Polens Präsident Andrzej Duda emanzipiert sich
Hauptinhalt
16. August 2017, 12:44 Uhr
Der polnische Präsident Andrzej Duda verweigert die Ernennung mehrerer Generäle. Damit stellt er sich erneut gegen die Wünsche der nationalkonservativen Regierung, als deren Marionette er lange galt.
"Ist das jemand wichtiges?", fragt der Parteivorsitzende spöttisch, während vor seiner Bürotür ein Mitarbeiter lautstark den lästigen Bittsteller abwimmelt. Der Abgewiesene ist "Adrian", der fiktive Staatspräsident in der polnischen Satireserie "Das Ohr des Vorsitzenden". Präsident Adrian, der nicht zum Parteivorsitzenden vorgelassen wird, ist ein Running Gag in der YouTube-Satire, die seit ihrem Start Anfang des Jahres zum millionenfach geklickten Hit avanciert ist.
Denn für viele Polen spiegelte die Serie die politische Realität in ihrem Land schmerzhaft exakt wieder. In dem hatte Präsident Andrzej Duda, der eigentlich stärkste Mann im Staat, lange nichts zu melden. Stattdessen zieht der Vorsitzende der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jarosław Kaczyński, aus dem stillen Kämmerlein die Fäden. "Marionette Duda" schallte es daher regelmäßig bei Protesten der Opposition und "Adrian" wurde zum Chiffre für Dudas politische Schwäche.
Hinterbänkler für den Machtwechsel
Die schien vom PiS-Vorsitzenden Kaczyński von Anfang an so geplant gewesen zu sein. Als er Duda Ende 2014 als Präsidentschaftskandidaten der Partei vorstellte, kannte den Hinterbänkler aus dem EU-Parlament kaum jemand in Polen. Der promovierte Jurist Duda hatte zuvor jahrelang in der Partei Karriere gemacht. Von 2008 bis 2010 war er Berater des verstorbenen Ex-Präsidenten Lech Kaczyński.
Seitdem Duda im Mai 2015 selbst Präsident wurde, repräsentiert er öffentlich vor allem die Parteilinien, obwohl er kein Parteimitglied ist. Kurz nach der Wahl ernannte Kaczyński Dudas Wahlkampfmangerin Beata Szydło zur Spitzenkandidatin für die Parlamentswahlen. Im November 2015 wurde sie Premierministerin. Szydło und Duda wirkten seither als Exekutivkräfte des Parteivorsitzenden Kaczyński.
Eskalation um Justizreform
Duda "muss Adrian töten", schrieb ein Kommentator der oppositionsnahen Onlineplattform "NaTemat" im Mai dieses Jahres. Damals zeichneten sich bereits zwei wichtige Reformen ab, die die Regierung in der zweiten Jahreshäfte angehen wollte. Grundlegende Änderungen im Justizwesen und die Neuordnung der polnischen Armee. Zu beiden hielt sich Duda anfangs bedeckt.
Mitte Juli eskalierte dann der Streit um die geplante Justizreform der PiS. Durch die sollten das Parlament und der Justizminister über die Besetzung des Obersten Gerichtshofs und des Landesrichterrates bestimmen können. Zehntausende Menschen demonstrierten tagelang gegen die "Abschaffung der Gewaltenteilung". Auch der Jurist Duda mahnte Änderungen an dem Vorhaben an. Doch sein Appell prallte an der Tür des Parteivorsitzenden ab.
Moralisches oder machtpolitsches Veto
Nach chaotischen Abstimmungen, die teils gegen Verfahrensregeln verstießen, verabschiedete das Parlament die Reform dennoch. Duda schaltete erstmals auf Konfrontation. In einer eigens anberaumten Pressekonferenz kritisierte er die Reform in Teilen als verfassungswidrig und verweigerte seine Unterschrift darunter. Mit der Blockade brachte er die Partei gegen sich auf. Der Schritt brachte ihm dafür im In- und Ausland Anerkennung ein. "Aus Adrian ist endlich Andrzej geworden", schrieb ein Twitter-User. Dutzende Medien wählten wortgleiche Überschriften.
Über seine Beweggründe wird seither munter spekuliert: Seien es sein Gewissen und seine Integrität als Jurist gewesen, die ihn zu diesem Schritt bewegten? Denke er bereits an die kommende Präsidentschaftswahl in drei Jahren, bei der der international geschätzte EU-Ratspräsident Donald Tusk oder der charismatische Posterboy vieler junger liberaler, Robert Biedron, gegen ihn antreten könnten? Oder will er einen wachsenden Einfluss der Parlamentarier und Minister auf seine Kosten verhindern?
Der Präsident ist tot, lang lebe der Präsident
Den Konfrontationskurs scheint Duda jedenfalls nicht zu verlassen. Wenige Woche nach seinem ersten Veto verweigerte er die geplante Ernennung neuer Generäle am 15. August, dem feierlichen "Tag der Polnischen Armee". Hintergrund ist eine geplante Reform der polnischen Streitkräfte, die das Verteidigungsministerium derzeit ausarbeitet. Dabei soll der zuständige Minister Antoni Macierewicz den Präsidenten konsequent übergehen, obwohl dieser laut Verfassungs oberster Befehlshaber der Streitkräfte ist.
Polnische Medien wie die linksliberale "Gazeta Wyborcza" schreiben bereits von einem "offenen Krieg" zwischen Duda und Macierewicz. Letzterer fördert parallel nationalistische Bürgermilizen und will diese in die reguläre Armee integrieren. Duda hat die paramilitärischen Truppen während seiner Rede am Tag der Polnischen Armee als "Privatarmee" gegeißelt - eine öffentliche Eskalation des Streits.
Realität bestimmt Satire - und umgedreht?
Auch in der Politsatire "Ohr des Vorsitzenden" kommt die Figur des "Antoni" zu ihrem Auftritt. Der selbsternannte "Minister des Krieges" diskutiert mit dem Parteivorsitzenden den akutellen Zustand der Armee. Dass dies eigentlich Aufgabe des Präsidenten sei, hat der Vorsitzende dabei ganz vergessen. Er erinnere sich nicht mal mehr, wann er den Präsidenten das letzte Mal gesehen habe, konstatiert der allmächtige Vorsitzende.
Darauf erwidert sein Berater: "Als der etwas nicht unterschreiben wollte, da haben sie ihn einbestellt". Die Botschaft der Satiriker ist klar: Der Präsident müsse wie ein Schuljunge zum Raport antreten, wenn er sich dem Parteiwillen widersetzt. Sieben Monate nach dem Erscheinen der Folge könnte man die Szene nun neu interpretieren. Mit seinem Vetorecht hat Duda endlich das Instrument gefunden, um sich Gehör zu verschaffen. Nun muss er entscheiden, wie er dieses langfristig einsetzt.
Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im: TV | 21.07.2017 | 17:45 Uhr