Reform oder Einsparung Die ARD der Zukunft
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17. Mai 2023, 12:46 Uhr
Wenn man einem Kind die Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erklären möchte: dann vielleicht mit der Geschichte des Containerschiffs "Ever Given". Im Jahr 2021 war das 400 Meter lange Schiff im schmalen Suezkanal stecken geblieben. Es war auf Grund gelaufen, nichts ging vorwärts. Es gab einen Riesenstau.
Die Reform der ARD und des ganzen Rundfunks ähnelt dem Versuch, einen Tanker zu rangieren: Er ist mit vielen Aufgaben beladen, und von vielen Seiten werden immer neue Wünsche an ihn herangetragen, welche Container er abladen und welche er stattdessen aufnehmen sollte. Und dann muss er damit durch ein Nadelöhr wie den Suezkanal – nämlich die Abstimmung in allen sechzehn Bundesländern.
Investitionen für vielfältige Gesellschaft
Was soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk leisten? Was soll er kosten? Darüber wird derzeit diskutiert, und es sind schwierige Diskussionen. Dass es großen Veränderungsbedarf gibt: Das ist immerhin weitgehend Konsens. Nicht nur in der Politik, auch in den Rundfunkanstalten selbst.
Denn einerseits verändert sich in der Zukunft einiges. Medienwissenschaftler prognostizieren, dass schon 2030 öffentlich-rechtliche Inhalte mehr über die Mediatheken als über das lineare Programm genutzt werden. Um eine in ihren Interessen und Bedürfnissen sehr vielfältige Gesellschaft anzusprechen, braucht es Investitionen. Kai Gniffke, der Intendant des Südwestrundfunks (SWR) und derzeit der Vorsitzende der ARD, plädiert etwa für eine gemeinsame Streaming-Plattform mit dem ZDF.
Wir kommen aus einer Phase des Umschichtens, des Umverteilens, aber wir gehen in eine Phase, in der es wahrscheinlich auch ums Reduzieren geht.
Andererseits: Woher kommt das Geld dafür? Gniffke sagte dem MDR: "Wir kommen aus einer Phase des Umschichtens, des Umverteilens, aber wir gehen in eine Phase, in der es wahrscheinlich auch ums Reduzieren geht." Aber wo fängt man an? Kein Bundesland möchte zum Beispiel, dass die eigenen Regionen in der ARD weniger repräsentiert sind, als andere Länder. Die Regionalität der Inhalte ist auch vielen Menschen im MDR-Sendegebiet besonders wichtig. In einer nicht repräsentativen Umfrage des MDR gaben 70 Prozent der Teilnehmenden an, dass Nachrichten und Informationsangebote des MDR ausschließlich oder vor allem regionale Inhalte publizieren sollten. 62 Prozent wünschen sich diese regionale Ausrichtung auch für die Kulturberichterstattung. Bei welcher Anstalt sollte man da mit dem Sparen anfangen?
Reformvorschläge vom Zukunftsrat
Den Rundfunkbeitrag von derzeit 18,36 Euro pro Monat einfach so stark zu erhöhen, dass genügend Geld für Neuerungen da ist, das geht nicht. Das wissen auch die Intendantinnen und Intendanten. Der Rundfunk wird von allen Haushalten finanziert und braucht Akzeptanz. Die Vorfälle beim Rundfunk Berlin-Brandenburg, dessen ehemalige Intendantin maßlos viel Geld ausgegeben und unseriöse Verträge abgeschlossen haben soll, haben dazu nicht beigetragen.
Auch die Politik will den Rundfunk nicht einfach ausbauen. Der Landtag Sachsen-Anhalt hatte schon 2020 eine Beitragserhöhung zunächst blockiert. Nun haben bereits mehrere Ministerpräsidenten angekündigt, einer weiteren Erhöhung nicht zustimmen zu wollen.
Heike Raab ist Medienstaatssekretärin (SPD) in Rheinland-Pfalz. Sie koordiniert die Rundfunkkommission der Länder. Sie sagt im Gespräch mit dem MDR: Wenn man Neues machen wolle, "dann muss man auch mal alte Zöpfe abschneiden". Die Rundfunkkommission, die nicht die Inhalte, sondern die Rahmenbedingungen des Rundfunks regelt, hat einen "Zukunftsrat" eingesetzt, der Reformvorschläge machen soll. Das Problem ist: Das Gremium wird keine Vorschläge machen, denen die Politik folgen muss.
Die Politik ist am Zug.
Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Wochenzeitung "Die Zeit", der eine Talkshow beim öffentlich-rechtlichen NDR moderiert, sagt: "Ein Gremium, das schöne Vorschläge macht, für die man sich artig bedankt, die dann versickern, nützt natürlich niemandem." Wenn die Reform des Rundfunks gelingen solle, müsse die Politik vorab klare gesetzliche Vorgaben machen. Sonst drohten alle Bemühungen zu verpuffen. So sieht es auch Joachim Trebbe, Professor am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin: "Die Politik ist am Zug."
Länder müssen Auftrag definieren
Und das bedeutet: Die Länder müssen zu gemeinsamen Entscheidungen kommen. Sie müssen definieren, inwiefern Unterhaltung zum Auftrag gehört. Strukturveränderungen beauftragen. Definieren, was die Anstalten im Internet tun dürfen. Die Intendantinnen und Intendanten der Häuser sollen wiederum auch selbst Reformen anstoßen, die sie aber nicht oder nur teilweise umsetzen können, solange sie nicht von der Politik beauftragt wurden. Von einem Spagat spricht Heike Raab, die Medienstaatssekretärin in Rheinland-Pfalz. Dass gespart werden soll, ist das eine. Aber Sparen allein ist keine Reform. Sichergestellt werden müssten die publizistische Vielfalt, die Qualität und in der ARD die Regionalität der Angebote und Perspektiven. Der Regionalität wegen gibt es ja neun Landesrundfunkanstalten.
Ein zentraler Vorschlag des ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke ist, dass die neun Landesrundfunkanstalten stärker zusammenarbeiten. Es gibt zum Beispiel mehrere öffentlich-rechtliche Gesundheitsmagazine, die unabhängig voneinander produziert werden, etwa beim SWR, beim NDR und beim MDR. Gniffke sagt, Kniebeschwerden seien "in Kiel genauso unangenehm wie in Konstanz", in diesem Bereich gebe es kaum klare regionale Bezüge. Er argumentiert für Gemeinschaftsredaktionen an einem zentralen Standort, wo ein Magazin für alle ARD-Anstalten produziert wird. Er möchte ein gemeinsames Mantelprogramm, also ein Programm, das alle Dritten Programme teilen, unterbrochen von Regionalfenstern.
Kommunikationswissenschaftler Joachim Trebbe von der FU Berlin hält das für einen gangbaren Weg. Schon heute würden in vielen Dritten Programmen die regionalen Themen vorrangig in bestimmten Zeitfenstern zwischen 18 und 22 Uhr gesendet. Nur jede zehnte Sendeminute der Dritten enthalte regionale Inhalte. Über den ganzen Tag gesehen gebe es einen hohen Anteil von Wiederholungen.
Regionalität der ARD ist "das Pfund"
Hubert Krech dagegen, der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse (AGRA), sagt, Gemeinschaftsredaktionen würden einen Kern der Landesrundfunkanstalten bedrohen. Die ARD habe große Verantwortung im Regionalen. Auch für seine Perspektive gibt es gute Argumente. Wenn sich etwa ein Podcast des MDR mit der Frage befasst, woher ein schwarzes Loch kommt, dann ist das Thema zwar ganz und gar nicht regional. Ob die Antwort aber von einem Wissenschaftler aus Magdeburg oder aus Köln kommt, kann selbst in einem solchen Fall ein Unterschied sein, weil jede Forschungseinrichtung verschiedene Perspektiven auch auf überregionale Sachverhalte vertreten kann.
Giovanni di Lorenzo von "Die Zeit" sagt, er hielte es für falsch, nur Redaktionen zusammenzustreichen. "Ich glaube, dass man sich jedes Format einzeln anschauen sollte." Information sei der Markenkern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der dürfe nicht geschwächt werden.
Regionalität sei das Pfund, mit dem man wuchern müsse, sagt Hubert Krech, der für die öffentlich-rechtlichen Redaktionen spricht. Dass der Rundfunk reformiert werden muss, wissen auch sie. Aber er fordert, die Redakteurinnen und Redakteure müssten dabei auf Augenhöhe mitreden können. "Sie kennen sich aus, die sitzen im Maschinenraum, die wissen, wo man Sachen verbessern kann", aber sie wüssten außerdem, "was auch gut läuft", sagt er.
Welche Container also werden auf das Schiff geladen, das dann durch den Suezkanal fährt? Die Reformdiskussion läuft, und im Film des MDR heißt es: "Die Reform des Tankers ARD wird noch einige Wellen schlagen." Davon kann man ausgehen. Was man über die Geschichte des Containerschiffs "Ever Given", das feststeckte, freilich noch wissen sollte, ist, dass es am Ende weiterfuhr.