Weiterschreiben Fanfiction: Die wichtigsten Fragen und Antworten
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15. März 2024, 14:53 Uhr
Abenteuergeschichten und Liebesromane waren gestern. Immer mehr Menschen lesen und schreiben heute Fanfiction. Gemeint sind in der Regel Orte im Internet, wo Fans die Kontrolle über ihre Lieblingsgeschichten übernehmen, ob zu Star Trek, Harry Potter oder Sherlock Holmes. Sie schreiben die Geschichten weiter oder entwickeln alternative Versionen. Doch wo liegen die Ursprünge und Grenzen? Wir klären die wichtigsten Fragen zu Fanfiction, die seit mehr als 60 Jahren immer mehr Anhänger findet.
Inhalt des Artikels:
- Was ist Fanfiction?
- Wo findet man Fanfiction?
- Was macht das Internet mit Fanfiction?
- Was wird in Fanfiction erzählt?
- Wo liegen die Anfänge der Fanfiction?
- Ist Fanfiction überhaupt legal?
- Hat Fanfiction Einfluss auf die ursprünglichen Werke?
- Was können schreibende Fans von Fanfiction lernen?
- Wie ist das Verhältnis zwischen Fanfiction und Profiction?
Was ist Fanfiction?
Kurz gesagt: fiktive Werke, mit denen Fans ihre Lieblingsgeschichte weiter- oder neuerzählen. Die Literaturwissenschaftlerin Maria Fleischhack erklärt, dass sich Fanfiction immer auf etwas bezieht, was schon da ist. Das können Bücher sein, aber auch Filme, Videospiele oder Serien. "Und man nimmt dann Elemente, die sehr eindeutig diesem Werk zuzuordnen sind und schreibt die um", so Fleischhack. Das können konkrete Figuren wie Edward und Bella aus "Twilight" sein, ein bestimmter Ort wie Hogwarts, die Zaubereischule in "Harry Potter", oder ein Motiv wie die Macht in "Star Wars".
Außerdem gehört für Maria Fleischhack auch dazu, "dass eine emotionale Komponente mit dabei ist." Fanfiction wird ihrer Meinung nach aus einem starken Gefühl heraus geschrieben, entweder weil man noch mehr Geschichten aus dieser Welt will oder mit einer Entscheidung der Urheber*innen nicht zufrieden ist. Zentral ist auch, dass mit Fanfiction in der Regel kein finanzielles Interesse verbunden ist – man schreibt nicht für Geld, sondern für eine Fan-Gemeinschaft.
Fleischhack betont, dass es bei Fanfiction nicht um Länge oder große Erzählbögen geht. Zwar gibt es auch sehr komplexe Erzählungen, die klassischen Strukturregeln folgen. Doch manchmal sind es auch einzelne Szenen über eine Begegnung von beliebten Figuren. Selbst ein kurzer Dialog oder ein entsprechendes Meme in den sozialen Medien kann schon Fanfiction sein – sofern es dabei um literarische Fabulierlust und die emotionale Reaktion geht.
In diesem Sinne gibt es auch bei Fantreffen wie auf der Leipziger Buchmesse viel kreative Auseinandersetzung, wenn sich Cosplayer wie ihre Lieblingsfiguren verkleiden, aber das Kostüm beispielsweise in eine andere Zeit versetzen. Bei den Cosplay-Wettbewerben werden auch kleine Szenen nachgespielt, die ebenfalls als Fanfiction betrachtet werden können.
Wo findet man Fanfiction?
Am Anfang wurden noch Skripte auf Papier bei Fan-Treffen oder via Post ausgetauscht, doch inzwischen findet Fanfiction vor allem im Internet statt. In sozialen Netzwerken wie Instagram werden Bilder von Cosplays oder eigenen Zeichnungen geteilt, auf X (ehemals Twitter) gibt es kleine Dialogfetzen und auch auf der Plattform Reddit gibt es Fanfiction.
Das wirkliche Zuhause der Fanfiction sind jedoch eigene Foren beziehungsweise speziell angelegte Plattformen: fanfiction.net oder archiveofourown.org gehören laut der Literaturwissenschaftlerin Maria Fleischhack zu den wichtigsten. "Inzwischen sind Millionen von Werken einfach im Internet veröffentlicht, kostenfrei. Das heißt jeder und jede kann sich einfach aussuchen, was man gerne liest oder halt auch dazu beitragen", freut sich Fleischhack. Dabei bieten diese Foren auch viele Möglichkeiten zur Orientierung: Interessierte können ihre Lieblingswerke wählen, einzelne Figuren oder "Pairings" aussuchen oder nach Inhalten wie Vampire, Horror oder Liebesgeschichten filtern.
Was macht das Internet mit Fanfiction?
Fanfiction passiert nie in einem "luftleeren Raum", wie die Fanfiction-Expertin Maria Fleischhack erklärt. Es ist "kommunikativ". Das war von Anfang an so: Fans haben für Fans geschrieben. Das Internet hat das potenziert. Denn plötzlich erreichen diese Geschichten auch Menschen, die man vielleicht nicht kennt, "am anderen Ende der Welt, die dieselben Interessen haben, die vielleicht dieselben Probleme hatten und das verarbeiten wollten", so Fleischhack. Auf diese Weise ist die Fanfiction-Szene gewachsen und selbstbewusster geworden. Während vor wenigen Jahren noch das abschreckende Klischee herrschte, dass Mädchen sich so in Liebesfantasien verlieren, geben heute viele zu, dass sie selbstverständlich Fanfiction lesen und schreiben.
Auch der Austausch ist stärker geworden. Menschen, die Fanfiction schreiben, wünschen sich häufig Rückmeldungen zum Schreibstil oder zu Ideen. Das Internet ermöglicht eine Community, die sich unterstützt und somit auch die Qualität von Fanfiction verbessert. Dabei greifen auch Internet-Dynamiken, wie Memes – also Motive, die permanent erwähnt und weiterentwickelt werden. Maria Fleischhack, die sehr aktiv im Sherlock-Holmes-Fandom unterwegs ist, erzählt, dass in Fanfictions zum Meisterdetektiv gerne Erdbeermarmelade auftaucht und dass der Gehilfe Doktor Watson oft rote Unterhosen trägt, einfach, weil bestimmte Fanfictions dies einmal erwähnten und das Fandom diese Aspekte adoptierte.
Außerdem gibt es auch Challenges, bei denen man beispielsweise bestimmte Wortzahlen einhalten muss. Oft hat das auch etwas von einem Geschenkeaustausch, bei denen sich die Fans voneinander Geschichten mit bestimmten Motiven wünschen und dafür Geschichten nach eigenen Vorstellungen geschrieben bekommen.
Was wird in Fanfiction erzählt?
Grundsätzlich kann in Fanfiction alles erzählt werden. Da begegnen sich Figuren aus ganz unterschiedlichen Erzähluniversen, da verlieben sich Charaktere oder eine Figur muss eine persönliche Krise überwinden. Eine Besonderheit ist die sogenannte "Fix-it-Fiction". Gerade bei Serien sind Fans nicht mit jeder Entscheidung zufrieden und schreiben dann Texte, wie sie es besser gefunden hätten. Beispiel dafür wäre das Team Jacob bei "Twilight": Wie wäre es, wenn die weibliche Hauptfigur in dieser Dreiecksliebesgeschichte nicht mit dem Vampir Edward, sondern dem Werwolf Jacob zusammengekommen wäre?
Beziehung, Liebe und Sex sind in der Fanfiction besonders wichtig. Bei den Internet-Plattformen können Geschichten auch nach "Pairings", also Beziehungskombinationen sortiert werden, und man fordert sich gerne damit heraus, absurde Charaktere zu "shippen", also schreibend zu verkuppeln. Dabei spielen nicht selten queere Motive eine Rolle, wenn beispielsweise zwei klar heterosexuell dargestellte und maskuline Figuren sich verlieben.
Für die Forscherin Maria Fleischhack stecke da auch Empowerment dahinter, eine Sexpositivität, ohne Frauen herabzusetzen und letztlich auch um mehr sexuelle Selbstbestimmung. Nicht selten geht es um Außenseiter-Figuren und marginalisierte Gruppen. "Die Themen sind natürlich Sachen wie Mobbing, Einsamkeit, Erwachsenwerden", meint Fleischhack. Darum gibt es so viele Fan-Geschichten zu "Harry Potter", weil dort genau diese Themen verhandelt werden.
Wo liegen die Anfänge der Fanfiction?
Hier gibt es unterschiedliche Sichtweisen: Man könnte die Ursprünge der Fanfiction bis an den Beginn der Literatur zurückverfolgen. Immerhin wurde die "Ilias" oder die "Odyssee" von Homer immer wieder erzählt oder in Theaterstücken verarbeitet (die "Orestien" von Aischylos oder Euripides sind eine Art Fortsetzung des Trojanischen Krieges). Im 19. Jahrhundert hatten sogenannte Pastiches eine Hochzeit, also Texte im Stil erfolgreicher Publikationen. Und nachdem Arthur Conan Doyle keine Fälle mit Sherlock Holmes schreiben wollte, gab es bald andere Autoren, die sich neue Geschichten einfallen ließen.
Für Literaturwissenschaftlerin Maria Fleischhack jedoch ist das noch keine Fanfiction – weil die Autorinnen und Autoren nicht diese emotionale Verbundenheit mit dem Originalwerk hatten und es teilweise doch um finanzielle Interessen ging. Sie sieht den Anfang in den späten 60er- und frühen 70er-Jahren in der "Star Trek"-Fan-Community. Damals wurden die Geschichten noch auf Schreibmaschinen geschrieben und bei Fantreffen ausgetauscht.
Dass die Fanfiction ausgerechnet dort anfing, hat verschiedene Gründe. Zum einen gab es in den 60er-Jahren eine Welle der Demokratisierung, sodass Menschen sich in neue Bereiche gewagt haben. Schließlich bot "Star Trek" selbst viele Anknüpfungspunkte. Die Fanficton-Expertin Fleischhack erklärt, dass die Serie "Star Trek" für ihre Zeit sehr "liberal" war. Das beste Beispiel: Zum ersten Mal in der Fernsehgeschichte hat dort eine Schwarze Frau einen weißen Mann geküsst. Darum wollten sich Menschen in eine Welt ohne Rassismus oder Sexismus träumen.
Es bietet laut Maria Fleischhack "Lücken", die leicht "verführbar" sind – der Weltraum der "Vereinigten Föderation der Planeten" ist so groß, dass sich leicht weitere Geschichten einfügen lassen. Hinzu kommt die serielle Struktur: Wenn die Enterprise-Crew in 50 Folgen einzelne Planeten erkundet, dann lassen sich leicht 20 weitere erfinden.
Ist Fanfiction überhaupt legal?
Das ist nicht leicht zu beantworten. Da Urheberrecht unter das Zivilrecht fällt, gilt erstmal: Wo keiner klagt, urteilt auch niemand. Wenn jemand klagt, ist die Lage auch nicht eindeutig. Denn die Höhe des Streitwerts bleibt unklar, weil Fanfiction ja ohne finanzielles Interesse geschrieben wird. Oft wird Fanfiction daher geduldet.
Hat Fanfiction Einfluss auf die ursprünglichen Werke?
Durch das Internet werden Fans zunehmend gehört – allerdings nicht immer erhört. Das vermutlich prominenteste Negativbeispiel ist wohl Joanne K. Rowling. Die Autorin der "Harry Potter"-Reihe entscheidet sehr selektiv, welche Deutungsansätze sie unterstützt und welche nicht. Ihre Ablehnung von trans Figuren hat zu einer tiefen Kluft zu ihren Fans geführt.
Sherlock-Fan und -Forscherin Maria Fleischhack verweist auf die Serien-Produktion "Sherlock" der BBC. Die erste Staffel endete 2010 mit einem Cliffhanger. Fans überbrückten die anderthalb Jahre Wartezeit mit eigenen Ideen und Geschichten. Die Serie selbst löste den Cliffhanger vermutlich wegen dieser vielen Theorien ganz unspektakulär auf. Dass das Team hinter der Serie sich mit Fanfiction beschäftigt, wird schließlich in Staffel drei deutlich, wo ein Charakter sich selbst in solchen Fantheorien und Geschichten über Sherlocks Tod verliert.
Was können schreibende Fans von Fanfiction lernen?
Fanfiction kann einen Zugang zum Schreiben ermöglichen, davon ist die Literaturwissenschaftlerin Maria Fleischhack überzeugt. Statt von Null plötzlich Welten und Figuren zu entwickeln, können die angehenden Autor*innen auf Bestehendes zurückgreifen. "In amerikanischen Schulen zum Beispiel ist es auch wirklich Teil des Unterrichts, einen Roman zu Ende zu schreiben oder einen Roman aus der Sicht einer anderen Person zu schreiben, einfach um zu üben", so Fleischhack. Dabei gibt es viel Feedback von anderen Fans. In neueren Büchern erkennt die Literatur-Expertin inzwischen regelmäßig einen Fanfiction-Stil. Prominentestes Beispiel ist wohl die Buch-Reihe "Fifty Shades of Grey" von E. L. James, die aus einer Fanfiction zu "Twilight" hervorgegangen ist.
Wie ist das Verhältnis zwischen Fanfiction und Profiction?
Die Trennung zwischen laienhafter Fanfiction und bezahlter Profiction wird fließender. Immer häufiger berichten erfolgreiche Autor*innen, dass sie selbst Fanfiction schreiben. Fan und Forscherin Maria Fleischhack empfiehlt beispielsweise die Sherlock-Geschichte "A Study in Emerald" des gefeierten Schriftstellers Neil Gaiman. Auch hinter dem Franchise "Star Wars" haben die Macher beispielsweise die Möglichkeiten von Fanfiction erkannt: Sie haben die Geschichten gesehen, die sich Fans ausgedacht haben und diese in die Erzählwelt eingefügt. An Filmen wie "Rogue One. A Star Wars Story" oder der Science-Fiction-Serie "Doctor Who" arbeiten selbsterklärte Fans mit.
Über Maria Fleischhack
Maria Fleischhack studierte an der Universität Leipzig Anglistik und Ägyptologie. Sie erwarb ihren Doktortitel mit einer Arbeit über die Darstellung des Ägyptischen in der Viktorianischen und Edwardianischen Phantastischen Literatur. Seit 2011 lehrt sie auch am Lehrstuhl für Englische Literaturwissenschaft an der Uni Leipzig. In ihrer Forschung und in Seminaren beschäftigt sie sich regelmäßig mit Fanfiction und der Frage, was Autorschaft im Internetzeitalter bedeutet. Sie ist außerdem Teil des Podcasts "The Bakerstreet Babes", wo sie ihre Liebe zu Sherlock Holmes in all seinen Varianten auslebt.
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | 03. Februar 2024 | 19:00 Uhr