Lesezeit | 26.08. bis 06.09. 2024 Florian Illies: Zauber der Stille

In Greifswald geboren (5. September 1774), lebte Caspar David Friedrich vier Jahrzehnte in Dresden (gest. 7. Mai 1840), aber die Stadt hat er nie gemalt. Er malte die Landschaften, die er zum Leben brauchte: das Meer, den Strand, Buchenwälder, Kreidefelsen. Doch seine Bilder sind keine Abbildung der Wirklichkeit, wie Florian Illies bemerkt, sondern deren Auflösung: "Friedrich atmet Natur ein, um sie als Kunst auszuatmen."

Friedrichs Kunst belehrt nicht, sondern ist offen und stellt Fragen. Das verstörte die Menschen damals, das war ihnen zu radikal. So drückt das Bild "Mönch am Meer" etwas aus, was den Menschen seiner Zeit fremd war: Ein Mensch voller Zweifel, verloren, verlassen von allen Menschen, vielleicht sogar von Gott. Und Menschen sieht man auf Friedrichs Bildern sowieso immer nur von hinten. Das verstärkt den Eindruck der Weltabgewandtheit seiner Kunst. Tatsächlich aber konnte er Menschen von vorn einfach schlecht malen, schon während des Kunststudiums wurde er dafür verspottet, weiß Illies zu erzählen.

Romantisch wird der große Maler der Romantik nicht gewesen sein, meint Autor Illies. Er war ein vielschichtiger Charakter: melancholisch und zuweilen geradezu kauzig. Doch in den Briefen an seine Geschwister spürt man einen warmherzigen Humor, und beim Aktzeichen sei er regelmäßig rot geworden. Seine Anfälle von Schwermut müssen groß gewesen sein. Sie speisen sich auch aus den Dramen der Kindheit. Die Mutter starb früh, der Vater war streng puritanisch, und als Junge bricht er ins Eis ein. Sein jüngerer Bruder ertrinkt, als er Caspar David aus dem Wasser rettet.

Sein Blick aufs Wasser und seine Himmel verkörpern bis heute Sehnsucht und Einkehr. Florian Illies erzählt, wie Friedrichs Bilder Samuel Beckett und Walt Disney inspirierten, welche Sicht Hitler und Stalin auf seine romantische Kunst hatten. Viele seiner schönsten Gemälde sind verbrannt, in seinem Geburtshaus, während einer Ausstellung und dann im Zweiten Weltkrieg. Der "Kreidefelsen auf Rügen" taucht erst 100 Jahre nach Friedrichs Tod aus dem Nebel der Geschichte auf. Andere seiner Bilder landen am russischen Zarenhof, zwischen den Winterreifen in einer Autowerkstatt der Mafia oder in der Küche einer hessischen Sozialwohnung. In seiner groß angelegten Reise durch die Jahrhunderte erzählt Illies ganz nebenbei über Caspar David Friedrich hinaus 250 Jahre deutsche Geschichte.

Illies wurde 1971 in Schlitz geboren und studierte Kunstgeschichte in Bonn und Oxford. Seit er achtzehn Jahre alt war, schrieb Illies für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, später war er Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und der ZEIT. Er leitete das Auktionshaus Grisebach in Berlin und gründete die Kunstzeitschrift Monopol, bevor er für ein Jahr Verleger des Rowohlt Verlages wurde. Heute ist Florian Illies Mitherausgeber der ZEIT und freier Schriftsteller. Er veröffentlichte Bestseller wie "1913: Der Sommer des Jahrhunderts" (S. Fischer, 2012) oder "Liebe in Zeiten des Hasses. Chronik eines Gefühls 1929–1939" (S. Fischer, 2021). "Zauber der Stille. Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten" erschien 2023 bei S. Fischer. Gemeinsam mit Giovanni di Lorenzo ist er Gastgeber des Kunstpodcastes "Augen zu" von ZEIT und ZEIT ONLINE.

Stephan Schad, geboren 1964 in Pforzheim, spielte u. a. viele Jahre im Ensemble des Hamburger Thalia Theaters und des Deutschen Schauspielhauses Hamburg. Darüber hinaus hat er in zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen wie "Stromberg", "Bella Block" und "Tatort" mitgewirkt. Neben den Büchern von Florian Illies trat er in zahlreichen Hörbuchinterpretationen auf, zum Beispiel in Vivica Stens Kriminalromanen oder in "Die drei ???".

MDR KULTUR Lesezeit
26.08. - 06.09. 2024
Zauber der Stille
Von Florian Illies
Gelesen von Stephan Schad
(10 Folgen, gekürzte Lesung)
Produktion: Argon 2023

Sendung im Radio: 26.08. - 06.09. 2024 | Montag bis Freitag 9:05 Uhr und in der Wiederholung: Montag bis Freitag 19:05 Uhr

Die Lesung steht hier bis zum 29. September 2024 zum Hören bereit.