Interview: 2+4-Vertrag Die Frage der Reparationen
Hauptinhalt
11. September 2022, 05:00 Uhr
Im Interview zur Entstehung des Zwei-plus-Vier-Vertrags hatten wir den Leiter der DDR-Verhandlungsdelegation 1990, Hans-Jürgen Misselwitz, auch gefragt, warum der Vertrag vieles ausklammert – etwa Fragen von Reparationen. Misselwitz sagte: "Sie werden wohl höchstens erledigt, indem man zu einer guten gemeinschaftlichen Praxis heute findet."
Die hier wiedergegebenen Aussagen von Hans-Jürgen Misselwitz, der 1990 als Leiter der DDR-Delegationen bei den Verhandlungen dabei war, gehören zu einem ausführlicheren Interview zur Entstehung des Zwei-plus-Vier-Vertrags mit dem Fokus auf sicherheitspolitische Fragen bei der Herstellung der deutschen Einheit.
MDR: Herr Dr. Misselwitz, ein Wort noch zur "kleinen Lösung" mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag, statt einer "großen" mit einem umfassenden Friedensvertrag: Warum hat die Bundesregierung damals diese kleinere Lösung angestrebt?
Misselwitz: Es hatte verschiedene Gründe, dass Bonn damals versuchte, die Sache so abzuwickeln. Einmal war es in der Tat auch die Ansage der USA vom Januar 1990, die wir damals in der DDR nicht kannten, dass das Problem der deutschen Einheit in eine Sackgasse geraten könne, eben wegen dieser Nato-Frage. Es sollte vermieden werden, dass die Deutschen vor die Frage gestellt würden: Wollen sie nun die deutsche Einheit oder Nato-Mitgliedschaft? Das wäre eine Zerreißprobe geworden, für die Bundesrepublik damals, aber auch darüber hinaus, Deutschland insgesamt vor diese Frage zu stellen.
Vor diesem Hintergrund und natürlich auch wegen der Situation in der DDR, wo nicht klar war, wo es hingeht, ob sie im Chaos versinkt oder welche Zukunft die politische Lage in der DDR haben würde, gab es Anfang 1990 Zustimmung dafür, einen möglichst kurzen Prozess zu machen. Man sah hier ein enges Zeitfenster und wollte es nutzen.
Es war in der Tat nicht das Problem, dass man fürchtete – was dann immer wieder mal kolportiert wurde –, dass Gorbatschow dichtmachen würde. Man fürchtete eher, dass – wenn man im Westen das jetzt nicht beim Schopfe packen würde oder der Westen sich etwa die Nato betreffend anders verhält – Gorbatschow unter Druck gerät, und man so in eine neue Konstellation für das ganze Problem kommt. Also hier waren externe Einflüsse und Interessen, glaube ich, überwiegend – vor allem eben aber, dass die USA in der Nato-Frage so entschieden waren.
Also ging es nicht darum, Reparationsfragen aus dem Weg zu gehen, die später und bis heute ja trotzdem eine Rolle spielen?
Misselwitz: Na ja, das war einerseits das Interesse, andererseits aber der durchaus noch nicht abgegoltene Preis für den Friedensschluss 1990. Das muss man auch so sagen: Es ging im Grunde um einen Friedensschluss, der ausstand nach 1945. Und in dieser Sache hatten viele Länder der Alliierten – gut 50 Staaten, standen damals im Krieg mit Deutschland – auch Ansprüche, zum Teil auch Beteiligungsrechte oder Wünsche. Und dem aus dem Weg zu gehen, war taktisch natürlich durchaus nachvollziehbar. Es war allerdings auch klar, dass die Geschichte damit nicht abgemeldet ist.
Was Zwei-plus-Vier geregelt hat, stand für die Alliierten schon seit 1942 im Raum, mit der Atlantik-Charta, von der Sowjetunion damals unterzeichnet. Ihr Ziel Nummer eins hieß: Sicherheit vor Deutschland, eine europäische Friedensordnung, die Sicherheit vor Deutschland garantiert. Das hat Zwei-plus-Vier durch die Form gefunden, in dem man Deutschland einbindet in die Nato. Und das zweite Ziel war: Die Alliierten machen das gemeinsam und niemand schließt Sonderfrieden ab – ein etwas kryptischer Nebenartikel, der aber große Bedeutung hat im Hinblick auf Erfahrungen nach dem Ersten Weltkrieg. Für andere, nicht Beteiligte, ist das aber natürlich ein Problem gewesen. Polen hat das auch früh eingeklagt: Sie müssten unbedingt beteiligt werden, wegen der Grenzfrage, und die wurde dann ja auch einbezogen.
Reparationsforderungen werden wohl höchstens erledigt, indem man zu einer guten gemeinschaftlichen Praxis heute findet.
Das Problem blieb jedoch, dass Ansprüche und Lasten anderer im Grunde nicht gewürdigt worden sind in diesem Zwei-plus-Vier-Vertrag. Das hat uns dann verschiedentlich wieder eingeholt. Ob es Ansprüche gibt oder nicht: In Momenten, in denen Deutschland von eigenen Interessen geleitete Politik in Europa macht, wie etwa bei der Euro-Krise, hatten die Südeuropäer, vor allem Griechenland, das Gefühl, sie werden jetzt durch die deutsche Politik, deren ökonomische Bedingungen andere sind als dort, ausgeschlossen. Und das wurde natürlich sofort umgemünzt in die Frage, ob jetzt ein Großdeutschland wieder Europa dominiert. Auch Reparationsforderungen von Polen – so etwas taucht immer wieder in Konflikten auf, dass Lasten der Vergangenheit wieder hervorgenommen werden und nicht erledigt sind. Sie werden wohl höchstens erledigt, indem man zu einer guten gemeinschaftlichen Praxis heute findet.
Das vollständige Interview finden Sie hier: