Novalis, Hoffmann, Tieck Die schönsten Märchen der Romantik – Sechs Tipps zum Lesen
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15. Juli 2024, 04:00 Uhr
In der Epoche der Romantik standen bei Künstlern wie Caspar David Friedrich, Joseph von Eichendorff oder Novalis das Gefühl und die Fantasie im Vordergrund. Das Magische zog in die reale Welt ein. Kein Wunder also, dass Märchen in der deutschen Literatur um 1800 zur beliebten Gattung wurden. Dichter wie Novalis, Brentano, E.T.A. Hoffmann oder Ludwig Tieck verfassten zahlreiche Kunstmärchen. Die Brüder Grimm sammelten Volksmärchen für ihre weltberühmte Sammlung. Diese sechs Märchen sollten Sie lesen.
Inhalt des Artikels:
- Alles Poetische muss märchenhaft sein: Novalis und "Das Atlantis-Märchen"
- Kunstmärchen von Ludwig Tieck: "Der blonde Eckbert"
- Chamissos Geschichte über den verkauften Schatten: "Peter Schlemihl"
- Märchen aus der neuen Zeit: E.T.A. Hoffmanns "Der goldne Topf"
- In der Tradition der europäischen Märchendichtung: Clemens Brentano
- Klassiker: Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm
Alles Poetische muss märchenhaft sein: Novalis und "Das Atlantis-Märchen"
Novalis (1772-1801), eigentlich Friedrich Freiherr von Hardenberg, ist einer der bekanntesten Dichter der (Früh-)Romantik. In seinem Romanfragment "Heinrich von Ofterdingen" hat er erstmals das Motiv der "Blauen Blume" verwendet, das zum Symbol der deutschen Romantik wurde und für Sehnsucht und das Streben nach dem Unendlichen steht. Märchen waren für Novalis das Maß aller Poesie. "Das Mährchen ist gleichsam der Canon der Poesie – alles poetische muss mährchenhaft seyn", forderte er.
Novalis' "Atlantis-Märchen" ist eine Geschichte über das sagenhafte untergegangene Reich Atlantis. Dort lebt ein alter König, der einen passenden Ehemann für seine geliebte Tochter sucht. Die Prinzessin als Verkörperung der Poesie begegnet zufällig einem im Wald lebenden Jüngling, der die Natur symbolisiert. Beide verlieben sich ineinander und heiraten – was einer Verbindung von Poesie und Natur gleichkommt.
Kunstmärchen von Ludwig Tieck: "Der blonde Eckbert"
Bei den Dichtern der Romantik werden Kunstmärchen zur beliebten Gattung. In Abgrenzung zu Volksmärchen, also einer Sammlung mündlich überlieferter und meist anonymer Erzählungen, handelt es sich dabei um eigenständige Erzählungen eines Autors. Ludwig Tiecks Märchen "Der blonde Eckbert" gilt als eines der ersten Kunstmärchen der Romantik. In der rätselhaften Geschichte um den Ritter Eckbert und seine Frau Bertha verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion. Das reale Setting – die Erzählung ist im Harz in der Zeit des Mittelalters verortet – wird im Laufe der Handlung von fantastischen Elementen durchbrochen.
Ludwig Tieck (1773-1853) spielt mit unterschiedlichen Erzählperspektiven und Wirklichkeitsebenen und schließlich sind reale Ereignisse nicht mehr von den Vorstellungen und Ängsten des Protagonisten zu unterscheiden. Statt mit einem "Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute", endet das Märchen mit dem Wahnsinn und Tod des Protagonisten.
Chamissos Geschichte über den verkauften Schatten: "Peter Schlemihl"
Die fantastische Erzählung "Peter Schlemihls wundersame Geschichte" über einen Mann, der seinen Schatten verkauft, machte Adelbert von Chamisso (1781-1838) weltberühmt. Der etwas weltfremde Jüngling Peter Schlemihl begegnet in Chamissos Märchennovelle einem rätselhaften Mann in grauem Rock und lässt sich auf einen Handel mit ihm ein: Im Tausch gegen einen Sack voll Gold, der nie versiegt, überlässt er ihm seinen Schatten. Doch seinen Reichtum kann Schlemihl nicht genießen, denn die Menschen bekommen Angst vor ihm oder verspotten ihn, sobald sie bemerken, dass er keinen Schatten besitzt.
Er versucht, ihn zurückzubekommen, doch wie sich herausstellt, hat er sich mit dem Teufel eingelassen, der nun auch seine Seele will. Letztendlich verliert Schlemihl alles und durchwandert die Welt mit Siebenmeilenstiefeln. Er lebt einsam und erforscht die Natur. Chamissos Geschichte vom verlorenen Schatten wurde vielfach aufgegriffen und künstlerisch verarbeitet. Beispielsweise hat Hans Christian Andersen das Motiv des verlorenen Schattens 1847 in seinem Märchen "Der Schatten" verarbeitet.
Märchen aus der neuen Zeit: E.T.A. Hoffmanns "Der goldne Topf"
E.T.A. Hoffmann (1776-1822) gilt als einer der einflussreichsten deutschen Erzähler seiner Epoche. Seine Schauergeschichten wie auch die frühromantischen Märchen hatten große Wirkung auf Zeitgenossen und nachfolgende Generationen. Das Märchen "Der goldne Topf" gilt als sein erfolgreichstes Werk. Hoffmann hat ihm den Untertitel "Ein Märchen aus der neuen Zeit" beigefügt, was schon andeutet, hier ist das Fantastische in die Gegenwart und den Alltag versetzt.
Diese Spannung zwischen fantastischer Welt und realistisch bürgerlichem Alltag erlebt der junge Student Anselmus aus Dresden. Das Märchen zeigt die Entwicklung des Protagonisten zum Poeten, er muss sich zwischen der Liebe zu der zauberhaften Schlange Serpentine und einer Heirat mit der reizvollen Bürgertochter Veronika entscheiden. Schließlich findet er sein Glück in der völligen Hingabe an das Fantastische. Das Reich der Fantastik erschließt sich nur poetisch veranlagten Menschen und steht in der für die Romantik typischen Zweiteilung der rational zugänglichen Alltagswelt gegenüber.
In der Tradition der europäischen Märchendichtung: Clemens Brentano
Clemens Brentano (1778-1842) gilt neben Achim von Arnim als Hauptvertreter der sogenannten Heidelberger Romantik. Seine Märchen nehmen unter den Kunstmärchen der Romantik eine Sonderstellung ein. Sie sind verhältnismäßig unbekannt geblieben und größtenteils erst nach Brentanos Tod veröffentlicht worden. Das gilt auch für die sogenannten "Italienischen Märchen", die Brentano zwischen 1805 und 1811 schrieb. Grundlage bildete das "Pentameron", eine Märchensammlung des italienischen Dichters Giovanni Battista Basile, der im 17. Jahrhundert als erster großer Märchenerzähler Europas gilt. Nach seinem Vorbild gibt es auch bei Brentano eine Rahmenhandlung, in der es durch verschiedene Umstände dazu kommt, dass Märchen erzählt werden müssen. Brentantos Märchenzyklus umfasst insgesamt elf Märchen.
Klassiker: Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm
Die Sammlung der Märchen der Brüder Grimm ist eines der weltweit meistgelesenen und meistverbreiteten Bücher in deutscher Sprache. Durch ihre Bekanntschaft mit dem romantischen Dichter Clemens Brentano wurde bei Jacob und Wilhelm Grimm das Interesse an "Volkspoesie" geweckt. Sie sammelten überlieferte Märchentexte.
Ihre "Kinder- und Hausmärchen" von 1812/15 sind aber keineswegs nur eine Niederschrift von mündlichen Erzählungen aus "dem Volk", sondern wurden von den Brüdern literarisch und stilistisch bearbeitet. Die Märchensammlung ist aus einer Mischung älterer literarischer Quellen und mündlicher Überlieferungen entstanden. Die Erzählungen sind keine spezifisch deutsche Tradition, sondern reihen sich in die europäische Märchendichtung ein. Neben bekannten Märchen wie "Hänsel und Gretel", "Rotkäppchen" oder "Aschenputtel" sind viele Märchen der Brüder Grimm eher unbekannt geblieben und können heute von vielen noch neu entdeckt werden.
Quellen: Wolfgang Bunzel (Hrsg.): Romantik. Epoche Autoren Werke. WBG 2010; Detlef Kremer/Andreas B. Kilcher: Romantik. Stuttgart 2015.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 20. Mai 2024 | 15:15 Uhr