Kunst im öffentlichen Raum Leipzig: Kostenlos Kunst entdecken – 10 Tipps für Graffiti, Skulpturen und Denkmäler
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08. Oktober 2024, 15:55 Uhr
Leipzig ist eine Stadt voller Kunst. Das zeigt sich auch jenseits von Museen und Galerien – öffentlich, in Form von bunten Graffiti oder auch Skulpturen und Denkmälern. Beim Bummel durch die Stadt können Sie kostenlos Kunst bestaunen, unter anderem von Größen wie Wolfgang Mattheuer, Michael Fischer-Art, David Schnell oder Blek le Rat. Wir stellen eine Auswahl von zehn bemerkenswerten Kunstwerken vor, die Sie gesehen haben sollten, und verraten, wo sie zu finden sind.
Inhalt des Artikels:
- Denkmal für zerstörte Synagoge in der Gottsched-Straße
- Historische Leuchtreklame "Löffelfamilie" an der Feinkost
- Wolfgang Mattheuers Skulptur "Der Jahrhundertschritt" in der Innenstadt
- Michael Fischer-Arts Wandbild über die Montagsdemonstrationen
- Nikolaisäule und Lichtinstallation "Public Light" in der Innenstadt
- Graffiti zur Friedlichen Revolution in Leipzig-Gohlis
- Denkmalgeschütztes Graffito in der Südvorstadt
- "Friedensfenster" von David Schnell in der Thomaskirche
- Figurenreliefs in der Leipziger Messehofpassage
- Wandbild für Comic-Künstler Ralph Niese im Leipziger Westen
Denkmal für zerstörte Synagoge in der Gottsched-Straße
Erst Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in Leipzig eine richtige Synagoge gebaut, die sich durch ihren Trapez-Grundriss und ihre reiche Gestaltung auszeichnete. Wie so viele jüdische Orte in Deutschland wurde auch dieses Gotteshaus in der Nacht vom 9. zum 10. Oktober 1938 infolge der nationalsozialistischen Propaganda in Brand gesteckt und zerstört. 1994 beschloss der Leipziger Stadtrat, ein Mahnmal zu errichten. Nach einem schwierigen Bewerbungsverfahren setzte sich der Entwurf der Leipziger Anna Dilengite und Sebastian Helm durch, der 2001 im Beisein des damaligen israelischen Botschafters eingeweiht wurde.
Es ist ein flaches Plateau. Die niedrigen Mauern zeichnen den Grundriss der damaligen Synagoge nach. Darauf stehen 140 fest installierte Stühle aus Metall. Es zeigt die Leerstelle, die die Shoa in die Stadt gerissen hat. In der Gottsched-Straße können sich Menschen auf die Stühle setzen und der Erinnerung an die verfolgten Menschen nachspüren. In das Denkmal integriert ist auch ein Gedenkstein, den Hans-Joachim Förster 1966 auf den Platz gesetzt hat, und der eine Spur der Erinnerungskultur nachzeichnet. Zum heutigen Denkmal gehört auch eine Tafel in deutscher, englischer und hebräischer Schrift sowie ein Tastmodell, auf dem Menschen mit Sehbehinderung die Form der Synagoge nachempfinden können.
Wo?
Innenstadt von Leipzig
Gottsched-Straße, Ecke Zentralstraße
Historische Leuchtreklame "Löffelfamilie" an der Feinkost
Diese Familie ist Kult in Leipzig: die Löffelfamilie. Am Beginn der Flaniermeile Karl-Liebknecht-Straße wurde Mitte des 19. Jahrhunderts eine Brauerei gegründet, die 1921 zu einer Konserven-Fabrik umgebaut wurde. In den Folgejahren wurden hier auch Theaterräume angesiedelt und die spätere kulturelle Ausrichtung der sogenannten Feinkost eingeläutet. In der NS-Zeit wurden auf dem Gelände Zwangsarbeiter*innen untergebracht und 1945 brannte das Gelände beinahe komplett aus. Bereits in den 50er-Jahren wurde das Gelände wieder für die Produktion von Konserven genutzt: Gemüse-, Obst- und Fleischkonserven, Spirituosen, Obstpulpe, Marmeladen und Essig. Es war der Sitz des VEB Feinkost.
1973 wurde am Firmensitz die Reklame angebracht, die heute als Löffelfamilie bekannt ist: Vier Menschen sitzen im Halbkreis an einem Tisch vor ihren Suppentellern und schieben sich ihre Löffel in den Mund. Die Figuren sind nur schlicht bemalt, doch der Clou ist die Beleuchtung. Denn nicht nur die Umrisse der Figuren wurden mit Leuchtrohren nachgezeichnet, sondern auch der Löffel-Arm in der Suppe – wenn die Beleuchtung des Arms wechselnd leuchtet, kann man das Löffeln sehen. Die Leuchtreklame wurde 1993 zum Kulturdenkmal erklärt. Inzwischen wird sie von einem Verein betreut, der sie immer für 90 Minuten nach Einbruch der Dunkelheit leuchten lässt. Oder auf Wunsch bei Anruf.
Wo?
Karl-Liebknecht-Straße 36
04107 Leipzig
Wolfgang Mattheuers Skulptur "Der Jahrhundertschritt" in der Innenstadt
Die Leipziger Schule ist ein bedeutendes Label der jüngeren Kunstgeschichte in Deutschland. Während in der BRD vermehrt die Abstraktion erforscht wurde, wurde in der DDR der Sozialistische Realismus und damit die gegenständliche Kunst gefordert. Die wurde unter anderem an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst zu einer neuen Perfektion geführt, die auch unter westdeutschen Sammlern ihre Anhänger hatte. Einer der wichtigsten Vertreter der Leipziger Schule war Wolfgang Mattheuer.
Das Motiv des "Jahrhundertschritts" taucht schon früh in seinem Werk auf: eine gedrungene Gestalt, die einen ausladenden Schritt nach vorn macht. 1984 fand die Figur ihren festen Ausdruck in einer Plastik. Die Gestalt hebt den rechten Arm zum Hitlergruß, während der linke Arm als Faust nach oben gereckt ist und an den Kampf der Kommunisten erinnert. Der Kopf ist fast in den aufgerissenen Brustkorb eingezogen. Das linke Bein scheint im Armee-Stiefel festzustecken, während das rechte weit ausschreitet. Die Bronze ist ein Symbol für die zerrissene Menschheit, die zwischen Ideologien zerrissen versucht, vorwärtszukommen.
Wo?
Grimmaische Straße 6
04109 Leipzig
Michael Fischer-Arts Wandbild über die Montagsdemonstrationen
Wer sich durch Leipzig bewegt, kommt an Michael Fischer-Art kaum vorbei. Denn der Künstler hat gleich mehrere Fassaden in seinem unverkennbaren Stil gestaltet. Dieser erinnert stark an frühe Comics und Cartoons, ist geprägt von knalligen Farben und simplen Figuren mit großen Augen. 2009, pünktlich zum 20. Jahrestag der Friedlichen Revolution, gestaltete Michael Fischer-Art eine Fassade der Brühlakaden. Das Wandgemälde zeigt die Montagsdemonstrationen. Zahllose kunterbunte Figuren stehen dicht gedrängt zusammen und halten Schilder mit bekannten Schlagworten hoch: "Die Mauer muss weg", "Wir sind das Volk" oder "Neues Forum". Dazwischen sind Leipziger Wahrzeichen wie das alte Messehochhaus oder der Uniriese zu erkennen.
Doch das Wandbild ist nicht mehr lange zu sehen: Ein Investor hat den Gebäudekomplex beziehungsweise das Gelände gekauft und will nun neu bauen. Eigentlich hatte er sich verpflichtet, das Kunstwerk zu erhalten, doch die Baupläne sehen nun anders aus. Nach viel Streit und Widerspruch anderer Kunstschaffender wurde Michael Fischer-Art im September 2024 gestattet, sein Bild abzutragen. Die einzelnen Teile werden nun versteigert und der Erlös gespendet. Wer aber mit offenen Augen durch Leipzig geht, wird viele weitere Werke von Michael Fischer-Art entdecken.
Wo?
Zwischen Richard-Wagner-Straße 9 und Brühl 33
04109 Leipzig
Nikolaisäule und Lichtinstallation "Public Light" in der Innenstadt
Der Nikolaihof ist ein wichtiger Ort für die Friedliche Revolution: Vor allem die Friedensgebete in der Nikolaikirche waren die Keimzelle der Montagsdemonstrationen, die immer weiter anwuchsen und den Unrechtsstaat DDR schließlich in die Knie zwangen. Darum ist der Nikolaihof heute auch ein wichtiger Gedenkort für dieses historische Ereignis.
Zwischen der Alten Nikolaischule und der spätgotischen Nikolaikirche erhebt sich eine weiße Säule. Die Nikolaisäule ist inspiriert von der weißen Innenausstattung der Kirche und erinnert daran, wie sich die Menschen aus der Kirche an die Öffentlichkeit wagten. Die Palmenwedel auf der Säule sind ein Friedenssymbol und sollen an die friedlichen Ziele des Umsturzes erinnern.
Entworfen wurde das Denkmal in den 90er-Jahren von Andreas Stötzner, ausgeführt wurde es 1999 vom Bildhauer Markus Gläser. Er ließ später auch eine Metalltafel in den Boden ein, auf der mehrere Fußabdrücke neben dem Schriftzug "09 Oktober 1989" an die Demonstrierenden erinnern. Ebenfalls 2014 schuf Tilo Schulz auf dem Nikolaihof die Lichtinstallation "Public Light". Die in den Boden eingelassenen Steine leuchten am Abend in verschiedenen Farben auf und symbolisieren eine friedliche Zusammenkunft.
Wo?
Nikolaikirchhof
04109 Leipzig
Graffiti zur Friedlichen Revolution in Leipzig-Gohlis
2014, zum 25. Jahrestag der Friedlichen Revolution in Leipzig, schuf der Leipziger Graffiti-Verein in Zusammenarbeit mit dem Bundesbeauftragten für Stasi-Unterlagen und der Sächsischen Bildungsagentur ein großes Wandbild in Leipzig-Gohlis, das an das historische Ereignis erinnern soll.
Mehrere Figuren, die aus einem Schwarz-Weiß-Foto zu stammen scheinen, befinden sich auf einem runden Rasenstück. Drei von ihnen arbeiten akribisch an einem Stück Wand, das aber bereits abzublättern droht und scheinbar schon ein Bild enthält. Rund um diese Szene rollen sich auf einem Untergrund aus Seifenblasen mehrere Bilder auf, die beispielsweise den Graffiti-Schriftzug "Freiheit" zeigen oder ein Urlaubsfoto. Der Titel "Untold Stories" im Bild deutet daraufhin, dass die Geschichten der sogenannten Wende vielfältig sind.
Wo?
Georg-Schumann-Straße 25
04155 Leipzig
Denkmalgeschütztes Graffito in der Südvorstadt
Dass Street-Art es oft nicht leicht hat, beweist auch die "Madonna mit Kind" von Blek le Rat. Geboren wurde der Künstler als Xavier Prou südwestlich von Paris und studierte Grafik und Architektur in der französischen Hauptstadt. Heute gilt er als einer der Pioniere der Street Art und als Urvater der Stencil-Kunst, also das Sprayen mit Schablone, für die auch der berühmte Banksy bekannt ist. Er begann zunächst mit kleinformatigen Motiven wie Ratten. Doch später brachte er auch immer wieder religiöse Motive an die Wände.
1991 hielt sich der Künstler für ein Graffiti-Festival in Leipzig auf, wo er auch seine spätere Frau kennenlernte. Ihr widmete er seine "Madonna mit Kind", für die er sich von Caravaggios "Madonna der Pilgerer" inspirieren ließ. Das Werk schien den Weg aller Straßenkunst zu gehen und verschwand. Doch eine Leipzigerin entdeckte das Werk 2012 wieder, als die Wand für eine Sanierung von Plakaten gereinigt wurde.
Der Künstler kehrte nach Leipzig zurück und erneuerte seine Arbeit. Es sei seine älteste erhaltene, wie er selbst meint. Inzwischen steht das Wandbild unter Denkmal-Schutz – als eine der wenigen Graffiti-Arbeiten in ganz Deutschland. Somit ist es auch ein Sinnbild dafür, wie schmal der Grat zwischen Schmiererei und Kunst sein kann.
Wo?
Karl-Liebknecht-Straße 7
04107 Leipzig
"Friedensfenster" von David Schnell in der Thomaskirche
Bereits 1998 entstanden Pläne für ein neues Fenster an der Südseite der Leipziger Thomaskirche. Als die Finanzierung dafür im Jahr 2006 gesichert war, konnte sich David Schnell mit seinem Entwurf durchsetzen. Der Künstler wurde 1971 in der Nähe von Köln geboren und studierte an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst unter anderem bei Arno Rink. Sein "Friedensfenster" steht in einer Reihe mit Personalfenstern, die beispielsweise den Reformator Martin Luther oder den Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy zeigen und die dort bei einer umfassenden Umgestaltung der Kirche im 19. Jahrhundert eingesetzt wurden. Doch sollte sich das neue Fenster bewusst von dem neugotischen Stil absetzen.
Das "Friedensfenster" bildet einen Gegenpol zum Kriegsgedächtnisfenster, das an die Soldaten des Ersten Weltkriegs erinnerte. David Schnell beschäftigt sich in seiner Kunst mit der friedlichen Demonstration als eine Art Gegenpol zur Gewalt. In den 80er-Jahren wurden Kirchen in der DDR zu wichtigen Orten des gesellschaftlichen Austauschs und aus den immer politischer werdenden Friedensgebeten entwickelten sich Ende der Achtziger die Montagsdemonstrationen.
Das Fenster von David Schnell versucht, das widerzuspiegeln: Es besteht aus kleinen länglichen Flächen, die vor allem in Rot und Grün gehalten sind. Was auf den ersten Blick wie abstrakte Farbspielereien wirkt, mutet dann an als hätte sich ein Gebäude aufgelöst und würde sich nun mit der Natur verbinden. Darum ging es dem Künstler: Die Menschen blieben nicht im Kirchenhaus, sondern gingen nach draußen. Auch die Dynamik des Glasbildes ist wichtig: Für Schnell ist Frieden ein aktiver Prozess, der gestaltet werden muss.
Wo?
Thomaskirche
Thomaskirchhof 18
04109 Leipzig
Öffnungszeiten:
täglich: 10 bis 18 Uhr
Figurenreliefs in der Leipziger Messehofpassage
Die Leipziger Innenstadt ist geprägt von hohen Fassaden und allerlei Durchgängen, sogenannten Passagen. Sie verbinden die verschiedenen Gebäude und bieten zahlreichen Geschäften Platz. Eine dieser Passagen befindet sich im Messehof: Bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Pläne ausgearbeitet, die Leipziger Mustermesse wiederzubeleben. Sie war immerhin die erste ihrer Art und deswegen bleibt das berühmte Doppel-M bis heute das Emblem der Leipziger Messe. Zwischen der Petersstraße und dem Neumarkt wurde daher neuer Baugrund erschlossen und bis 1950 ein siebengeschossiges Messehaus mit schlichter Fassade geschaffen.
An der Petersstraße wird der Eingangsbereich von einer Reliefsäule gestützt. Mit feinen Vertiefungen, in schlichtem, fast schon schematischem Stil sind darauf vier Personen in voller Statur abgebildet. Gezeigt werden vier arbeitende Menschen: Ein Bergarbeiter, eine Spinnerin, ein Bauer und ein Intellektueller (also ein Mensch, der mit seinem Verstand arbeitet). Das Relief passt zum Sozialistischen Realismus, der die Lebensumstände der arbeitenden Bevölkerung widerspiegeln sollte und vom DDR-Staat gefördert und gefordert wurde. Geschaffen wurde das Relief von Alfred Thiele, der sich zuvor schon in der Kunstkammer der Nazis integriert hatte.
Wo?
Petersstraße 15
04109 Leipzig
Wandbild für Comic-Künstler Ralph Niese im Leipziger Westen
Unter Comic-Fans war er auf der ganzen Welt angesehen: Ralph Niese. Von anderen Comic-Artists wie Schwarwel wurde er für seine freundliche Art und für seinen überbordenden Stil geschätzt. Niese war geprägt von Underground-Comics. Seine Panels waren immer abgerundet und die Schrift in den Sprechblasen war immer etwas übertrieben. Auch seine Figuren waren bunt und irgendwie laut. 2020 starb er im Alter von nur 37 Jahren in seiner Geburtsstadt Leipzig.
Seit 2022 erinnert ein großes Wandbild im Leipziger Westen an den Comic-Künstler. 24 Leipziger Künstlerinnen und Künstler haben an dem riesigen Gemälde gearbeitet, das zahlreiche von Nieses Figuren unter einem pink-roten Himmel versammelt. Da steht eine struppige, düster-dreinschauende Gestalt ganz in schwarz. Von oben schaut ein Kopf in einem futuristischen Helm und darunter ist ein zorniges Gesicht zu sehen, dessen Kopfbedeckung an die albernen Zeiten von Marvel-Comics erinnert. Weiter unten staksen ein Mann mit einem weißen Zaubererhut und eine Frau mit einem dunklen Hexenhut durch ein Flüsschen. Es ist ein Denkmal für die wilde Fabulierlust und die Comic-Stadt Leipzig.
Wo?
Angerstraße 55
04177 Leipzig
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 04. September 2024 | 14:30 Uhr