angelsächsischen Aktiengesellschaft aufgebaut. In ihm sitzen vier Mitglieder der BBC-Geschäftsleitung, darunter der heutige Director General Tim Davie, und zehn für die Aufsicht zuständige sogenannte Non-Executive Directors. Damit ist die früher bestehende klare Trennung zwischen Geschäftsleitung und Aufsicht aufgehoben und die BBC untersteht stärker als zuvor direkt der Regierung. Diese ernennt jetzt auch die BBC-Führung. Der amtierende Director General Tim Davie war früher selbst als Lokalpolitiker für die Konservativen aktiv. Außerdem hat das neue BBC Board nicht mehr die alleinige Zuständigkeit für die BBC. Die Selbstaufsicht ist passé, seit 2017 ist die bislang für private Medien zuständige staatliche Medienbehörde Ofcom auch für weite Bereiche der Kontrolle über die BBC zuständig.
Frankreich - France Télévision und Radio France
In Frankreich ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk vollständig in Staatsbesitz. Mit der Abschaffung der Rundfunkgebühr 2022 ist die Abhängigkeit des jetzt steuerfinanzierten öffentlich-rechtlichen TV- und Radioangebots von der französischen Regierung nochmals gestiegen. Traditionell hatte der Staat schon immer starken Einfluss. Wichtigstes Kontroll- und Aufsichtsorgan sind das Parlament bzw. dessen für Medien zuständige Ausschüsse. Zusätzlich war schon seit 1981 die französische Medienbehörde Conseil supérieur de l’audiovisuel (CSA) auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zuständig. 2022 wurde die CSA in Autorité de régulation de la communication audiovisuelle et numérique (Arcom) umbenannt und hat heute u.a. das Vorschlagsrecht für die Intendantinnen und Intendanten der öffentlich-rechtlichen Medien.
Schweiz - Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft SRG/SSR
In der Schweiz wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk von vier in der SRG zusammengeschlossenen Vereinen bzw. Genossenschaften veranstaltet. "Der Verein betreibt das größte Medienunternehmen der Schweiz mit öffentlichem Auftrag und gewährleistet so einen wirtschaftlich und politisch unabhängigen audiovisuellen Service public in allen Landesteilen", heißt es in dessen Mission Statement. Die Mitgliedschaft steht allen Schweizer Bürgerinnen und Bürgern offen, aktuell sind allerdings nur rund 22.000 von über 6 Millionen Schweizern dabei. Unter seinem Dach sind vier Regionalgesellschaften für die unterschiedlichen Sprachgemeinschaften der Schweiz organisiert:
- SRG Deutschschweiz (SRG.D)
- RTSR als Regionalgesellschaft der französischen Schweiz
- Società cooperativa per la radiotelevisione svizzera di lingua italiana (Corsi) als Regionalgesellschaft der italienischen Schweiz
- SRG SSR Svizra Rumantscha (SRG.R) für die rätoromanische Sprachgruppe.
In jeder Regionalgesellschaft gewährleistet ein Publikumsrat den Austausch zwischen Publikum und den Programmverantwortlichen und unterstützt so die Programmarbeit des Medienhauses. Eine Ombudsstelle nimmt Beanstandungen am Programm und den Inhalten entgegen und leitet daraus Empfehlungen für die Redaktionen ab.
Die Publikumsräte der SRG/SSR
Die Publikumsräte begleiten die Programmarbeit und Programmentwicklung. "Als wichtiges Glied der Qualitätskontrolle gibt er den Programmverantwortlichen und Programmschaffenden von SRF kritische und konstruktive Anregungen aus der Sicht der Konsumentinnen und Konsumenten von SRF-Programmen. Der Publikumsrat ist unabhängig und nicht weisungsbefugt", heißt es beim Publikumsrat der Deutschschweiz, der 26 Mitglieder hat. Die Vereine fördern zudem über die sogenannte Trägerschaftsstrategie aktiv den Austausch mit der Gesellschaft.
Oberstes Aufsichtsgremium ist die 41-köpfige Delegiertenversammlung der SRG, ihr Vorstand firmiert als Verwaltungsrat mit weitreichenden Kompetenzen wie der Wahl der Generaldirektion und der Leitungsebene der Sender und ist laut Statut für "die Oberleitung des Unternehmens und die Erteilung der nötigen Weisungen" sowie "die Festlegung der Strategie" zuständig. Er besteht aus neun Mitgliedern - den vier Präsidentinnen bzw. Präsidenten der Einzelvereine und drei weiteren von der Delegiertenversammlung gewählten Mitgliedern; die restlichen zwei Plätze werden vom Bundesrat, der Schweizer Regierung, besetzt.
Österreich - Österreichischer Rundfunk ORF
Der Österreichische Rundfunk (ORF) ist seit 2001 eine Stiftung öffentlichen Rechts. Sein oberstes Gremium heißt daher Stiftungsrat. Er stellt de facto die politische und staatliche Kontrolle über den ORF sicher, denn 24 der 35 Stiftungsräte werden von der Bundesregierung, den Landesregierungen und den politischen Parteien nach Proporz im nationalen Parlament benannt. Sechs Mitglieder stellt der ORF-Publikumsrat. Weitere fünf, die die ORF-Mitarbeitenden vertreten, entsendet der ORF-Zentralbetriebsrat. Der Stiftungsrat steht wegen dieser staatsnahen und parteilichen Zusammensetzung immer wieder in der Kritik. Als Gremium übt der in etwa eine vergleichbare Funktion wie Aufsichtsräte bei Aktiengesellschaften aus und bestellt unter anderem den ORF-Generaldirektor und auf dessen Vorschlag Direktoren und Landesdirektoren. Der Stiftungsrat muss Budgets und Rechnungsabschlüsse sowie die meisten Rechtsgeschäfte des ORF genehmigen.
Publikumsrat des ORF
Der Publikumsrat des ORF hat aktuell 30 Mitglieder. Wie bei den deutschen Rundfunkräten sollen sie die Gesellschaft repräsentieren. "Feste Plätze" - insgesamt 13 - sind dabei für die Kirchen, Gewerkschaften- und Arbeitgeberverbände, Parteistiftungen und die Akademie der Wissenschaften reserviert. Für die übrigen 17 Sitze wählt der Bundeskanzler weitere Vertreter aus anderen gesellschaftlichen Bereichen aus und beruft diese. Auch hier handelt es sich also um ein regierungsnahes Verfahren, allerdings sind die Mitglieder des Publikumsrats an keinerlei Weisungen gebunden.
Der Publikumsrat hat die Aufgabe, sich (…) für die Interessen des Publikums einzusetzen". Ihm kommt dabei nach eigenen Angaben "eine Mittlerfunktion" zwischen Publikum und ORF-Geschäftsleitung zu. Der Publikumsrat hat aktuell sieben Arbeitsausschüsse, die jeweils für spezifische Themen zuständig sind: Der Qualitätsausschuss des Publikumsrats ist im ORF-Gesetz ausdrücklich vorgesehen und gibt Empfehlungen zum Qualitätssicherungssystem des ORF ab. Der Programmausschuss ist für die Inhaltestrategie zuständig , der Beschwerdeausschuss für formale Programmbeschwerden. Daneben gibt es noch einen Finanzausschuss, den Ausschuss für Unternehmens- und Medienpolitik sowie einen Konsumentenausschuss, der sich vor allem mit Fragen der Übertragungstechnik und ihrer Akzeptanz beim Publikum befasst.