Rezension "Der Tenor der Herzogin" in Chemnitz: Alle Macht der Liebe!
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05. Februar 2024, 18:01 Uhr
Ein Operntenor im Zentrum einer Operette? Ein Matriarchat, das die Beziehungen von Frau und Mann diktiert? Da sind heftige Verwicklungen vorprogrammiert. "Der Tenor der Herzogin" von Eduard Künneke, uraufgeführt 1930 im Neuen Deutschen Theater Prag, konnte sie seinerzeit nicht entwirren. Ob das Anfang 2024 einer Neuinszenierung in Chemnitz gelingt?
"Meine Damen und Damen!" So männermissachtend wird das Publikum zur Premiere begrüßt. Dabei ist der Urheber ein Mann, noch dazu ein alter, ein weißer: Eduard Künneke. Von dem kennt man vor allem den "Vetter aus Dingsda", allenfalls noch "Glückliche Reise" oder "Lady Hamilton". Aber "Der Tenor der Herzogin"?
Eine nahezu vergessene Operette
Künneke hat jede Menge in diesem Genre komponiert, zudem einige Opern und reichlich Filmmusik. "Der Tenor der Herzogin" hingegen ist nahezu vergessen. Umso mehr ist die Courage der Chemnitzer Oper zu würdigen, das Stück mit einer Neuinszenierung aus der Versenkung zu hieven.
Aber kann damit eine Renaissance eingeleitet werden? Man kann zumindest skeptisch sein. Schließlich geht es in dieser Operette um einen Opernsänger, einen Tenor, der sich um ein Engagement am Hoftheater bewirbt. Er ist verheiratet, hat ein Kind, soll das aber möglichst verleugnen, da die über alles entscheidende Herzogin als überaus sittenstreng und prüde gilt. Als lediger Sänger könnte er über bessere Chancen verfügen.
Auf den Kopf gestellt
Ein solcher Inhalt wäre für heutige Bühnen zu platt. Also wurde das Ganze überhöht und völlig auf den Kopf gestellt. Der Tenor selbst sowie das gesamte Bühnenpersonal ist sogar in einen solchen Kopf gestellt worden, denn vor dem Publikum öffnet sich ein gewaltiger Rachenraum, nach der Pause sogar mit ausgefallenen Zähnen. Die ganze Operette ist kräftig überzogen und auf eine ganz andere Ebene geholt: Da ist von Männchen die Rede, von Tenörchen, die Herzogin hält sich einen Impresario als Hofhund, im Original der Theaterintendant, der mit hängender Zunge heftig hechelt und ein entlarvendes Abbild peinlichster Fernsehshow-Bunnys gibt.
Die reale Welt ist hier ins Gegenteil verkehrt: Frauen haben die Macht, treten keusch in himmelblauen bodenlangen Glockenkleidern auf, die Männer meist bein- und schulterfrei, mit kürzeren Kleidchen in fleischfarbenem Rosa, und werden von Frauen an Leinen geführt. Bei Männlein und Weiblein sind die unteren Enden mit aufgerollten Wülsten versehen, ohne freilich sofort direkte Assoziationen zu wecken.
Dennoch ist sofort ersichtlich, hier herrscht ein etabliertes Matriarchat, um das überkommene Patriarchat beherzt auf den Arm zu nehmen. Der Tenor der Herzogin (und nicht etwa ein weibliches Sternchen), soll im gleichnamigen Gesangswettbewerb gekürt werden, um sie dann (ausschließlich mittels Stimmkraft?), zu beglücken.
Klamauk mit Konsequenz
Viel Klamauk auf der Bühne, aber mit so viel Verve und Witz umgesetzt, dass es großen Respekt verdient hat, auch vor der Konsequenz und dem Mut für diese Umsetzung, die der Gesellschaft den Spiegel vorhält. Was auf jeden Fall ein Ziel des jungen Inszenierungsteams um Regisseurin Anna Weber, Bühnenbildnerin Stella Lennert und Kostümbildnerin Christina Geiger gewesen sein dürfte. Sie haben sich große Freiheiten erlaubt, eine eigene Textfassung, zusätzliche Musiken und schon vor der Vorstellung sowie in der Pause musikalische Umzüge durch die Foyers, um das Publikum ins Gesamtkunstwerk mit einzubeziehen.
Diese Stringenz beeindruckt, wenngleich man vom Blödeln stellenweise genervt sein kann. Doch auch dies kann man als konsequent ansehen. Das Baby des Tenors Rudolf und seiner Frau Hilde platzt im falschen Moment in die Szene und entsetzt das biedere Herzoginnentum, in dem Emotion und körperliche Liebe nicht vorgesehen sind. Der Tenor und seine Frau gehören vor ein Sündentribunal!
Bittere Entlarvung
Dort aber wird die ganze Doppelmoral bitter entlarvt, muss ein Urteil gesprochen werden, ein sybillinisches, wofür Sybilla, passenderweise ein Countertenor, angerufen wird, die nun nicht in blau oder rosa, sondern in hautfarbenem Gummi mit mehreren Wülsten erscheint, um die Entwicklung dieser Gesellschaft zu bremsen. Spätestens bei diesem Kostüm und beim Heiligenschein dieser Gottheit werden Ganzkörperkondome assoziiert.
Das göttlich sybillinische Urteil ordnet so schlicht wie zeitgemäß die Gleichberechtigung der Geschlechter an, reimt "Wer der Liebe gehuldigt / der gilt als entschuldigt", wertet Verurteilen als menschlich und Versöhnen als göttlich.
Feine Partituren trotz technischer Unstimmigkeiten
Damit kann man versöhnt werden. Zumal die musikalische Umsetzung weitgehend überzeugt: Sie ist zumeist formidabel. Abstriche gibt es lediglich in der Textverständlichkeit, mitunter ist der Gesang einfach zu leise, das Orchester zu laut oder die Tontechnik falsch abgestimmt.
Kapellmeister Jakob Brenner jedoch hat die Feinheiten der Partitur ganz wunderbar interpretiert. Sie reicht von klassischer Operette über Charleston und Revue bis zu Jazz und Moderne, einschließlich "Blasmännchen-" und "Streichmännchenquartett".
Sowohl Robert-Schumann-Philharmonie als auch Opern- und Extrachor haben in dieser Premiere Großes geleistet, vor allem aber auch die Solistenriege vom Tenor Thomas Kiechle und Akiho Tsuji als seiner Frau Hilde bis hin zur Sybilla von Etienne Walch, nicht zu vergessen die bekehrte Herzogin Sylvia Schramm-Heilfort, Hofrätin Elisabeth Dopfheide und "Hofhund" Daniel Pastewski.
Weitere Termine am Theater Chemnitz: 1., 16., 24. März, 7., 12., 21. April, 12. Mai 2024
Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 02. Februar 2024 | 09:10 Uhr