Rezension Oper Die Musik sagt mehr als die Bühne: Andreas Dresen inszeniert Tschaikowskis "Pique Dame" an der Semperoper

Ein Seelendrama, in dem es ums Geld geht? Oder ein Blick in die Abgründe zaristischer Uniformität? Auf jeden Fall musikalische Opulenz!

03. Juli 2023, 17:23 Uhr

Filmregisseur inszeniert Oper. Auf diesen Nenner könnte die jüngste Neuproduktion der Dresdner Semperoper gebracht werden. Zum Finale der laufenden Spielzeit kam dort Peter Tschaikowskis Oper "Pique Dame" heraus, inszeniert von Andreas Dresen (u.v.a. "Stilles Land", "Halbe Treppe", "Sommer vorm Balkon", "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush").

Er ist zum wiederholten Male schon ans Theater eingeladen worden, auch ans Musiktheater. In Dresden hat Dresen nun russische Oper inszeniert, das eher selten gespielte Beziehungsdrama "Pique Dame" von Peter Tschaikowski, entstanden nach einer gleichnamigen Erzählung von Alexander Puschkin.

Andreas Dresen
Andreas Dresen zählt zu den erfolgreichsten deutschen Filmregisseuren der jüngsten Zeit.  Bildrechte: IMAGO / APress

Russische Tragik

Darin geht es um die nicht standesgemäße Liebe von Hermann zur schönen und adeligen Lisa, die bereits mit Fürst Jeletzkij verlobt ist. Also keine Chance für den (auch finanziell!) armen Hermann. Als der erfährt, dass Lisas Großmutter um ein Geheimnis weiß, bei dem man mit drei Karten beim Glücksspiel immer gewinnt, setzt er alles dran, dies zu erfahren, um gesellschaftlich aufzusteigen. Dabei hatte er Lisas Liebe bereits zuvor gewonnen, die nun umso enttäuschter ist, als sie spürt, dass er vor allem Interesse an Geld und Glücksspiel hat.

Die Großmutter stirbt, als er ihr das Geheimnis entlocken will, Lisa ist traurig, der Fürst verbittert und Hermann voller Hoffnung auf das große Geld. Im Casino setzt er alles auf eine Karte – versehentlich auf Pique Dame und nicht auf das Ass. Er erschießt sich, weil für ihn nun alles verloren ist.

Dressierte Soldaten

Da steckt viel russische Tragik drin, wie sie bei Tschaikowski dazugehört, aber beinahe nur in der Musik zum Tragen kommt. Denn die Bühnenhandlung berührt kaum, entsetzt sogar eher, da sie von Anfang an von Uniformierten beherrscht wird, deren militärisches Gehabe vollkommen unkritisch dargestellt ist.

Chorszenen mit lauter dressierten Soldaten, im Kinderchor Mädchen wie abgerichtete Hündchen und kleine Jungs mit Waffen und Uniform, dazu wird auf Russisch vom "heiligen Vaterland" gesungen, das verteidigt werden muss – wäre das nicht ein geradezu notwendiger Ansatz für Bekenntnis in der Regie, wenigstens für eine Haltung?

Die Musik sagt mehr als der Text

Immerhin geht im Kern um tiefe Gefühle und darf Lisa bei Andreas Dresen eine sehr aufgeklärte, liebenswerte junge Frau sein, der man freilich eine bessere Partie wünscht als ihren Fürstensnob oder diesen etwas vertrottelten Hermann, dem sie sich dann geradezu sklavisch unterwirft. Viel mehr als der Text sagt hier die Musik. Die erzählt von der Liebe, von den Gefühlen, der Zerrissenheit, dem Schmerz. Und das ist von der Sächsischen Staatskapelle unter der musikalischen Leitung von Mikhail Tatarnikov großartig umgesetzt worden!

Darstellerisch wunderbar bis etwas tumb

In der wunderbaren Darstellung durch Vida Miknevičiūtė, die sich von lyrisch zarten Tönen geradezu in ein Götterdämmerungs-Finale gesteigert hatte, geriet Lisa zur Heldin des Abends, aber auch die gräfliche Großmutter, von Evelyn Herlitzius mondän und schmuckbehangen im Rollstuhl verkörpert, erwies sich ganz als Grand Dame, herrisch im Ausdruck, mit überzeugendem Gift in Spiel und Stimme.

Der eher verhinderte Held Hermann ist von Sergey Polyakov mit schneidigem Tenor gesungen worden, hat darstellerisch aber etwas tumb gewirkt und keinerlei Mitleid erwirkt. Durchweg überzeugend hingegen gelang Christoph Pohl mit seinem großartigen, noblen Bariton und distinguiertem Auftritt als Fürst Jelezkij eine Charakterpartie.

Musikalisch überzeugend

Musikalisch und darstellerisch stets überzeugend wirkten der Sächsische Staatsopernchor sowie der Kinderchor der Semperoper in dieser Neuproduktion mit, die vor allem wegen der russische Schwermut in Erinnerung bleiben wird.

Dass sie akustisch so gelang, dürfte sicherlich auch am abstrakten Bühnenbild von Mathias Fischer-Dieskau gelegen haben, der metallisch aussehende Wände in Kreisform rotieren ließ, was einen (seelischen) Irrgarten zu assoziieren vermochte, dem obendrein eindrucksvolle Licht- und Schattenwirkungen entlockt wurden. Die Kostüme entwarf Judith Adam, bis auf Lisa und Gräfin allerdings in uniformierter Tristesse.

Fazit

Trotz raffinierter Ensembles und einer auch immer mal wieder interessante Personenführung – etwa das grausam dumme Verhalten Hermanns sowie Lisas hinreißende Verzweiflung – enttäuschten szenische Plattitüden wie Hermanns ständiger Griff zum Revolver, mit dem er sich schließlich selbst richtet. In seinen Filmwerken erzählt Andreas Dresen meist wesentlich subtiler.

Weitere Aufführungen 5., 8., 12. und 15. Juli

Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | 01. Juli 2023 | 06:53 Uhr

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