Wegen Justizreform: EU will Polen Milliarden streichen
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05. April 2018, 09:06 Uhr
Die EU-Kommission setzt Polen im Streit im die Justizreform ein Ultimatum. Sollte das Land nicht einlenken, will die Kommission Fördermittel künftig an Rechtsstaatlichkeitsprinzipien knüpfen. Dadurch könnten Polen Milliarden entgehen. Bislang diskutierte Sanktionsmöglichkeiten schienen sich nicht durchsetzen zu lassen. Jetzt hat man eine neue Idee.
Bereits am Wochenende waren entsprechende Pläne des EU-Haushaltskommissars Günther Oettinger durchgesickert. Am Mittwochnachmittag will er diese offiziell vorstellen. Künftig sollen Teile der EU-Strukturhilfen nur noch gezahlt werden, wenn sich die jeweiligen Mitgliedsländer an die EU-Rechtsstaatlichkeitsprinzipien halten.
Vorschlag indirekt "Lex Polonia"?
Der Mechanismus würde in dem Fall indirekt wirken. Denn für viele Förderprojekte müssen die Mitgliedsländer die Finanzmittel selbst vorstrecken und bekommen sie erst später aus dem entsprechenden Fördertopf erstattet. Diese Erstattung könnte nach Oettingers Konzept als Druckmittel genutzt werden, wenn sich ein Mitgliedsland EU-Vorgaben widersetzt.
Der Vorschlag würde für alle Länder gelten. Jedoch zielt er insbesondere auf Polen, gegen das gerade ein Verfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge läuft. Hintergrund ist eine umstrittene Justizreform, die der polnischen Regierung weitreichenden Einfluss auf die Vergabe von Richterposten ermöglicht. Diese Reform verstößt nach Ansicht der EU eben gegen jene Rechtsstaatlichkeitsprinzipien. So scheint der geplante Mechanismus eine "Lex Polonia" zu sein.
Fördermittel als alternatives Sanktionsmittel
Um Polen jedoch nach Artikel 7 zu sanktionieren – zum Beispiel mit Geldstrafen oder einem temporären Stimmrechtsentzug – ist eine einstimme Entscheidung aller anderen EU-Mitgliedsstaaten nötig. Ungarn hat jedoch bereits angekündigt, nicht gegen Polen stimmen zu wollen. Sanktionen nach Artikel 7 sind so vorerst unmöglich. Daher suchte die Kommission nach alternativen Druckmitteln, etwa im EU-Haushalt.
Dieser wird jeweils für einen Zeitraum von sechs Jahren verabschiedet. Im aktuellen Haushalt, der offiziell "EU-Finanzrahmen" heißt, ist Polen größter Netto-Profiteur. Zwischen 2014 und 2020 erhält das Land knapp 86 Milliarden Euro. Abzüglich eigener Beiträge bleibt ein Plus von 67 Milliarden Euro. Aktuell berät die Kommission über den Nachfolgehaushalt für den Zeitraum 2021 bis 2027: Am 2. Mai stellt sie ihren ersten Entwurf offiziell vor.
Einigung noch in diesem Monat verlangt
Jedoch muss auch der endgültige Haushalt einstimmig von allen EU-Mitgliedsländern angenommen werden, weswegen Polen Sanktionsmechanismen blockieren kann. So bleibt nur der indirekte Weg über einzelne Teile der Strukturförderung, in dem Fall die Regularien zur Ausschüttung von Fördergeldern. Deren Änderung kann Polen nicht alleine verhindern, auch nicht mit Unganrs Hilfe.
Darum setzt der Vorschlag Polen unter Zugzwang. Am 17. April wird die Justizreform noch einmal Tagesordnungspunkt einer Sitzung des EU-Rats werden, an der alle Mitgliedländer teilnehmen. Es ist der letzte Termin vor dem Beginn der Haushaltsverhandlungen. Aus der Kommission heißt es, man habe Polen nahegelegt, den Streit bis dahin beizulegen. Ein weiter drohendes Sanktionsverfahren würde sich negativ auf die Atmosphäre bei den Haushaltsverhandlungen auswirken – im Dilpomatensprech ist das eine kaum verhohlene Drohung.
Diese scheint die EU auch auszusprechen, weil sie selbst Druck aus mehreren Mitgliedsstaaten bekommt. So hat die neue niederländische Regierung in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, EU-Gelder künftig an Fragen wie die Rechtsstaatlichkeit und Flüchtlingsaufnahme knüpfen zu wollen. Auch viele südeuropäische Länder fordern mehr Solidarität von Polen und anderen Staaten Mittelosteuropas.
Polen bewegt sich – ein bisschen
In Polen ist unterdessen am Montag ein weiterer Teil der Justizreform in Kraft getreten – man werde sich "einem Diktat nicht beugen", hieß es aus Warschau. Trotzdem hat die Regierung zuletzt zumindest eine grundlegende Verhandlungsbereitschaft gezeigt und der EU-Kommission vergangene Woche drei Änderungsvorschläge für die Reform zukommen lassen. Diese sollen heute auch besprochen werden.
Vorab hieß es aus der Kommission jedoch, dass diese bei Weitem nicht ausreichen würden, um den Streit beizulegen. Man sei jedoch weiter verhandlungsbereit. Am kommenden Montag reist der Kommission-Vize Frans Timmermans nach Warschau und wird dort Premierminister Mateusz Morawiecki treffen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Es ist der letzte offizielle Termin vor der wegweisenden EU-Ratssitzung.
Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im: TV | 04.07.2017 | 17:45 Uhr