Ein Mann und eine junge Frau mit einem Saxophon.
Der Saxophonlehrer Leander Torge mit einer Schülerin. Bildrechte: MDR/Vivien Vieth

Herrenberg-Urteil Musikschulen: Festanstellungs-Urteil ist große Herausforderung

09. August 2024, 03:00 Uhr

In vielen Musikschulen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ist das sogenannte Herrenberg-Urteil inzwischen umgesetzt worden. Demnach sollen Lehrkräfte festangestellt werden, die zuvor Honorarkräfte waren. Neben Vorteilen für die Lehrkräfte gibt es am Urteil auch viel Kritik. Die Umstellung kostet mehr Geld. Man befürchtet deshalb zum Beispiel, dass Unterrichtsangebote wegfallen oder Gebühren erhöht werden. Mitteldeutsche Musikschulen stellen sich nun den Herausforderungen.

In den mitteldeutschen Bundesländern wird das Herrenberg-Urteil recht unterschiedlich wahrgenommen. Das Urteil des Bundessozialgerichts vom Sommer 2022 hat zur Folge, dass Musikschulen Honorarkräfte fest anstellen müssen. Der Landesverband Deutscher Musikschulen Sachsen-Anhalt begrüßt das Urteil. Geschäftsführer Christian Reineke sagte MDR KULTUR, er sehe darin vor allem den Vorteil, dass durch die sozialversicherte Anstellung der Beruf Musikschullehrer wieder attraktiver werden könnte. Dadurch erhofft er sich mehr Nachwuchs-Lehrkräfte.

Situation der Musikschulen in Sachsen-Anhalt vergleichsweise günstig

Sachsen-Anhalt hat im Vergleich zu den anderen Ländern allerdings den Vorteil, dass die Musikschulen auch schon Jahre vor dem Herrenberg-Urteil auf Festanstellungen von Lehrkräften gesetzt haben. Reineke zufolge waren zum Jahresbeginn fast 70 Prozent der Lehrkräfte in einer Festanstellung, mittlerweile geht er von einer noch höheren Zahl aus.

Hände eines Kindes an den Klaviertasten.
Das Erlernen eines Instrumentes gehört für viele Kinder und Jugendliche zur Selbstverwirklichung – dazu brauchen sie pädagogischen Beistand. Bildrechte: picture alliance / dpa | Matthias Tödt

Die Festanstellung ist dort vielen Musikschulen möglich, weil sie vom Land besonders stark unterstützt werden: je mehr Festanstellungen es gibt, desto höher fällt die Förderung aus. So haben Sachsen-Anhalts Musikschulen zuletzt eine Fördersumme von rund fünf Millionen Euro erhalten, ca. 1,25 Millionen Euro davon fallen unter die Förderung für festangestellte Lehrkräfte, die 2022 extra wegen des Herrenberg-Urteils ermöglicht wurde. Damit ist Sachsen-Anhalt das bisher erste Bundesland Mitteldeutschlands, das mit einer neuen Förderung auf das Urteil reagiert hat.

Auch Thüringen blickt positiv auf die Folgen des Herrenberg-Urteils. Hier waren aufgrund des Thüringer Musik- und Jugendkunstschulgesetzes ebenfalls schon vor dem Urteil mehr als die Hälfte der Lehrkräfte in einem sozialversichterten Arbeitsverhältnis angestellt, so dass der Wechsel von Honorarverträgen zu Festangestellten für viele Häuser nicht ganz so große Herausforderungen mit sich brachte, wie etwa für viele Schulen in Sachsen.

Junge Frau in roten Kleid in Klassenzimmer stehend
Uta Koschmieder ist die Leiterin der Musikschule Saale-Holzland-Kreis in Thüringen. Sie spürt direkt, wie sich die Neuregelung auf die musikalischen Lehrkräfte auswirkt – positiv und negativ. Bildrechte: Vivien Vieth/MDR

Sachsen: Probleme vor allem im ländlichen Raum

Der Vorsitzende des Verbands Deutscher Musikschulen Sachsen, Sven Rössel, bezeichnete das Herrenberg-Urteil auf Anfrage von MDR KULTUR als "kulturpolitischen Glücksfall, aber nur dann, wenn genug Geld da ist". Vor allem im ländlichen Raum fehlen den Musikschulen die finanziellen Mittel zur Umsetzung des Urteils.

Ein Beispiel dafür ist die Musikschule Johann Adam Hiller in Görlitz. Würden dort alle Honorarkräfte angestellt werden, müsste die Musikschule jährlich 276.500 Euro mehr zahlen. Das kann sich weder die Schule noch die Stadt leisten. Demzufolge müssten die Kosten von den Schülerinnen und Schülern getragen werden. Das will die Musikschule aber vermeiden.

Steigende Kosten für die Schülerinnen und Schüler

Wie die gestiegenen Mehrkosten künftig verteilt werden und ob eine Gebührenerhöhung entsteht, handhabt jedes Bundesland anders. In allen drei mitteldeutschen Ländern werden die Musikschulen zum größten Teil von den Trägern, dann von den Nutzern und schlussendlich vom Land und anderen Einnahmen finanziert. Die einzelnen Träger müssen also schauen, wie sie die gestiegenen Mehrkosten ausgleichen können. Vom Landesmusikrat Sachsen hieß es, dabei könne es auch dazu kommen, dass Gebühren angehoben werden müssten.

In Sachsen-Anhalt scheinen die öffentlichen Musikschulen vorerst durch die Förderungen finanziell abgesichert. Für Thüringen gibt es ebenfalls erstmal Entwarnung, sagt Matthias Deichstetter, der Chef des Thüringer Landesverbandes der Musikschulen. Derzeit sei bei keiner Musikschule eine deutliche Gebührenerhöhung geplant. Was ihm an Erhöhungen bekannt sei, gehe nicht über das hinaus, was "in den letzten Jahren turnusgemäß so stattgefunden hat."

Langfristig werde aber die Finanzierung nicht reichen, heißt es vom Thüringer Landesverband. Deshalb habe der Musikschul-Bundesverband die Ministerpräsidenten angeschrieben: "Und wir gehen dort auch mit der Forderung herein, dass sich die Länder an den Personalausgaben mit einem Drittel beteiligen."

Gefahr für "Exotenfächer"

In allen drei Bundesländern gibt es auch die Gefahr, dass das Angebot reduziert wird. Denn viele Musikschullehrer arbeiten nur wenige Stunden an einer Schule und sind sonst vorrangig als freie Musiker oder an anderen Musikschulen unterwegs. Eine Festanstellung kommt für viele deshalb nicht in Frage. Dadurch können Angebote wegfallen.

Vor allem für selten erlernte Instrumente droht oft das Aus, wie Fagott, Oboe oder Harfe. "Da muss man nochmal nachjustieren können", wünscht sich die Leiterin der Musikschule Saale-Holzlandkreis in Thüringen, Uta Koschmieder, als Folge des Urteils. Sie musste sich von zehn Lehrkräften trennen, die sie nicht festanstellen konnte. Darum musste ein Schüler zu einer nahegelegenen Musikschule wechseln, weil die ursprüngliche Lehrkraft ihn dort nicht mehr im Fach Waldhorn unterrichten konnte.

Mit Blick auf solche Fälle kritisiert der Landesmusikrat Sachsen-Anhalt eine fehlende Flexibilität des Herrenberg-Urteils. Er teilte MDR KULTUR mit, das Modell der reinen Festanstellung stehe dem allgemeinen Trend des agilen Arbeitens "konträr gegenüber": "Es ist gut und überfällig, dass das Gesetz gefällt wurde, jedoch ist es wenig dehnbar und hat die Praxis nicht nur der Musikschulen, sondern explizit auch der Lehrkräfte selbst nicht in Gänze bedacht."

Positive Rückmeldungen vieler Lehrkräfte

Ein Großteil der Lehrkräfte begrüßt nach Angaben der Landesverbände das Herrenberg-Urteil jedoch. Einer von ihnen ist der Saxophonist Leander Torge. Er unterrichtet seit rund 25 Jahren an der Thüringer Musikschule im Saale-Holzland-Kreis. Seit diesem Schuljahr ist er erstmals festangestellt. Als Honorarkraft sei er "völlig auf sich allein gestellt" gewesen und habe alle Kosten tragen müssen. Nun sei eine Sicherheit da: "Die Sozialabgaben werden übernommen. Ich bin ja jetzt auch keine 30 mehr. Das bringt einfach Ruhe rein."

Ein Mann und eine junge Frau mit Saxophon vor einem Notenständer
Das Unterrichten eines Musikinstrumentes ist nicht nur Gelderwerb. Es bedeutet auch, sein Know How an die nächste Generation weiter zu geben. Bildrechte: MDR/Vivien Vieth

Für die Zukunft vieler Lehrkräfte ist das Herrenberg-Urteil ein großer Gewinn. Für die Zukunft vieler Musikschulen bleibt der Wechsel von Honorarkräften zu Festangestellten jedoch weiterhin eine große Herausforderung. Sie hoffen auf langfristige finanzielle Unterstützung von den Kommunen, den Ländern und vom Bund.  

Quelle: MDR KULTUR (Philipp Baumgärtner, Vivien Vieth), redaktionelle Bearbeitung: vv, hki, op

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 09. August 2024 | 07:10 Uhr