Musizierende der Musikschule Leipzig J.S. Bach
Bildrechte: Daniel Otto/Musikschule Leipzig "J. S. Bach"

Kulturpolitik Musikschule Leipzig: Debatte um Festanstellung von Lehrkräften

01. Februar 2024, 16:10 Uhr

Zum 1. Februar hat die Stadt Leipzig als Träger der Musikschule Leipzig "Johann Sebastian Bach" 147 Honorarlehrkräfte in ein sozialversicherungspflichtiges Anstellungsverhältnis nach TVöD überführt. Die Idee selbst wird von allen Seiten gelobt, Kritik gibt es jedoch an der Umsetzung. Ole Steffen hat die Stimmen der Debatte zusammengetragen.

"Dass die Stadt Leipzig diesen mutigen Schritt geht, nachdem sie das Urteil des Bundessozialgerichts ausgewertet hat, finden wir richtig. Wie es geschieht, da sehen wir erhebliche Mängel", sagte der Geschäftsführer des Deutschen Tonkünstlerverbands (DTKV) Sachsen, Christian Scheibler, MDR KULTUR. Dabei gehe es zum einen darum, dass man ehemaligen Honorarlehrkräften, die künftig bei der Musikschule angestellt sind, "das Misstrauensvotum einer Probezeit" zumute, so Scheibler.

Sechs Monate Probezeit ist in den neuen Verträgen vorgesehen, auch wenn die Pädagoginnen und Pädagogen schon jahrelang an der Musikschule als Honorarlehrkräfte tätig waren. Das sei kein Zeichen der Wertschätzung für bereits geleistete Arbeit, so die Honorarlehrervertretung. Im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) sind sechs Monate Probezeit die Regel. Eine kürzere Probezeit ist zulässig, muss aber vereinbart werden.

Christian Scheibler, Geschäftsführer des Deutschen Tonkünstlerverbands (DTKV) Sachsen
Christian Scheibler, Geschäftsführer des Deutschen Tonkünstlerverbands (DTKV) Sachsen Bildrechte: Christian Scheibler

Der Leiter der Musikschule "Johann Sebastian Bach" Leipzig, Matthias Wiedemann, sagte MDR KULTUR dazu, dass es sich dabei um die "Standardverträge der Stadt Leipzig" handele. Er warb dafür, nicht zu vergessen, dass die Honorarlehrkräfte bislang Einjahresverträge gehabt hätten. Das seien immer wieder neue Probezeiten gewesen, was deutlich unzumutbarer sei, so Wiedemann.

Musikschulleiter Wiedemann: "Wir haben eine historische Möglichkeit"

Wiedemann unterstrich die "historische Möglichkeit", allen Pädagoginnen und Pädagogen eine Festanstellung anzubieten. Der Musikschule gehe es auch darum, die Lehrkräfte in Zusammenhangstätigkeiten einzubinden, die zum Strukturplan des Verbands Deutscher Musikschulen gehören. Dabei geht es neben dem Instrumentalunterricht zum Beispiel um Kooperationen, Inklusionsprojekte oder Exkursionen. Es gebe ein "ausgeprägtes fachliches Interesse" von Musikschulen, mit festangestellten Lehrkräften zu arbeiten, so Wiedemann. Das sei nun geglückt.

Auch Leipzigs Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke sagte bei MDR KULTUR, sie sehe in der Neuausrichtung der Verträge den Vorteil, dass die Musikschule viel besser planen könne.

Klaus-Dieter Anders, Präsident des Landesverbands Sachsen des Verbands Deutscher Musikschulen
Klaus-Dieter Anders, Präsident des Landesverbands Sachsen des Verbands Deutscher Musikschulen Bildrechte: Gert Mothes

Unterstützt werden beide vom Präsident des Landesverbands Sachsen des Verbands Deutscher Musikschulen, Klaus-Dieter Anders. Er sagte MDR KULTUR, es sei ein riesen Vorteil, dass man nun mit allen Lehrerinnen und Lehrern genau besprechen könne, wie die Musikschule aussehen soll, die sie gerne machen wollen.

"Mikro-Verträge sind keine Existenzsicherung"

Bei aller Euphorie gibt es laut DTKV-Geschäftsführer Christian Scheibler aber noch Probleme bei den Stundenkontingenten der Beschäftigten. Sie schwanke von ein bis zwei bis hin zu 20 Stunden pro Woche. Die Stadt Leipzig betont, man habe sich dabei an den vorherigen Arbeitszeiten der Honorarlehrkräfte orientiert.

Daraus ergeben sich laut Christian Scheibler aber "Mikro-Verträge", die keine Existenzsicherung darstellten, da die Lehrkräfte je nach Stundenkontingent bei einem Nettogehalt unter 1.000 Euro herauskommen könnten. Zudem seien die Lehrkräfte durch die neuen Verträge an Weisungen gebunden. Die Gebundenheit an die Schule bei gleichzeitig geringem Stundenkontingent könne, so Scheibler, zu Schwierigkeiten bei der Durchführung von Nebentätigkeiten führen.

Musikschulleiter Matthias Wiedemann erwiderte bei MDR KULTUR, dass die Zusammenhangstätigkeiten in einem angemessenen Verhältnis zum Vertrag stehen müssten. Er wolle darauf achten, dass sich Lehrkraft und Musikschule gegenseitig abstimmen "in großem Einvernehmen und in Abhängigkeit vom Vertragsumfang".

Matthias Wiedemann, Leiter Musikschule Leipzig "Johann Sebastian Bach"
Matthias Wiedemann, Leiter Musikschule Leipzig "Johann Sebastian Bach" Bildrechte: Musikschule Leipzig J. S. Bach

Die Frage des tariflichen Entgeltes

Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf die Einordnung der Lehrkräfte in die Gehaltstabelle des TVöD. Laut neuen Verträgen werden die Pädagoginnen und Pädagogen in die Entgeltgruppe 9b Stufe 3 eingestuft – unabhängig von ihrer Qualifikation oder Berufserfahrung. Einige aber hätten mehr Berufserfahrung oder eine bessere Qualifikation. Das sei nicht in den Vertragsverhandlungen berücksichtigt worden, so die Kritik des DTKV Sachsen. Langfristig wirke sich die niedrigere Eingruppierung auch auf etwaige Rentenansprüche aus.

Musikpädagogin Felicitas Ressel mit einer Klarinette
Musikpädagogin Felicitas Ressel, Vertreterin in der Sächsischen Honorarlehrervertretung Bildrechte: Felicitas Ressel

Musikpädagogin Felicitas Ressel sieht auch die Ungerechtigkeit in der Einstufung der ehemaligen Honorarlehrkräfte in der Entgelttabelle des TVöD. "Ich denke, dass jetzt erst im Nachhinein bei vielen die Auswirkungen so richtig klar werden. Dass, wenn sie jetzt zehn oder 20 Jahre am Haus waren, trotzdem deutlich weniger verdienen als ein Pädagoge, der vielleicht erst fünf Jahre am Haus ist und von Anfang an eine Festanstellung hat", so Ressel weiter.

Stadt Leipzig weist Kritik zurück

Leipzigs Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke hat die Kritik an den neuen Verträgen im Gespräch mit MDR KULTUR zurückgewiesen. Für sie ist vor allen Dingen das Mehr an Sozialleistungen ein Plus für die Lehrkräfte. "Der große Vorteil ist: Man ist ganzjährig beschäftigt. Als Honorarlehrkraft sind sie in den Ferien nicht beschäftigt gewesen", sagte die Linken-Politikerin MDR KULTUR.

Darüber hinaus sei die Zwei-Klassen-Gesellschaft innerhalb der Schule zwischen fest- und nicht festangestellten Lehrkräften aufgehoben. Zudem zahlten nun alle den kompletten Satz an Sozialabgaben. Dadurch könnten die ehemaligen Honorarlehrkräfte künftig höhere Rentenansprüche erwerben.

Bürgermeisterin und Beigeordnete für Kultur der Stadt Leipzig, Skadi Jennicke
Skadi Jennicke, Kulturbürgermeisterin der Stadt Leipzig Bildrechte: IMAGO/Christian Grube

Die Frage des Rentenanspruchs beschäftigt auch den DTKV Sachsen. Im Gespräch mit MDR KULTUR betonte Christian Scheibler, es sei der "größte strukturelle Mangel", dass nicht geklärt sei, ob diese Rentenansprüche auch rückwirkend geltend gemacht werden könnten – also für Tätigkeiten aus den Vorjahren, die in einem damals nicht anerkannten abhängigen Verhältnis stattgefunden hätten.

Dazu erwiderte Skadi Jennicke, dass die Stadt Leipzig eine Risikorückstellung gebildet habe. "Risikorückstellung heißt, dass, wenn festgestellt würde, dass wir hier in den Einzelfällen unserer Sozialversicherungsabgabenpflicht nicht nachgekommen seien, dass wir da den Betrieb abgesichert haben", so Skadi Jennicke.

"Leipziger Erklärung" warnt vor Mangel an Musikpädagogen-Nachwuchs

Erst im Januar 2024 hatte der Verband Deutscher Musikschulen gemeinsam mit dem Bundesverband Musikunterricht vor einer sinkenden Zahl an Studienbewerberinnen und -bewerbern im Bereich Musik gewarnt. Zudem erwarten die Verbände, dass in den nächsten zehn Jahren "40 Prozent aller Festanstellungsverhältnisse durch Renteneintritte an den sächsischen Musikschulen frei" werden, so Klaus-Dieter Anders. Er vermutet, dass sich Musiklehrkräfte in den nächsten Jahren ihre festen Stellen aussuchen können.

Ländliche Räume nicht vergessen  

Um für mehr Menschen Musikpädagogik attraktiv zu machen, spielt laut dem Landesverband Sachsen des Verbands Deutscher Musikschulen eine angemessene tarifliche Vergütung eine besondere Rolle. Die würde für viele mehr Sicherheit bedeuten.

Dabei dürfe man auch nicht den ländlichen Raum vergessen, so Klaus-Dieter Anders. Sollten die Festanstellungen in Städten wie Leipzig oder Dresden nun zu Pull-Faktoren für Musikpädagoginnen und Musikpädagogen werden, könnten darunter womöglich Musikschulen in ländlichen Räumen leiden, weil die Städter in der Stadt blieben. "Insofern ist der Leipziger Weg für die Festeinstellungen natürlich ein Signal für ganz Sachsen", so Klaus-Dieter Anders.

Redaktionelle Bearbeitung: jb

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 01. Februar 2024 | 16:10 Uhr

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