Rezension "Die Blume von Hawaii" am Theater Magdeburg

11. September 2023, 16:05 Uhr

Er war der letzte Star unter den Operettenkomponisten der Weimarer Republik: der jüdische Musiker Paul Abraham, dessen Werke noch kurz vor der Nazi-Herrschaft in den frühen Dreißigern das Publikum begeistern konnten, ehe sie verboten wurden. Vor allem ein Titel von ihm blieb in Erinnerung: "Die Blume von Hawaii". Am 8. September feierte das Stück am Theater Magdeburg unter der Regie von Julien Chavaz Premiere.

Der Titel und übrigens auch die beiden alten scheußlichen Verfilmungen lassen Böses ahnen. Aber Entwarnung: Abraham ist ein viel zu witziger und ausgebuffter Operettenkomponist, als dass er uns da Pseudoromantik vom Schlimmsten auftischen würde. Schon damals, 1931, war das alles ironisch gebrochen, quasi "Land des Lächelns" durch die erbarmungslose Brille des Kabaretts und der Revue gesehen – vor Kitsch muss man sich hier kaum fürchten.

Veraltetes heute erzählen: ein Dilemma

Dass die Operette dennoch selten zu sehen ist, liegt sicher am Zeitgeschmack – sowohl an unserem als auch an dem vor gut 90 Jahren. Das Original ist völlig überfrachtet mit geschwätzigen Dialogen und komplizierten Intrigen, die heute kaum noch interessieren. Und, man muss es sagen: Das Werk hat auch eine rassistische Komponente. Vor allem die Figur des Schwarzen Musikers Johnny ist für unsere Verhältnisse sehr gönnerhaft-mitleidig gezeichnet. Es wäre heute schwierig, das eins zu eins auf die Bühne zu bringen. Andererseits kann man die Figur auch nicht streichen, denn sie hat zentrale Nummern. Ein echtes Dilemma im 21. Jahrhundert.

Zugegeben: Als es vor der Premiere hieß, dass die Regie Johnny durch eine neue Rolle ersetzen wolle, wäre ich fast nicht hingefahren. Opportunisten gibt es im wahren Leben schon genug, warum soll man sich auch noch Zeitgeist-Feigheit auf der Bühne anschauen. Aber ich muss Abbitte leisten: Man hat das Ganze elegant und ehrlich gelöst. Ehrlich, weil die Änderungen sowohl auf der Bühne wie im Programmheft thematisiert werden.

Neue Rahmenhandlung: Wirkungsvoll und fesselnd

Die ganze absurde Geschichte der unglücklichen Königin von Hawaii wird einer gelangweilten Fleischerei-Verkäuferin von einer alten Diva, erzählt – Theater im Theater also. Nicht neu, aber immer wieder wirkungsvoll. Die Verkäuferin wird immer mehr in die Story reingezogen, wird zur Akteurin der Traumwelt, zur androgynen neuen Johnny-Figur. Carmen Steinert zeichnet die Entwicklung von der verklemmten Metzgerin zur überdrehten Diseuse geradezu naturalistisch nach. Die Ex-Diva, Frau Schröder, wird nachdrücklich gemimt von Susi Wirth, mit amüsantem Angela-Lansbury-Touch. Beide agieren so fesselnd, dass die neue Rahmenhandlung die eigentliche fast erdrückt. Macht nichts – die Handlung verblasst zwar, dafür treten die Revuenummern umso stärker hervor.

Grellbunter Trubel aus virtuosen Einzelleistungen

Gesungen und gespielt wurde auf sehr hohem Niveau. Man muss hier stilistisch eine gute Balance finden zwischen großer Operngeste und kesser Jazzfrechheit – das ist prima gelungen. Die Ensemblewirkung ist kompakt, ein gewaltiges Arsenal an Figuren wird aufgeboten und dem Zuschauer schwirrt der Kopf: Solistisches bleibt kaum haften, Einzelleistungen summieren sich zu einem grellbunten angenehmen Trubel.

Meike Hartmann muss in der Titelpartie dennoch herausgehoben werden: gelöster Operettensopran mit Spaß am halbseidenen Pathos und Stefan Sevenich als pompös-voluminöser Dampferkapitän Buffo. Dessen Stimme war am Premierenabend nicht perfekt, wie er vorher vermelden ließ, aber das störte keinen, weil seine schauspielerischen und tänzerischen Talente das stimmliche Können sowieso verblassen ließen.

Heile Welt

Ich gebe zu: Ich habe begeistert mit dem Publikum geklatscht. Hier zeichnet sich ein Publikumserfolg ab. Draußen erschien mir das Ganze dann doch ein bisschen zu glatt aufgegangen, die Sache ist zu rund: Drehe sie, wie du willst, du sieht keine Ecken und Kanten. Das Publikum muss nichts aushalten. Es wird eine heile gender- und queer-konforme Welt suggeriert, bei der man sich am Ende fragt, ob man einer alten Sorte Kitsch glücklich entflohen ist, nur um einer brandneuen in die Fänge zu geraten. War es vielleicht doch ein bisschen Land des Lächelns 2.0?  Das Unbequeme, das die "Zigeunerbaron"-Inszenierung vor einigen Jahren so gut herausgestellt hat, fehlte hier. 

Trotzdem: Es war ein schöner Abraham-Abend, auch dank des erfrischend unseifigen Sounds des Orchesters. Wenn einer in dieser Produktion die frühen 30er heraufbeschwor, dann war es Dirigent Kai Tiedje mit der Magdeburgischen Philharmonie.

Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 09. September 2023 | 09:10 Uhr

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