Interview mit Gesine Schwan "Die deutsche Politik ist in Europa zu dominant"
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10. April 2018, 10:09 Uhr
Kanzlerin Merkel und Außenminister Maaß wollen das Verhältnis zu Polen verbessern. Dazu bedarf es eines Umdenkens, meint Gesine Schwan, die sich seit Jahrzehnten um die deutsch-polnische Freundschaft bemüht.
Ende März reisten Bundeskanzlerin Angela Merkel und der neue Außenminister Heiko Maaß kurz nacheinander zum Antrittsbesuch nach Warschau. Die Liste der schwierigen Gesprächsthemen war lang: Flüchtlingsverteilung, die polnische Justizreform, die Zukunft der EU. Doch sowohl die polnische als auch die deutsche Regierung suchen wieder das Gespräch, so die Message der Reise.
Dazu beitragen soll das "Weimarer Dreieck", erklärten Merkel und Maaß dabei. Das trilaterale Gesprächsformat zwischen Deutschland, Polen und Frankreich wurde 1991 gegründet und sollte ein "Integrationsmotor der EU" werden. Doch seit zwei Jahren ist es ruhig um das Dreieck geworden.
Woran das liegt haben wir die Politikwissenschaftlerin, SPD-Politikerin und ehemalige Bundespräsidentschaftskandidatin Gesine Schwan gefragt. Sie war von 1999 bis 2008 Rektorin der deutsch-polnischen "Europa-Universität Viadrina" in Frankfurt (Oder) und leitet heute den Bereich "Trialoge" des politischen Think Tank "Humboldt-Viadrina Governance Platform" in Berlin.
Heute im Osten: 2016 feierte das Weimarer Dreieck sein 25-jähriges Bestehen. Seitdem schien das Format eingeschlafen zu sein. Woran liegt das?
Gesine Schwan: Das Weimarer Dreieck war seit seiner Gründung ebenso notwendig wie unwirksam. Das muss man so sagen und das ist ein Problem. Einerseits war es damals ein guter Gedanke, ein Dreieck zwischen Frankreich, Polen und Deutschland zu schaffen. Denn das sind drei sehr verschiedene Kernstaaten Europas - vor allem ein so genanntes neues Mitglied und zwei ältere.
Man dachte damals, es gäbe genügend historische Beziehungen zwischen den Ländern, so dass man eine Art Vorvermittlungsinstanz hätte, wo gesamteuropäische Probleme schon mal vorgeklärt werden könnten. De facto aber muss man sagen, dass sich Frankreich letztlich nie besonders für Polen interessiert hat: nach 1989 nicht und auch nach dem Beitritt der Polen zur Europäischen Union nicht. Und die Beziehungen zu Deutschland sind eben auch vorbelastet.
Die seit 2015 in Polen PiS regierende schießt immer wieder gegen die EU und den Gedanken einer postnationalen Werteunion, Frankreich und Deutschland wollen diese vorantreiben. Ist dieses unterschiedliche Verständnis von Europa das Hauptproblem?
Es ist ein wichtiges Problem, weil die PiS bereits während ihrer ersten Regierungszeit zwischen 2005 und 2007 sehr bewusst eine nationale Unabhängigkeit propagiert hat, sich nicht weiter in die EU integrieren wollte und auch immer ein bisschen mit der antideutschen Karte gespielt hat, vor allem der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński, der in Polen alle Fäden in der Hand hält.
Man kann sagen, dass der jetzige Premierminister (Mateusz Morawiecki) da etwas vorsichtiger agiert. Ich fand es sehr interessant, den letzten Besuch der Kanzlerin in Warschau zu beobachten. Da hat sie den Vorschlag gemacht, dass Polen nicht zwingend Flüchtlinge aufnehmen müsse, sich dafür aber an einem Fond beteiligen soll, der dann den Hauptflüchtlingsländern in Südeuropa finanziell unter die Arme greift. Darauf ist offenbar auch der Premierminister positiv eingegangen. Das deutet darauf hin, dass er die Isolierung Polens wieder aufbrechen will. Wobei diese durch die Demontierung des Rechtsstaats durch die Justizreform bereits weit fortgeschritten ist.
Auf politischer Ebene sind die Beziehungen also nicht auf die besten. Sie sind selber aber auch viel auf zivilgesellschaftlicher Ebene unterwegs. Zeigt sich da ein anderes Bild?
Ja, definitiv! Ich glaube, dass die zentrale Regierungsebene nur teilweise repräsentativ für das ist, was sich in der Gesellschaft abspielt. Also gerade in der Flüchtlingsfrage zum Beispiel sind die großen Städte in Polen ganz anderer Meinung als die Regierung. Es gibt ein Manifest aus dem vergangenen Sommer, wo sich elf große Städte wie Warschau, Krakau und Danzig dafür ausgesprochen haben, sich an der Bewältigung der globalen Migrationsbewegungen zu beteiligen. Insofern muss man wirklich sagen, dass die Gesellschaften nicht identisch mit den Regierungen sind, auch wenn diese natürlich demokratisch gewählt sind.
Das war auch zwischen 2005 und 2007 so. Ich war ja zu der Zeit Koordinatorin der deutsch-polnischen Zusammenarbeit. Und da hat die PiS-Regierung oft sehr giftige Pfeile auf die Bundesregierung abgeschossen, während es auf der Ebene des gesellschaftlichen Austausches immer neue Kooperationen gab, in allen Bereichen: Sport, Musik, bis hin zum gemeinsamen Briefmarkensammeln und Radtouren. Da waren auch lokale PiS-Politiker dabei. Auf solche positiven Effekte hoffe ich auch auf längere Sicht.
Ich befürchte allerdings, zu alledem wird das Weimarer Dreieck zumindest als Dreierkonstellation nicht besonders viel beitragen. Denn es gibt keine spezifischen, historisch gewachsenen Verständigungsprozesse zwischen diesen drei Ländern.
Als das Dreieck 1991 gegründet wurde, sollte es ein "Integrationsmotor" für Europa werden. 25 Jahre später reden wir über Brexit, Flüchtlingsfragen und das teilweise Abdriften politischer Systeme in Mittelosteuropas. Wie wichtig ist das Zugehen auf Polen da gerade jetzt?
Naja, das Zugehen ist eigentlich immer wichtiger. Vor allem ist es auch wichtig, um der polnischen Gesellschaft zu zeigen, dass die deutsche Regierung und auch die europäischen Regierungen jetzt keineswegs Polen einfach abschreiben oder sich antipolnisch verhalten wollen.
Und ich glaube, der neue polnische Premierminister Morawiecki - der sehr viel weltläufiger ist als Jarosław Kaczyński - hat auch den Ehrgeiz, eigene Akzente zu setzen und eigene Wege zu gehen. Während Kaczyński ein ausgesprochener Ideologe ist, gilt das ja weder für Premierminister Morawieck, noch für den Präsidenten Andrzej Duda. Die haben auch ihre sehr konservativen Vorstellungen, aber eigentlich wollen sie ihre eigene politische Karriere vorantreiben. Und das ist vielleicht dann sogar eine hoffnungsstiftende Perspektive.
Insbesondere der frühe Antrittsbesuch von Maaß in Warschau wurde dort wohlwollend aufgenommen. Ist das auch ein Zeichen, dass die neue Bundesregierung Richtung Osten eine andere, vielleicht etwas verständnisvollere Politik fährt, nicht nur Polen gegenüber?
Die deutsche Politik in Europa war ja aus meiner Sicht insgesamt viel zu dominant. Das lag aber in erster Linie an der Union und am Finanzminister Schäuble, der die klare Vorstellung hatte, dass Europa insbesondere in der Wirtschafts- und Finanzpolitik dem deutschen Beispiel folgen soll. In Deutschland hat man das nicht so diskutiert, aber unsere europäischen Nachbarn sehen es seit Jahren sehr negativ, wie sich die deutsche Politik da immer wieder durchgesetzt hat.
Die Kritik von Kaczyński und anderen an der deutschen Dominanz ist daher nicht völlig aus der Luft gegriffen. Es wirkt daher besser und wirbt auch stärker für Europa und die grenzüberschreitende Verständigung, wenn Deutschland sehr viel zurückhaltender auftritt.
(ahe)
Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im: TV | 28.08.2016 | 19:30 Uhr