Polnische Fußballfans erinnern mit Kopfschuss-Plakat an Nazi-Verbrechen

09. August 2017, 15:26 Uhr

Vor dem Champions-League-Qualifikationsspiel gegen den FC Astana haben Fans von Legia Warschau unlängst mit einer schockierenden Inszenierung an den Warschauer Aufstand von 1944 erinnert. Die Aktion sorgte für ein geteiltes Echo im Lande.

Ein deutscher Wehrmachtssoldat hält einem kleinen Jungen eine Pistole an den Kopf. Im Hintergrund haben Fans aus weißen und roten Plastiktransparenten die polnische Nationalflagge geformt. Schwarze Folien zeigen die Jahreszahl "1944". Darunter stehen die Worte: "Während des Warschauer Aufstands haben Deutsche 160.000 Menschen getötet, Tausende von ihnen waren Kinder."

Der Schriftzug ist in englischer Sprache verfasst, so dass man die Botschaft auch im Ausland versteht. Vor dem Champions-League-Qualifikationsspiel gegen den kasachischen FC Astana erinnerten Fans von Legia Warschau auf diese Weise den Warschauer Aufstand von 1944.  

Der Aufstand ging in die Geschichtsbücher als Versuch der polnischen Heimatarmee ein, ihr Land von der deutschen Besatzung zu befreien. Nach 63 Tagen hatten die polnischen Widerstandskämpfer damals kapituliert. Während der Kämpfe und danach wurden rund 15.000 Kämpfer der Aufständischen und bis zu 225.000 polnische Zivilisten getötet. Die Stadt Warschau wurde fast vollständig zerstört. Mehr als eine halbe Million Menschen wurden umgesiedelt, zur Zwangsarbeit nach Deutschland verfrachtet oder in KZs gesperrt.

Kontroverse um die Form des Gedenkens

Ganz Polen gedenkt jedes Jahr am 1. August der Opfer des Warschauer Aufstandes. Warschau etwa ruft ihn mit der "Stunde W" – um 17:00 Uhr – in Erinnerung. Die Stadt hält inne. Mit einer Schweigeminute erweisen die Bürger Warschaus den gefallenen und überlebenden Aufständischen die Ehre.

Legia Warschau Choreo
Erinnerung als Schockerlebnis? Inszenierung einer Hinrichtungszene von Legia Warschau Fans Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Doch ob eine Kopfschussszene, wie sie die polnischen Fußballfans gezeigt haben, der richtige Weg ist, um an die Opfer und Verbrechen der Nazi-Zeit zu erinnern, darüber gehen die Meinungen in Polen auseinander. Viele Polen sind empört über die Aktion der Legia-Fans, andere begrüßen auch dieses Gedenkritual. "Dank dieser Botschaft weiß nun die ganze Welt über die NS-Verbrechen in Warschau Bescheid", heißt es im polnischen Fernsehsender TVN. Auch PiS-Abgeordnete Krystyna Pawlowicz nimmt die Legia-Fans in Schutz: "Wie kann etwas, was für den Stolz der Polen steht, wie dieses nichtkommerzielle und schockierende Plakat, welches an die tragische Geschichte der Polen erinnert, überhaupt Gegenstand irgendwelcher Strafen sein?", schreibt sie auf Facebook.

Hass-Symbol Deutschland

Gegner dieser Plakat-Aktion sehen die Botschaft kritisch. Das war keine Ehrerbietung an die Opfer der Warschauer Aufstands, sagte der polnische Soziologe und Historiker Prof. Paweł Śpiewak gegenüber dem TV-Sender TVN: "Auf dem Plakat sieht man keine Aufständler oder zivile Opfer. Es wird ein Deutscher gezeigt, der eine Figur des Hasses darstellt. Niemand kann den Deutschen die Verantwortung nehmen, was damals passiert ist. Aber ob man so die polnischen Helden würdigt, das ich glaube nicht. Ich habe mit vielen Aufständlern gesprochen und auch ihnen gefällt die Sprache der Legia-Fans nicht."

Spiewak ist besorgt über die aktuelle Hass-Entwicklung gegenüber Deutschland:

Diese antideutsche Strömung hat eine lange Tradition in Polen. Jetzt kehrt dieser Trend zurück, aber auf andere Weise: Es wird laut um die Forderung auf Reparationszahlungen von Deutschland für die Schäden im Zweiten Weltkrieg – und dieses Plakat im Stadion. Heute dominiert ein antideutsches und antieuropäisches Bild.

Paweł Śpiewak, polnischer Soziologe und Historiker

Legia Warschau - gefürchtete Ultras

Polen hat eine der gefährlichsten Hooligan-Szenen in Europa. Die Legia-Fanszene gerät regelmäßig wegen Gewalt-Exzessen und rassistischer sowie antisemitischer Vorfälle in Verruf. Im September 2016 fielen Legia-Fans unangenehm in der Champions-League-Gruppenphase gegen Borussia Dortmund auf. Dort hatten sie versucht den BVB-Gästeblock zu stürmen.

Twitter Posts zu Legia Warschau Choreo
Twitter-Post zu Legia Warschau Choreo Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

War die provokante Plakat-Aktion diesmal bloß gelebte Erinnerungskultur oder gelebter Nationalismus? Ein Nationalismus, der weit am rechten Rand fischt. Denn eigentlich, so stellten einige Nutzer auf Twitter fest, ist die Fankurve von Legia Warschau fest in der Hand von Faschisten.

Twitter Posts zu Legia Warschau Choreo
Fanschals von Legia Warschau Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Auch Hakenkreuze und SS-Runen sind auf Fanutensilien keine selten gesehenen Symbole. Die UEFA bestraft Fußballvereine oft für politische Symbole bei Spielen. Laut Associated Press könnte Legia Warschau nun eine hohe Disziplinargebühr aufgrund des "illegalen Banners" im Stadion drohen.

Es ist nicht das erste Mal, dass ein Banner bei einem Legia-Spiel den Club in Schwierigkeiten bringt. Im Jahr 2014 musste der Verein eine Geldstrafe in Höhe von rund 82.000 US-Dollar zahlen, nachdem Fans ein Banner ausgebreitet hatten, das die UEFA als ein Schwein darstellte und andeutete, die Organisation sei korrupt.

(Ama)

Über dieses Thema berichtet MDR Aktuell auch im Radio am 02.08.2017