Rezension Oper Dresden Claudio Monteverdis L’Orfeo an der Sächsischen Staatsoper Dresden
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02. Mai 2023, 15:36 Uhr
Auf einmal sackt sie weg: Die Puppe der Euridice. Ein Schlangenbiss tötete Orfeos Braut und nun liegt ihr Alter Ego – die schöne, weiß-gewandete Puppe –, leblos auf dem Bühnenboden. Ein "Ding" aus Holz und Stoff, von dem sich Orfeo kaum trennen mag. Die Puppen sind ein Schlüssel zum Erfolg dieser Neuproduktion an der Semperoper. Regisseur Nikolaus Habjan setzt sie jedoch nur dann ein, wenn sich über sie etwas Magisches erzählen ließe. Das ist sein Anspruch, der wurde eingelöst.
Faszinierende Puppen, bewegend erzählt
Realismus auf der Opernbühne ist Habjan ein Graus. Deshalb zieht er mittels beeindruckend musikalisch-geführter Stab-Puppen eine weitere Spiel-Ebene ein: Ästhetisch ist es ein Genuss, den mannshohen Gestalten mit den ausdrucksvollen Gesichtern und langen, knöchernen Händen zuzusehen, wie sie mit subtilen Bewegungen die Handlung, vor allem aber die Emotionen der Hauptfiguren transportieren. Auch wie aus dem spannungsvollen Nähe-Distanz-Verhältnis zur Bühnenfigur szenisch etwas faszinierend Neues entsteht.
Bildstarke Allegorie auf das Leben, die Liebe und den Tod
Auch die kreativ-verspielten Kostüme von Cedric Mpaka und allegorischen Bühnenbilder von Jakob Brossmann sind bestens geeignet, um in immer neue Phantasiewelten abzutauchen.
So zum Beispiel bei der Begegnung Orfeos mit Caronte, dem Fährmann der toten Seelen; wer bei dem massigen, aus allen Poren-rauchenden Puppen-Ungeheuer an Disneys "Herkules" Verfilmung dachte, lag bestimmt nicht ganz falsch.
Vielfarbig, dynamischer Orchesterklang
Man mag es ja kaum glauben, aber diese Orfeo-Inszenierung ist die erste an der Semperoper überhaupt. Dabei wurde Monteverdis Opern-Erstling bereits 1607 in einem kleinen Zimmer am Hofe zu Mantua uraufgeführt.
Dessen ungeachtet sind die musikalischen Anforderungen dieser zwischen Renaissance-und Barock-Musik changierenden "Favola in Musica" hoch. Auch deshalb entschied man sich an der Semperoper für ein Spezial-Ensemble wie es die lautten compagney Berlin ist. Mit nur achtundzwanzig, an Spiellaune schwer zu toppenden, bestens aufeinander eingespielten Musikerinnen und Musikern, zauberte das Ensemble genau jene grandiosen Klangwelten, die Monteverdi für die Charakterisierung von Ober- oder Unterwelt verlangt:
Dort ein schnarrendes Regal (eine Art Kleinorgel), da die zarten Klänge einer Barockgitarre oder Blockflöte. Trompete, Cornetto und Posaune beeindrucken auf der Bühne ebenso wie im Graben. Wolfgang Katschner ist der Mann am Pult. Er agiert so umsichtig, wie unermüdlich als vorwärtstreibender Impulsgeber: Präzise bis in die kleinste Geste, mit einem ausgeprägten Gespür für Klang-Farben und eine gut ausbalancierte Raumwirkung.
Die Stimmen – gut bis hervorragend
17 Solistinnen und Solisten sind zu erleben, bis auf drei Gäste allesamt Ensemble-Mitglieder auf gutem bis hervorragendem Niveau, den souverän agierenden Staatsopernchor eingeschlossen.
Von Anastasiya Taratorkina als Euridice hätte ich gern mehr gehört: Ihr jugendlicher, bestens fokussierter Sopran machte neugierig.
Anders bei Rolando Villazón in der Titelpartie: Seine Stimme hat ihre besten Zeiten schon hinter sich. Dass ihm der Orfeo dennoch ganz ordentlich gelingt, ist vor allem der Tessitura der Partie geschuldet. Und Villazón muss man wohl als "Gesamtpaket" akzeptieren oder auch nicht! Der Fokus und die Farb-Palette seiner stimmlichen Möglichkeiten sind inzwischen ebenso eingeschränkt, wie sein dynamisches Spektrum. Und dennoch hat dieser Vollblut-Sänger-Darsteller, der medial noch immer als "Star-Tenor" vermarktet wird, sein Publikum – das war am Premierenabend weder zu übersehen, noch zu überhören!
Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | 01. Mai 2023 | 10:15 Uhr