Buchempfehlung "Jeder geht für sich allein": Wenn eine Japanerin Vogtländisch spricht
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27. Juli 2024, 16:41 Uhr
Nach 50 Jahren, die Chisako Wakatakes Romanheldin Momoko jetzt in Tokyo lebt, trifft sie plötzlich wieder auf den Dialekt ihrer Heimat. "In der Regel wird Dialekt ja nicht übersetzt, aber in diesem Fall war das unumgänglich!", erklärt die Thüringer Verlegerin Katja Cassing. Und so findet sich in der japanischen Erzählung "Jeder geht für sich allein" plötzlich das Vogtländische wieder.
"In Japan gibt es die Tradition der autobiografischen Fiktion. Das ist nicht eins zu eins das Leben des Autors, aber der Autor bedient sich an seiner Autobiografie", erklärt Verlegerin Katja Cassing aus Thüringen. So auch bei Chisako Wakatakes "Jeder geht für sich allein" – Eine Geschichte, die einen mitnimmt in den Rückblick auf das Leben einer Japanerin.
Parallelen zwischen Romanheldin und Autorin
Die Autorin Chisako Wakatake wurde 1954 im Nordosten Japans geboren. Wie die Heldin ihres Buches stammt auch sie aus einer eher ländlichen Region. Sie lebte lange in der Metropole Tokyo und führte ein Leben, wie Millionen anderer Frauen auch. Genau hier beginnt die Geschichte, ihre eigene und die der Heldin ihres Buches. Es geht um nichts Geringeres als die Frage: Habe ich meine Träume von einst wirklich gelebt?
Ich denke, da hat sie ganz viel von sich selbst verarbeitet. Sie ist Mitte 60 und es ist ihr Debütwerk. Das ist das wirklich Interessante. Die hat tatsächlich nach dem Tod ihres Mannes angefangen, Creative-Writing-Kurse zu besuchen.
Wenn man nach Herkunft fragt, dann auch nach Dialekt?
Wakatake landet prompt einen Erfolg mit ihrem Roman. Zwei große Preise 2017 und 2018 gingen an sie – bei einem war sie die älteste Preisträgerin. Und genau das macht vermutlich die Geschichte um Wakatake so charmant. Wie blickt sie auf Frauen in Japan? Auf Tradition und Gegenwart? Auf Brüche und Träume? Den Spagat zwischen Erwartungen und gelebtem Leben? Ihre Romanfigur heißt Momoko. Sie stellt genau diese Fragen und auch nach den sprachlichen Wurzeln ihrer Kindheit.
Plötzlich kommt nach 50 Jahren in der Großstadt, in der Standardsprache, im Hochjapanischen – was, weil sie vom Land kommt, für sie eine Fremdsprache war – im Alter mit Macht der Dialekt wieder.
Das Japanische in der deutschen Literatur
Mit viel Respekt für sprachliche Wurzeln und Tradition hat sich die Verlegerin Katja Cassing der Frage genähert: Wie schafft man es aus deutscher Sicht, das zu kreieren, was Momoko gefühlt haben könnte, als sie sich an ihre sprachliche Kindheit zurück erinnerte?
Cassing hat zwei Jahre selbst in Tokyo gelebt. Heute gehört japanische Literatur zu dem, was sie auf den Markt bringen möchte. Es muss nicht reißerisch sein, gern auch mal "leise" – wie sie Watakes Roman beschreibt. Mit jener fantastisch auf das Leben zurückblickenden Momoko im Mittelpunkt.
Wie das Vogtländische in die japanische Erzählung passt
"Die japanischen Titel kommen nicht ganz so zufällig zu uns – wir suchen natürlich gezielt. Aber wir lesen auch alle möglichen anderen Bücher", erzählt Cassing. Bevor sie sich das Manuskript zu "Jeder geht für sich allein" angesehen habe, las sie das Debüt der deutschen Autorin Mareike Schneider, "Alte Engel". "Die arbeitet mit einem Dialekt und ich dachte: Das ist der Dialekt!", erklärt Cassing.
Und so trifft das Vogtländische in der deutschen Übersetzung auf jene Szenen aus dem japanischen Leben einer wunderbar-klugen Frau. "Das macht das Buch jetzt nochmal ganz besonders – das ist dieser Dialekt aus dem Vogtland, also erzgebirgisch-vogtländisch", ordnet Cassing ein. So viel Korrektheit muss sein. Manchmal geschmäht und belächelt und dann wird er doch zu etwas Großen, im Buch von Chisako Wakatake.
Mehr Information
Chisako Wakatake „Jeder geht für sich allein“
ins Deutsche übersetzt von Jürgen Stalph
112 Seiten
Verlag: Cass
ISBN: 978-3-944751-25-2
Preis: 22 Euro
erscheint am 15.02.2021
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 10. Februar 2021 | 18:40 Uhr