Eigene Regierungsmitarbeiter widersprechen polnischen Reparationsforderungen
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19. Oktober 2017, 17:47 Uhr
Polens Forderungen nach deutschen Kriegsentschädigungen erhalten Gegenwind aus den eigenen Reihen. Auch Nachbar Tschechien möchte sich dem polnischen Vorstoß nicht anschließen. Juristisch gilt der eh als umstritten.
Die Reparationsforderungen Polens an Deutschland werden selbst innerhalb der polnischen Regierung kritisch gesehen. Das berichtet die linksliberale Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" unter Berufung auf ein parlamentarische Anfrage vom Juli. In der Antwort schrieb der stellvertretende Außenminister Marek Magierowski bereits am 08. August, dass die polnischen Forderungen von der Sowjetunion befriedigt worden seien.
Damit widerspricht Magierowski seinen eigenem Dienstherren, dem Außenminister Wytold Waszczykowski. Der begründet die neuen Forderungen der polnischen Regierung damit, dass die Einigung der kommunistischen polnischen Regierung mit der Bundesrepublik im Jahr 1953 ungültig sei. Auch außerhalb Polens kann Waszczykowski auf wenig Unterstützung für seine Forderungen bauen.
Absage aus Tschechien
Tschechien will sich nach Aussagen des Staatspräsidenten Miloš Zeman nicht an polnischen Reparationsforderungen an Deutschland beteiligen: "Das ist eine hypothetische Frage", sagte er in Prag und ergänzte, dass diese "in den tschechisch-deutschen Beziehungen kein Thema" sei. Insbesondere, weil die Reparationsfrage durch die tschechisch-deutsche Erklärung von 1997 bereits geklärt sei. Diese wurde vom damaligen tschechischen Ministerpräsidenten Václav Klaus und Bundeskanzler Helmut Kohl unterzeichneten.
Auf diese verweist auch Außenminister Lubomír Zaorálek: „Die Erklärung hat diese Fragen eindeutig abgeschlossen, wodurch wir seit Jahren so gute Beziehungen haben. Wir haben die Vergangenheit den Historikern überlassen und haben uns gesagt, dass wir uns der Zukunft widmen wollen. Das hat sich für uns äußerst bezahlt gemacht und es gibt keinen Grund, etwas daran zu ändern."
Andere Bewertung in Polen
Präsident Zeman zeigte jedoch auch Verständnis dafür, dass Polen diese Frage anders beurteile: "Die nationalsozialistische Besatzung Polens war außerordentlich brutal und für die polnische Nation verwüstend." Er betrachte die Sache aber als eine rein polnische Angelegenheit, die zu kommentieren er nicht berechtigt ist.
Mehr als 72 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs werden im Nachbarland Polen wieder Forderungen nach Reparationszahlungen aus Deutschland laut. Und das, obwohl das kommunistische Polen 1953 offiziell darauf verzichtet hatte. Nun stellt die amtierende Regierungspartei PiS die damalige Entscheidung in Frage.
Gegenoffensive
PiS-Vorsitzender Jaroslaw Kaczynski erklärt, die polnische Regierung bereite sich auf eine "historische Gegenoffensive" vor: "Wir sprechen hier von großen Summen und über die Tatsache, dass Deutschland sich seit vielen Jahren weigere, Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg zu übernehmen", sagt Kaczynski in einem Interview mit Radio Maryja.
Kaczynski wies auf die gewaltigen Kriegsverluste hin, "die wir im Grunde bis heute nicht wettgemacht haben". Polen sei nicht entschädigt worden und habe auf Entschädigungen auch nicht verzichtet. "Die Verluste an Menschen, die Verluste der Eliten sind eigentlich nicht aufzuholen, dazu braucht es fünf bis sechs Generationen".
Das polnische Wochenmagazin "SIECI" titelt in seiner aktuellen Ausgabe: "Sechs Billionen Dollar schulden uns die Deutschen für den Horror des Krieges". Die Titelseite zeigt ein großes Bild von Hitler, daneben sind das brennende Warschauer Königsschloss und deutsche Soldaten zu sehen. Diese Summe von umgerechnet fünf Billionen Euro hatte die Zeitung sich selbst errechnen lassen.
"Es ist nicht wahr, dass Polen auf Reparationen verzichtet hat"
Dabei hatte Polen im August 1953 in einer Erklärung auf weitere Reparationszahlungen verzichtet, um damit "einen weiteren Beitrag zur Lösung der deutschen Frage im Geiste der Demokratie und des Friedens" zu leisten. "Mit Rücksicht darauf, dass Deutschland seinen Verpflichtungen zur Zahlung von Reparationen bereits in bedeutendem Maße nachgekommen ist und dass die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage Deutschlands im Interesse seiner friedlichen Entwicklung liegt, hat die Regierung der Volksrepublik Polen den Beschluss gefasst, mit Wirkung vom 1. Januar 1954 auf die Zahlung von Reparationen an Polen zu verzichten."
Polens Verteidigungsminister Antoni Macierewicz ist heute ganz anderer Meinung: Ihm zufolge ist die Volksrepublik Polen vor 1989 wie die DDR ein von der Sowjetunion "abhängiger Marionettenstaat" gewesen. Die Erklärung auf Verzicht von Reparationszahlungen habe Polen auf Druck des Sowjetregimes abgegeben. "Es ist nicht wahr, dass Polen auf Reparationen verzichtet hat, die uns aus Deutschland zustehen", argumentierte Verteidigungsminister Antoni Macierewicz im Sender TVP Info.
1953 war Polen als unabhängiger und kommunistischer Staat begrenzt handlungsfähig. Polen befand sich mitten im Prozess der Trennung von der Sowjetunion. Aus der sowjetischen Besetzung speist sich auch das zweite wichtige Argument der nationalkonservativen Politiker, die heute wieder Reparationen fordern: Sie behaupten, dass Polen unter sowjetischem Einfluss gar keine andere Wahl gehabt habe, als den Schuldenverzicht 1953 zu akzeptieren.
Die Reparationsfrage gilt als geklärt
Deutschland hat bislang insgesamt etwa 71 Milliarden Euro im Zusammenhang mit Entschädigungsleistungen pauschal an Staaten und Opfer für Naziunrecht gezahlt. Nach dem BEG, dem Bundesentschädigungsgesetz von 1956, gingen knapp 47 Milliarden davon, fast zwei Drittel, an deutsche NS-Opfer.
Am Rande der Beratungen über den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag von 1991 einigten sich Deutschland und Polen auf eine Regelung noch offener Entschädigungsfragen. Dafür wurde eigens die Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung in Warschau gegründet. Über sie flossen zunächst 500 Millionen DM nach Polen, später weitere Zahlungen in Höhe von fast zwei Milliarden DM an noch lebende ehemalige polnische Zwangsarbeiter.
Die Reparation ist ein Dauerthema in Polen
Das Thema für die Opferentschädigungen wird in Polen nicht zum ersten Mal diskutiert: 2004 fand die PiS im Parlament eine Mehrheit, die die Regierung zu Verhandlungen mit Deutschland aufforderte. Unter dem damaligen Warschauer Bürgermeister Lech Kaczynski, dem verstorbenen Bruder des PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski, waren die Kriegsschäden allein für die Hauptstadt auf 45,3 Milliarden US-Dollar berechnet worden. Der damalige Premierminister Marek Belka lehnte den Antrag der PiS umgehend ab.
Ende 2016 behauptete Jaroslaw Kaczynski erneut, die Frage sei weiter ungelöst: "Diese Rechnung wurde in den 70 Jahren, die seit dem Krieg vergangen sind, niemals beglichen und ist im rechtlichen Sinne noch immer aktuell." Die genaue Höhe der potentiellen Forderung ließ die Regierung aber offen. In PiS-Kreisen kursieren Summen von umgerechnet 845 Milliarden Euro bis 1,8 Billionen Euro. Damit würden diese aber wesentlich niedriger liegen, als die von der Wochenzeitung "SIECI" errechneten fünf Billionen Euro.
Deutschland weist Forderungen zurück
Deutschland wiegelt ab. Die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer sagte, Deutschland stehe politisch, moralisch und finanziell zu seiner historischen Verantwortung, aber die Frage der Reparationen sei rechtlich und politisch bereits abschließend geregelt.
Die Schäden sind gewaltig
Kein Geld kann die Kriegsschäden irgendwie quantifizieren. Die Schäden des Zweiten Weltkrieges waren immens und niemand bestreitet die Verbrechen, die Hitler-Deutschland in Polen beging. Am 1. September 1939 überfiel das nationalsozialistische Deutschland Polen. Bis in den Winter 1944/45 hinein verwüsteten Wehrmacht, deutsche Verwaltung, Polizei und SS fast ganz Polen. Die Stadt Warschau wurde weitgehend dem Erdboden gleichgemacht. Polen war eines der am schwersten zerstörten Länder in Europa. Kein Land erlitt gemessen an der Bevölkerungszahl höhere Verluste: Von den rund 35 Millionen Einwohnern kamen etwa sechs Millionen polnische Bürger, darunter drei Millionen Juden ums Leben.
Der Schmerz über die Verluste im Zweiten Weltkrieg sitzt heute immer noch tief: "Ohne den Zweiten Weltkrieg wäre das heutige Polen ein Land mit rund 80 Millionen Einwohnern mit einer starken Wirtschaft vergleichbar mit Deutschland", schreibt PiS Abgeordneter Arkadiusz Mularczyk auf Twitter.
Jetzt holt die polnische Regierungspartei die Forderung nach Reparationen wieder auf die Tagesordnung – wohl nicht ganz zufällig zu einem Zeitpunkt, da sie nach dem Veto des Staatspräsidenten gegen die geplante Justizreform innenpolitisch unter Druck steht. Die Beziehungen zwischen Berlin und Warschau gelten derzeit ohnehin als unterkühlt. Streitpunkte sind die Umverteilung von Flüchtlingen in Europa, die Warschau ablehnt, sowie das laufende Rechtsstaatsverfahren der EU-Kommission gegen Polen.
Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im: TV | 11.08.2017 | 17:45 Uhr