Uraufführung am Nationaltheater Weimar Eure Paläste sind leer! Apokalypse als lustvolles Theater

Musiktheater von Johannes Maria Staud und Thomas Köck

05. September 2023, 10:47 Uhr

Als postapokalyptisches Endzeittheater hat das Kunstfest Weimar "missing in cantu (eure paläste sind leer)" angekündigt, eine Koproduktion mit dem Deutschen Nationaltheater Weimar. Zugrunde liegt diesem Musiktheater ein 2021 in den Münchner Kammerspielen uraufgeführtes Schauspiel von Thomas Köck, das nun als Vorlage für ein Auftragswerk an den Komponisten Johannes Maria Staud diente. Thomas Köck ist inzwischen eine Art Hausautor beim Kunstfest Weimar. Vier seiner Werke wurden bereits gezeigt.

"missa in cantu" ("Messe mit Gesang"), wie das Theaterstück ursprünglich im Gegensatz zum Titel der Oper "missing in cantu" ("verloren im Gesang") geheißen hat, kann man das Werk als Triptychon verstehen, das drei Bilder zueinander in Beziehung setzt. Erstens: Die gewalttätige Kolonisation des Amazonas durch spanische Konquistadoren im 16. Jahrhundert und deren Suche nach dem sagenhaften "Eldorado". Zweitens: Die gegenwärtige Opiatkrise, bei der in den USA im 21. Jahrhundert in der Erlösung vom Schmerz, im Drogenkonsum und Rausch bereits mehr als eine Million Menschen gestorben sind. Drittens: Im Zentrum des Triptychons steht der Seher Teiresias in den Ruinen alter Paläste. Trotz seines Wissens um die Apokalypse hat man ihn nicht gehört, vielleicht weil er sich allzu opportunistisch verhalten hat.

Endzeit-Welttheater

Für Thomas Köck ist solch Endzeit-Welttheater kennzeichnend. Großen Erfolg hatte vor allem seine weitgespannte "klimatrilogie" ("paradies fluten / paradies hungern / paradies spielen"), aber auch den "ring der nibelungen" hat er bearbeitet. Alle diese Werke sind musikalisch strukturiert – Köck versteht sich selbst als Musiker – dennoch ist die Weiterentwicklung seines Schauspiels als Musiktheater durch den Komponisten Johannes Maria Staud konsequent.

Musik und Geräusche

Sie überzeugt auch schon allein dadurch, dass die Spieldauer der Oper nur halb so lang wie das zugrunde liegende Schauspiel ist: die Struktur des Werkes wird dadurch einleuchtend sichtbar. Den Zuhörer zieht Staud zunächst durch leise elektronische Musik und Geräusche sogleich in einen Sog (SWR Experimentalstudio), lässt aber auch ein konventionelles Opernorchester, Posaunen und Streicher auffahren, oder bringt Zitate von Pop-Musik an der Hammondorgel (Musikalische Leitung: Andreas Wolf).

Sehr geschickt wird jedoch auch immer wieder die Musik zurückgenommen. Schon zu Beginn, wenn Teiresias im opernhaften Lamento das Nichtmehrfinden seiner großen Liebe beklagt und dann nicht ins Parlando wechselt, sondern in ein ganz alltägliches Sprechen, in ein Plaudern und Räsonieren. Von großer Präsenz dabei Otto Katzameier in der Rolle des Sehers.

Besetzung

Otto Katzameier (Seher)
Emma Moore (Echo)
Alexander Günther (Don Gairre)
Oleksandr Pushniak (Don Stepano)
Camila Ribero-Souza (Hexe)
André Matos Rabelo (Don Miguel)
Nathaniel Kondrat (Übersetzer)
Marko Kürsten / Oliver Luhn (Zwei Konquistadoren)
Astrid Meyerfeldt (Drogenabhängiger Hausbesitzer/ Stimme aus dem Off/ Attentäter)
Marlene Gaßner / Sarah Mehnert (Reporterin/ Schlachthausassistentin/ Drogensüchtige Mutter/ Polizistin)
Jörn Eichler (Kameramann/ Drogensüchtiger Vater/ Schlachthausbesitzer/ Polizist)
Susann Günther (3. Polizist*in)
Opernchor des DNT (Konquistadoren, Ureinwohnerinnen, Schlachthausmitarbeiter*innen, Bewohner*innen des Vorstadtdschungels)
Staatskapelle Weimar

Bühnenbild und Inszenierung

Im Mittelpunkt des Triptychons die Installation der Palast-Ruine auf der Drehbühne durch Raimund Bauer, sie kann eine amerikanische Siedlung sein, aber auch der Urwald im Amazonas-Gebiet, aber auch das, was nach der Apokalypse übrigblieb.

Andrea Moses inszeniert realistisch, komödiantisch, bisweilen mit schwarzem Humor. Interviews mit einer drogenabhängigen reichen Hausbesitzerin, Szenen aus einer Fleischfabrik, bei denen die Arbeiterinnen durch eine Überdosis von Schmerzmitteln zusammenbrechen, aber auch Hexenverbrennungen bei den Konquistadoren.

Spiellust

Ensemble und Chor können viel Spiellust zeigen. Alexander Günthers Bariton muss zum Beispiel ins Falsett wechseln, wenn er allzu frömmelt und als Gast wimmelt die Schauspielerin Astrid Meyerfeldt als Drogenabhängige Kamerateams ab.

Endzeitpathos wird jedenfalls konsequent vermieden. Am Ende – wie ein verständnisvolles Zuzwinkern – ein leise gesprochenes, vielleicht ein wenig trauriges geflüstertes "Ciao".

Weitere Termine Do 07.09.2023 // 19.30 Uhr

Fr 29.09.2023 // 19.30 Uhr

So 08.10.2023 // 18.00 Uhr

Sa 18.11.2023 // 19.30 Uhr

Do 21.12.2023 // 19.30 Uhr

Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 04. September 2023 | 08:40 Uhr

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