Buchtipps im Juni Die fünf besten Bücher für den Sommer – über Liebe, Italien und weibliche Befreiung
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26. Juli 2024, 10:42 Uhr
Die Ferien oder der Urlaub sind die beste Zeit zum Lesen. Und die will gut geplant sein, schließlich will man die richtige Lektüre mit an den Strand oder in die Berge nehmen. Aber auch allen, die zu Hause auf dem Balkon lesen, stellt MDR KULTUR-Literaturredakteurin Katrin Schumacher hier ihre Top 5 Bücher für den Sommer vor. Die Empfehlungen im Juni: Rosemary Tonks entführt in die britische Upperclass, Anna Katharina Fröhlich auf eine italienische Yacht, Miranda Julys Roman zu einem weiblichen Befreiungsschlag, Colm Tóibín in die Liebeswirren im ländlichen Irland und Janna Steenfatt fragt, ob man in der Mitte des Lebens nochmal etwas Neues wagen sollte.
Rosemary Tonks: "Der Köder"
London in den Sechzigern: Drinks, Gossip und Liebschaften und mittendrin Min, die bei der BBC arbeitet und umschwärmt wird vom schicken Billy und vom kugelförmigen Tenor. Deren Ehemann George so unscheinbar ist, dass sie versehentlich das Licht ausknipst, während er noch im Raum sitzt. Min ist eine "Holly Golightly"-Figur auf Britisch. Witzig, verwöhnt und frech und das Paradox aus gleichzeitig emanzipiert und antiquiert in ihren Liebesvorstellungen.
1968 schrieb Rosemary Tonks diesen autobiografisch angehauchten Roman, der sperrig und eigenwillig in eine versunkene Welt führt. Rosemary Tonks ist ein Rätsel der Literaturgeschichte, früher Ruhm, und dann ein plötzliches Untertauchen. In den letzten vier Jahrzehnten bis zu ihrem Tod 2014 soll sie in Bibliotheken unterwegs gewesen sein, um ihre eigenen Bücher zu vernichten. Nun ist sie wieder da, hervorragend übersetzt von Eva Bonné – eine Flaschenpost aus der Vergangenheit. Und dabei auch noch ein wunderschönes Buchobjekt, Schlangenoptik, dunkelgrün mit Goldschrift, erschienen im kleinen feinen März-Verlag: das It-Buch des Sommers!
Angaben zum Buch
Rosemary Tonks: "Der Köder"
Aus dem Englischen von Eva Bonné
März Verlag, 2024
220 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3-7550-0033-4
25 Euro
Miranda July: "Auf allen Vieren"
Es gibt so Themen, die sind nicht besonders literaturtauglich auf den ersten Blick. Rückenschmerzen oder Schluckauf. Ein Roman über die weiblichen Wechseljahre? Hmmm. Da braucht es die großartige amerikanische Performerin und Multimedia-Künstlerin, Autorin und Regisseurin Miranda July, um diesem Thema eine Geschichte abzulocken, die nicht nur sinnlich und witzig, sondern auch wüst und schlau ist.
Die Ich-Erzählerin ist eine angesagte Künstlerin, die sich zum 45. Geburtstag einen Roadtrip allein nach New York schenkt. Sie strandet nach nur kurzer Strecke in einem Hotel, beginnt eine Romanze mit einem jungen Mann (vor allem in ihrem Kopf), beginnt Amour fous mit wechselnden Frauen und stellt ihr Leben nicht nur in Frage. Sie nimmt es in die Hand. Und verteidigt ihre Libido gegen jedes von außen angetragene Klischee einer verblühenden Sexualität. Mitten im Hormon-Struggle versteht sie, was in ihrem Körper passiert und nimmt uns mit auf eine Reise, die so offen und mutig und voller Eskapaden ist, dass es immer wieder den Atem raubt.
Nach diesem Buch kann getrost jeder Ratgeber zur Menopause beiseite gelegt werden. Am Ende steht die Beerdigung des freundlichen Weibchens und die Geburt einer Autorin, das Leuchten der Frau, das beim Lesen regelrecht anzündet.
Angaben zum Buch
Miranda July: Auf allen Vieren
Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs
Kiepenheuer & Witsch Verlag, 2024
416 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3-462-00117-4
25 Euro
Anna Katharina Fröhlich: "Die Yacht"
Diese Autorin ist eine Ausnahme in der Literaturszene, nicht nur wegen ihres Tons, der unvergleichlich ist und fast ein wenig antiquiert klingt. Sondern auch, weil sie zurückgezogen lebt und dem Betrieb recht fern steht. In regelmäßigen und für ihre Fans viel zu großen Abständen kommen ihre Bücher heraus – nun ist der fünfte Roman erschienen.
In dem geht es detailreich, bunt und überbordend auf nur gut 160 Seiten mitten in die italienische High Society in eine Villa auf Sizilien. Eigentlich war Martha Oberon ins italienische N. gereist, um dort einen Malkurs zu besuchen. Weil es sich aber um eine traumhafte Kulisse handelt, in die sie eintritt – und sie obendrein noch nach dem Elfenkönig in Shakespeares "Sommernachtstraum" benannt ist –, kommt alles ein wenig anders und wundersamer als geplant.
In Anna Katharina Fröhlichs Novelle geht es um das Surreale hinter der Oberfläche, es geht um die Lebenskunst und die Kunst auf der Leinwand, und das in luftig-flirrendem Ton, leicht wie eine Sommerliebelei.
Angaben zum Buch
Anna Katharina Fröhlich: "Die Yacht"
Eine Sommernovelle
Verlag Friedenauer Presse, 2024
164 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3-7518-8012-1
20 Euro
Colm Tóibín: "Long Island"
Was, wenn plötzlich ein Fremder an die Tür klopft und erbost berichtet: Meine Frau bekommt ein Kind vom Klempner. Und das wird nach der Geburt hier auf der Türschwelle liegen, denn der Bastard soll nicht im Haus bleiben. Was, wenn der Klempner der eigene Mann ist und diese Neuigkeit wie ein Blitz aus heiterem Himmel kommt? Eilis ist klar, dass auch ihr dieses Kind nicht ins Haus kommt, aber ihre angeheiratete italienische Großfamilie hat schon andere Pläne mit dem unverhofften neuen Zuwachs.
Der neue Roman des irischen Meistererzählers Colm Tóibín beginnt mit einer Bombe und wird nicht leiser. Eilis fährt aus New York in ihr Heimatkaff Enniscorthy, um sich die Wunden zu lecken, trifft dort auf Jim, den sie vor fast 20 Jahren selbst ziemlich böse hintergangen hat. Sie beginnt die Affäre wieder auflodern zu lassen – nicht wissend, dass Jim inzwischen heimlich mit ihrer besten Freundin verlobt ist.
Toíbín ist ein Meister der Spannungs- und Sympathielenkung. Nie kann man nur für eine Figur Partei ergreifen, immer weiß man ein bisschen mehr als die handelnden Personen. "Long Island" ist die Fortsetzung des Erfolgsromans "Brooklyn", der prominent verfilmt wurde. Das dünnste Eis ist das des Sozialen – wie man darauf tanzt, ohne einzubrechen, ist hier wieder einmal atemberaubend erzählt.
Angaben zum Buch
Colm Tóibín: Long Island
Aus dem Englischen von Giovanni und Ditte Bandini
Hanser Verlag, 2024
320 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3-446-27947-6
26 Euro
Janna Steenfatt: "Mit den Jahren"
Wohin in der Mitte des Lebens? Woher komm ich, wohin geh ich und zu wem gehöre ich? Diese Fragen stellen sich die drei Figuren in Janna Steenfatts leidenschaftlichem und mitreißend erzählten Roman. Sie fragen sich zunächst nicht laut, aber ihre Wege und Fluchten sprechen Bände.
Da ist Lukas, der Künstler, der sich, obwohl verheiratet und zweifacher Vater, seine Freiheiten gönnt. Da ist Eva, seine Frau, die Mathelehrerin ist und gerne ausrechnet, wann sie welche kleine Alltagsflucht mit welcher Lüge deckt. Und Jette, die Single ist, in der Videothek jobbt und mit den beiden in Kontakt gerät, als der Sohn verschwindet. Alle drei haben ihre verquickten Biografien. Aber wieso sich nicht noch einmal neu erfinden?
Die Leipziger Schriftstellerin Janna Steenfatt hat einen Roman mitten aus der Gegenwart geborgen, der scheinbar von drei einzelnen Menschen erzählt, der aber prototypisch die Frage beleuchtet, die genau in diesem Alter um die 40 immer lauter wird: vielleicht nochmal von vorn, vielleicht nochmal alles ganz anders?
Angaben zum Buch
Janna Steenfatt: "Mit den Jahren"
Verlag Nagel und Kimche, 2024
352 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3-312-01311-1
Redaktionelle Bearbeitung: cw
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 25. Juni 2024 | 08:10 Uhr