Gemälde eines Empfangs: Zahlreiche Menschen in Abendgaderobe stehen in einem Raum. Öl auf Leinwand
Die Chemnitzer Ausstellung "European Realities" gibt faszinierende Einblicke in Europas Kunst der 1920er-Jahre, darunter dieses Werk von Milada Marešová. Bildrechte: VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Museum Gunzenhauser "European Realities" in Chemnitz: Elf Highlights der großen Ausstellung

27. April 2025, 04:00 Uhr

Ein Highlight im Kulturhauptstadtjahr 2025 ist in Chemnitz die große Ausstellung "European Realities" im Museum Gunzenhauser. Sie knüpft an die wegweisende Schau "Neue Sachlichkeit" von 1926 an und zeigt mit rund 300 Werken aus 20 Ländern, wie dieser Stil ganz Europa beeinflusste. Wir stellen elf herausragende Exponate vor – von Klassikern wie Otto Dix bis hin zu überraschenden Neuentdeckungen der 1920er- und 1930er-Jahre.

"Mädchen am Sonntag" von Otto Dix

In der Chemnitzer Ausstellung mit dem Titel "Neue Sachlichkeit" nahm Otto Dix 1926 eine besondere Stellung ein, aus dem schlichten Grund, dass er in Sachsen besonders präsent war. Noch heute beherbergen die Chemnitzer Kunstsammlungen einen Großteil des Werks des Künstlers. Geprägt wurde Otto Dix vor allem durch seine Zeit in den Gräben des Ersten Weltkriegs. Soldaten und der Tod ziehen durch seine Bilder. Allerdings sind seine Arbeiten nicht von Kriegsdarstellungen geprägt, vielmehr versuchte er eine Gesellschaft einzufangen, die vom Krieg gezeichnet oder vorgezeichnet ist.

Eine Frau betrachtet 2010 das Gemälde "Mädchen am Sonntag" von Otto Dix.
Die Chemnitzer Kunstsammlungen besitzen zahlreiche ikonische Bilder von Otto Dix. Bildrechte: picture alliance / ZB | Hendrik Schmidt

Das Gemälde "Mädchen am Sonntag" von 1921 ist dafür ikonisch, vermutlich wegen der innewohnenden Widersprüchlichkeit: Einerseits sehen wir ein junges Mädchen, das das ganze Leben noch vor sich hat. Die Umgebung lässt auch vermuten, dass die Ausgangslage nicht schlecht ist, und der Titel lässt vermuten, dass einige Sonntagsvergnügen anstehen. Andererseits lässt das Mädchen schwach den Kopf hängen, ihre Haut ist leichenblass. Vielmehr als das Leben scheint hier bereits der Tod zu wachsen, der sich mehr und mehr in der Gesellschaft breitmacht.

"Tanz in Baden-Baden" von Max Beckmann

Der Ursprung der Stilrichtung Neue Sachlichkeit liegt in der Ausstellung gleichen Titels in Mannheim. Dort stand der Künstler Max Beckmann mit 14 Werken im Fokus, und noch heute gilt er als einer der wichtigsten Vertreter der Neuen Sachlichkeit. Beckmann war Mitglied der Berliner Secession und lehnte abstrakte Tendenzen in der Malerei vehement ab. Er weigerte sich, im Ersten Weltkrieg zu kämpfen und diente an der Ostfront daher als Sanitäter. Die Erlebnisse und ein Zusammenbruch wurden zur Zäsur im Werk des Malers. Sein Anspruch war es, die Realität genau zu zeigen und dabei das herauszuarbeiten, was darunter liegt. Mit diesem Anspruch wurde er auch zu einem wichtigen Beobachter der Weimarer Republik und der Goldenen Zwanziger in Deutschland.

Gemälde: Zwei Männer in Frack tanzen eng mit jeweils einer Frau in Abendkleid.
Max Beckmann war einer der Protagonisten der ersten Ausstellung unter dem Titel "Neue Sachlichkeit". Bildrechte: Pinakothek München

Vieles, was den Künstler Max Beckmann auszeichnet, wird auch in der Arbeit "Tanz in Baden-Baden" von 1923 deutlich: Wir sehen eine Tanzveranstaltung, eine festliche Gesellschaft, deren Kleidung auf mondäne Kreise verweist. Im Bildzentrum stehen zwei Paare, die eng tanzen – Beckmann hatte viel für Sinnlichkeit übrig. Die Szenerie spiegelt die ausgelassene Stimmung der Zwanziger wider. Die Haltung und Blicke der Frauen jedoch entlarven die Party als den sprichwörtlichen Tanz auf dem Vulkan: Sie sind angespannt, ihre Gesichter voller Leid – als würden sie das nahende Unheil schon spüren.

Cata Dujšin-Ribar: Selbstporträt mit rotem Schal (1930, Öl auf Leinwand) 24 min
Die Schau "European Realities" im Museum Gunzenhauser ist eine der Höhepunkte des Kulturhauptstadt-Jahres in Chemnitz. Im Gespräch hören Sie Museumsleiterin Anja Richter und MDR KULTUR-Kunstredakteur Andreas Höll. Bildrechte: Museum Gunzenhauser / Museum of Fine Arts, Split, Croatia / Robert Matić

"Grauer Tag" von George Grosz

George Grosz gilt als einer der radikalsten Vertreter der Neuen Sachlichkeit beziehungsweise der veristischen Malerei. Er wollte also mit seinen Werken die ungeschönte Realität malen. Und er klagte viel an: Ungerechtigkeit in der Gesellschaft und einen Kunstbegriff, der dem Markt unterworfen war.

Gemälde mit überzeichneten Gestalten: Ein Mann mit Hut und Aktentasche, dahinter eine gebeugter Soldat mit Stock.
Der Maler, Grafiker und Karikaturist George Grosz ist in der Chemnitzer Ausstellung "European Realities" vertreten. Bildrechte: IMAGO/Zoonar

Das Gemälde "Grauer Tag" oder auch "Magistratsbeamter für Kriegsbeschädigtenfürsorge" markiert einen Übergang in Grosz’ Werk, eben hin zu seiner Malerei der Wahrhaftigkeit. Im Hintergrund ist beispielswese noch ein Arbeiter zu sehen, der eher aus Kreisen und Rechtecken besteht: Die Menschen wirken wie Maschinen im Getriebe. Die beiden Gestalten im Vordergrund jedoch bestechen mit klaren Gesichtszügen: der erbarmungslose Beamte und der leidende Kriegsversehrte. In dem Bild steckt kaum Aufbruch oder Wunsch nach Veränderung – Grosz zeigt eine Gesellschaft, in der alle ihren Rollen entsprechen, anstatt die Zwänge zu überwinden.

"Selbstporträt mit Mutter" von Giorgio de Chirico

Nur wenige Maler hatten einen so großen Einfluss auf Zeitgenossen und die folgende Generation wie Giorgio de Chirico. In jungen Jahren war er beispielsweise von den Traumbildern Max Klingers fasziniert und beschäftigte sich mit dem Philosophen Arthur Schopenhauer. Er entwickelte eine Bildsprache, die viel Architektur zeigte und die mit Symbolen spielte – hinter dem eigentlichen Bild verbirgt sich eine andere Bedeutung. Heute gilt er als Begründer der Pittura metafisica. Dieser Stil übte viel Einfluss auf die Künstler der Neuen Sachlichkeit, des Magischen Realismus oder auch des Surrealismus aus. Später kam es allerdings zum Bruch und de Chirico lehnte die Kunstströmung komplett ab. Er selbst begann, Bilder zu malen, die ganz dem Ideal der italienischen Akademie, etwa der Renaissance, entsprachen.

Gemälde: Eine Frau mit hochgebunden Haaren und blauer Spitzenbluse, dahinter ein Mann mit dunklen, locker gescheitelten Haaren im Anzug.
Giogio de Chirico ist einer der Begründer der Metaphysischen Malerei. Bildrechte: VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Die Begeisterung für die klassische Malerei schlägt sich auch in seinem "Selbstporträt mit Mutter" nieder: Im Hintergrund ist eine klassizistische Säule zu sehen, an den Bildrändern sind Ölzweige und Feigen zu erkennen. Auch die Personen selbst sind naturalistisch dargestellt. Man achte besonders auf die Nasen, die eine Verwandtschaft kaum verleugnen können. Dennoch irritiert das Bild: Warum schauen die beiden trotz einer so innigen Beziehung aneinander vorbei? Vielleicht sind sie eben nicht einfach nur Menschen, sondern Symbole, und ihre Blicke verweisen auf Vergangenheit und Zukunft.

"Selbstporträt mit Katze" von Lotte Laserstein

Sie ist eine der wichtigen Wiederentdeckungen der vergangenen Jahre: Lotte Laserstein war eine der ersten Frauen, die das Kunststudium an der Berliner Akademie abschlossen. In der Weimarer Republik machte sie sich bald einen Namen und gilt heute als Hauptvertreterin der Neuen Sachlichkeit. Ihre Karriere endete abrupt, als sie 1937 vor den Nazis nach Schweden floh. In den darauffolgenden Jahren geriet die Künstlerin zunehmend in Vergessenheit. Internationale Anerkennung fand sie erst in den 80er-Jahren, nachdem ihre Bilder in großen Ausstellungen in London gezeigt wurden.

Ihr "Selbstporträt mit Katze" ist ein Selbstbildnis im doppelten Sinn: Zum einen zeigt sich Laserstein, wie sie ist. Zum anderen deutet sie auch an, wer sie sein will: Sie zeigt sich bei der Arbeit des Malens. Selbstbewusst schaut sie die Betrachtenden an, um ihr Anrecht als Künstlerin klarzustellen. Die Katze auf ihrem Schoß kann ebenfalls als ein Symbol für Freiheitswillen und Durchsetzungsvermögen verstanden werden. Im Hintergrund geben große Fenster den Blick frei auf mehrere Dächer – Laserstein ist mondän, offen und hat alles im Blick.            

"Das neue Babel" von Fortunato Depero

Das Bild "The New Babel (Scenario plastico mobile)" von 1930 steht für zwei wichtige Anliegen in der Ausstellung "European Realities": Erstens zeigt es, wie andere Kunstrichtungen wie Futurismus oder Surrealismus mit den Realismus-Bewegungen verknüpft waren. Zweitens, und darin liegt die Verbindung zum neuen Realismus der Zwischenkriegsjahre, steht das Gemälde für die Faszination von Technik als Bildmotiv. Fortunato Depero war einer der wichtigsten Vertreter der zweiten Futurismus-Bewegung in Italien.

In mehreren Schriften erklärte Depero, was ihn als Maler antrieb. Anders als die ersten Futuristen wollte er nämlich die Realität einbeziehen. Kunst und das alltägliche Leben sollten verschmelzen, um vor allem Letzteres zu verbessern. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Depero von vielen Seiten geächtet, weil er dem italienischen Faschismus nahestand, doch später wurde er als ein wichtiger Künstler der Moderne wiederentdeckt. Übrigens ist er auch im Alltag vieler Menschen präsent: Campari Soda wird bis heute in von ihm designten Fläschchen verkauft.

Gemälde: eine abstrakte Stadtdarstellung aus Metallgerüsten, Uhren und Zahnrädern.
der italienische Künstler Fortunato Depero stellte sich eine Verbindung von Mensche und Technik vor. Bildrechte: VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Der Optimismus und die Technikbegeisterung Deperos wird auch in seinem Bild "The New Babel" deutlich. Wie so viele seiner Arbeiten lebt das Werk von klaren Linien und starken Farben. Depero präsentiert uns eine Stadt der Zukunft, die dynamisch ist und in der Mensch und Maschinen harmonisch verbunden sind.

"Achterbuurtrhapsodie" von Pyke Koch

Pieter Frans Christiaan Koch, genannt Pyke, wollte schon als Jugendlicher Maler werden. Als Autodidakt brachte er sich das Malen selbst bei und ließ sich dabei von den Werken des Surrealismus und der Neuen Sachlichkeit inspirieren, aber auch von Meistern der Renaissance. 1928 stellte er seine Bilder zum ersten Mal aus und wurde zu einem wichtigen Vertreter der neuen Realismus-Bewegung in den Niederlanden. Während in Deutschland die Neue Sachlichkeit nicht so recht mit dem aufsteigenden Faschismus zusammenpasste, schien das in den Niederlanden kein Problem zu sein. Koch trat 1934 dem Verdinaso bei, einem faschistischen Verband um Georges Edmond Eduard van Severen, der von einem rassistischen Land in den Grenzen des Reichs Karl V. träumte.

Dass Koch auch vom expressionistischen Film begeistert war, zeigt sich auch im Werk "Achterbuurtrhapsodie" (übersetzt: Slum Rhapsody) von 1929. Seine Bilder sind geprägt von einem feinen Pinselstrich, einer realistischen Darstellung und starken Farbkontrasten, die doch das Absurde hervorheben. Wir schauen auf eine Straßenszene, in eine enge Gasse. Ein Mann schiebt einen Wagen mit Teilen von Schaufensterpuppen – die auf den ersten Blick wegen der kräftigen Farben fast lebendig wirken. Das Gemälde wirkt wie eine eingefrorene Filmszene, deren Geschichte wir uns selbst vorstellen müssen.

"Selbstporträt mit rotem Schal" von Cata Dujšin-Ribar

Das Leben im Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, ab 1929 Jugoslawien, war schwer nach dem Ersten Weltkrieg. Die Hoffnungen auf Verbesserungen wurden mit dem Börsencrash und der Weltwirtschaftskrise endgültig zunichtegemacht. Hinzu kamen politische Instabilität und ethnische Konflikte, die die Region auch in den 90er-Jahren wieder einholten. Infolge dieser Entwicklung gewann ab 1929 der Soziale Realismus in der Kunst immer mehr an Bedeutung.

Kollektive wie die Grupa Zemlja in Zagreb, das künstlerische Zentrum der Zeit, wollten vor allem das Leben der Menschen auf dem Land wirklichkeitsnah zeigen, teilweise weil sie dort die nationale Identität finden oder Missstände im Sinne sozialistischer Kritik anprangern wollten. Der Soziale Realismus war jedoch nicht einheitlich. Auch wenn die Regierung versuchte, eine verbindende jugoslawische Kunst zu schaffen, wurde die Kunst innerhalb der verschiedenen Volksgruppen geschaffen und interpretiert.

Gemälde: Eine Frau in schlichter dunkler Kleidung und einem roten Halstuch lehnt sich auf einen steinernen Vorsprung.
So sah sich Cata Dujšin-Ribar und setzte sich in der männlich bestimmten jugoslawischen Kunstwelt durch. Bildrechte: Museum Gunzenhauser / Museum of Fine Arts, Split, Croatia / Robert Matić

Die Kunstszene dieser Zeit war vor allem männlich geprägt, obwohl es Frauen nun auch offenstand, etwa die Akademie in Zagreb zu besuchen. Umso bemerkenswerter ist das Selbstporträt von Cata Dujšin-Ribar. Aus gesundheitlichen Gründen schloss sie ihr Studium privat beim Maler Vladimir Becić ab. In ihrem "Selbstporträt mit rotem Schal" zeigt sie sich selbstbewusst. Interessanterweise porträtiert sie sich trotz des Pinsels in ihrer Hand nicht beim Malen, sondern wie auf einer schicken Party. Der rote Schal ist ein Blickfang und ein Zeichen für Selbstbewusstsein. Dujšin-Ribars Arbeiten wurden international ausgestellt, und so wurde sie eine wichtige Stimme eines Jugoslawiens jenseits von Zagreb.

"Reisijad" von Eduard Ole

Eduard Ole gehört zu den wichtigsten Künstlern Estlands, ein zentraler Vertreter der estnischen Moderne. Er studierte in St. Petersburg und malte zunächst kubistische Werke. Nachdem Estland 1918 unabhängig wurde, kehrte er zurück und gründete eine eigene Gruppe. Nach einem Besuch in Paris wandte er sich gänzlich von der Abstraktion ab und malte nur noch figürlich. Im Zweiten Weltkrieg floh er vor der deutschen Besatzung nach Skandinavien und lebte lange in Schweden. Erst 1990 reiste er wieder nach Estland – Ole kann also durchaus auch als Europäer verstanden werden.

Gemälde: Mehrere Menschen sitzen zusammen und schlafen.
Eduard Ole kann als europäischer Künstler verstanden werden. Bildrechte: Lithuanian National Museum of Art, Antanas Lukšėnas

Sein Bild "Reisijad" (übersetzt: Reisende) von 1929 wirkt wie mit einem Weichzeichner-Filter bearbeitet. Mehrere, ganz unterschiedliche Personen in Reisekleidung sitzen zusammen. Aneinandergelehnt schlafen sie, während sie auf die Ankunft oder Weiterreise warten. Das Bild steht für die gestiegene Mobilität der Moderne und den Aufbruchswillen der damaligen Zeit. Gleichzeitig strahlt das Gemälde eine große Ruhe aus, als wäre sich Ole bewusst, dass es nur eine kurze Phase des Luftholens ist.

"Tenisiste" von Aleksandra Beļcova

Ein wichtiges Thema in der realistischen Malerei der Zwischenkriegsjahre waren auch Körper, vor allem sportliche Körper. Auch in der Chemnitzer Ausstellung gibt es einen Fokus auf Sportdarstellungen. Ein Beispiel ist "Tenisiste" (übersetzt: Tennisspielerin) der Malerin Aleksandra Beļcova von 1927. Sie war eine der wichtigsten Künstlerinnen der lettischen und baltischen Moderne. In den 1920er-Jahren reiste sie durch viele Städte Europas und trat später der Rigaer Künstlergruppe bei. Ihre Werke wurden in zahlreichen Gruppen- und Einzelausstellungen gezeigt.

Gemälde: Eine Frau mit hellbraunem Kopftuch und blauer Jacke hält einen Tennisschläger neben sich.
Modebewusst und selbstbewusst – so wollte Aleksandra Beļcova Frauen darstellen. Bildrechte: VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Tatsächlich geht es im Bild "Tenisiste" aber nur beiläufig um Sport, denn Tennis wird hier eher als Modeerscheinung gezeigt. Die Frau trägt ganz im Trend eine Art Bandana, ein Kopftuch. Ihre Lippen sind rot geschminkt und sie präsentiert den Schläger eher als Accessoire. Oft beschäftigte sich Beļcova in ihren Bildern mit dem Gegensatz zwischen der glitzernden Mode an der Oberfläche und dem persönlichen Leid, das diese verdeckt. In diesem Bild steht jedoch eher das Selbstbewusstsein im Vordergrund: Die Frau ist nicht mehr nur Beiwerk oder wird durch den männlichen Blick als Objekt gezeigt. In diesem Bild übernimmt sie die aktive Rolle und ist auf der Höhe der Zeit.

"Wohltätigkeitsbazar" von Milada Marešová

Als eine der ersten Hochschulen ließ die Prager Kunstakademie auch Frauen zum Studium zu. Milada Marešová war damit eine der ersten Künstlerinnen in Tschechien, die auch Zugang zum Ausstellungsbetrieb und Kunstmarkt erhielt. Auf Reisen lernte sie die Neue Sachlichkeit in Deutschland kennen und wurde zur wichtigsten Vertreterin dieses Stils in Tschechien. Ihre Bilder zeichneten sich durch einen ironischen Blick und feministische Akzente aus. Während der Besatzung durch die Nazis arbeitee sie bei der Untergrundzeitung "V boj" mit. Dafür wurde sie festgenommen und im heutigen Sachsen zu Haft im Gefängnis verurteilt.

Gemälde eines Empfangs: Zahlreiche Menschen in Abendgarderobe stehen in einem Raum.
Dass die Gesichter so blass sind, unterstreicht die Stimmung der Gala. Bildrechte: VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Die Idee für ihren "Wohltätigkeitsbazar" bekam Marešová bei einer Paris-Reise, wo sie mehrere solcher Veranstaltungen erlebte, bei denen Frauen Sachen für den guten Zweck verkauften. Abgesehen von zwei klassizistisch wirkenden Säulen ist das Bild vor allem von Menschen bevölkert. Sie sind alle gut und nobel gekleidet, gleichzeitig wirken sie steif und gelangweilt. Marešová fängt den Zeitgeist ein: Die Reichen und Schönen wollen gesehen und bewundert werden, doch in ihrer unnachahmlichen und zynischen Art entlarvt sie durch ihre Gestaltung die Wohltätigkeit als reine Pose. Spannend ist dabei, wie einige Frauen aus dem Bild herausschauen und uns in die Szene hineinziehen. So fordert uns das Bild noch heute heraus, uns dazu zu verhalten.

Mehr Informationen zu Öffnungszeiten, Adresse und Eintritt (zum Ausklappen)

"European Realities. Realismusbewegungen der 1920er- und 1930er-Jahre in Europa"
Sonderausstellung vom 27. April bis 10. August 2025

Adresse:
Museum Gunzenhauser
Stollberger Straße 2
09119 Chemnitz

Öffnungszeiten:
Dienstag, Donnerstag bis Sonntag sowie an Feiertagen: 11 bis 18 Uhr
Mittwoch: 14 bis 21 Uhr
Montags geschlossen

Eintritt:
14 Euro, ermäßigt 9,50 Euro

Barrierefreiheit:
Alle Ausstellungsräume sind barrierefrei erreichbar, es gibt rollstuhlgerechte Parkplätze. Angebote für Menschen mit Hör- und Sehbehinderung sind vorhanden.

Katalog zur Ausstellung:
"European Realities"
Herausgegeben von Anja Richter und Florence Thurmes
300 Seiten, mit farbigen Abbildungen, gebunden
Hirmer Verlag
ISBN: 978-3-7774-4566-3

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Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR Diskurs | 03. Mai 2025 | 18:00 Uhr

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