Zweiter Weltkrieg Polen fordert Reparationen: Wie stehen die Chancen?
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01. September 2022, 16:30 Uhr
Polen fordert umgerechnet 1,3 Billionen Euro Reparationszahlen von Deutschland für die von Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg angerichteten Schäden.
Schon seit 2017 erhebt Polen Reparationsansprüche gegenüber Deutschland. Die Schäden aus dem Zweiten Weltkrieg seien nie ausgeglichen worden. Deutschland bekräftigt, das Thema hätte sich mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 erledigt.
83 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkrieges präsentiert Polen einen Bericht zu den im Krieg erlittenen Schäden. Der Vorsitzende der nationalkonservativen Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski sprach von einem "enormen Schaden". Ein Gutachten beziffert die von Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg angerichteten Schäden auf umgerechnet mehr als 1,3 Billionen Euro. Es soll die Reparationsforderungen von Polens nationalkonservativer Regierung an die Bundesrepublik untermauern.
Die Deutschen sind in Polen eingefallen und haben uns enormen Schaden zugefügt. Die Besatzung war unglaublich verbrecherisch, unglaublich grausam und hatte Auswirkungen, die in vielen Fällen bis heute anhalten
Man könne nicht zur Tagesordnung übergehen, betonte Kaczynski bei seiner Rede am 83. Jahrestag des Beginn des Zweiten in Warschau. Er sei sich aber bewusst, dass es zu den Reparationen ein "langer und schwieriger" Weg sei".
Die Bundesregierung sieht dafür keine Grundlage mehr und lehnt jegliche Reparationsforderungen ab. Für sie ist die Frage mit dem 2+4-Vertrag über die außenpolitischen Aspekte der deutschen Einheit abgeschlossen. (Quelle: dpa). In ganz Deutschland hatten die Reparationen der Nachkriegszeit zum Teil tiefe Einschnitte hinterlassen.
Kriegsende: VEB "Pentacon" muss Reparationen leisten
In Dresden lief sie jahrzehntelang alle 90 Sekunden vom Band: die begehrte Spiegelreflexkamera "Praktica" des VEB Pentacon – ein Exportschlager auf Weltniveau, wie das DDR-Fernsehen versicherte. Dass es zu dieser Erfolgsgeschichte kommen sollte, war 1945 kaum vorstellbar. Die Bombenangriffe der Alliierten auf Dresden hatten Mitte Februar 1945 dem namhaften Industriestandort schwere Schäden zugefügt. Dabei waren auch etwa 60 Prozent der Produktionsanlagen für Kameras zerstört worden – ein schmerzhafter Einschnitt für eine traditionsreiche Sparte, die sich bereits ab Ende des 19. Jahrhunderts dort entwickelt und auf höchstem Niveau etabliert hatte.
"Ich habe Werkmeister weinen sehen"
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war sie nun in besonderen Nöten – nicht nur durch die Bombenschäden und den Tod zahlreicher Facharbeiter während der Luftangriffe. An die Existenz ging es letztlich erst, als die sowjetische Besatzungsmacht Entschädigungen für den erlittenen Krieg durch umfangreiche Demontagen einforderte. Allein in der Kamera-Industrie wurden in Dresden Produktionsanlagen im Wert von rund 40 Millionen Reichsmark abgebaut und als Reparationen in die Sowjetunion abtransportiert. "Ich habe Werkmeister weinen sehen, die ihre Maschinen in Kisten verpacken mussten und dann ging das ab“, erinnerte sich der inzwischen verstorbene Kamerakonstrukteur Siegfried Böhm 2011.
Alliierte Absprachen
Solche für die Betroffenen oft schmerzlichen Demontagen waren das Ergebnis von Absprachen der drei großen alliierten Siegermächte USA, Großbritannien und Sowjetunion, die zum Teil bereits vor Kriegsende getroffen wurden. Im "Potsdamer Abkommen" vom August 1945 hatte man dann schließlich festgehalten, dass jede Besatzungsmacht sich aus ihrer jeweiligen Besatzungszone heraus Entschädigung verschaffen sollte. Als Hauptgeschädigte des Kriegs erhielt die Sowjetunion aber zunächst auch Zusatzlieferungen aus den westlichen Zonen. Diese Regelung wurde allerdings schon Mitte 1946 durch die zunehmenden Spannungen zwischen Ost und West im Vorfeld des Kalten Kriegs hinfällig.
Die Sowjetunion hatte für sich Reparationen im Wert von 10 Milliarden US-Dollar veranschlagt und sich bereit erklärt, aus ihrem Anteil das ebenfalls besonders vom Krieg betroffene Polen zu entschädigen. Erbracht werden sollten die Reparationen sowohl durch Demontagen als auch durch Lieferungen aus der laufenden Produktion. Dementsprechend war es im Sinne der Besatzer, die Industrie in ausreichendem Umfang zu erhalten – so auch die Kameraherstellung in Dresden.
Tausende Kameras für die UdSSR
Dort mussten nun bis Ende 1950 jährlich Tausende Kameras für den Export in die Sowjetunion gefertigt werden. Wie schwierig die Voraussetzungen für die Produktion nach den Demontagen zunächst waren, bewegt den ehemaligen Abteilungsleiter beim VEB Pentacon Gerhard Jehmlich noch Jahrzehnte später: "Das war für alle Beteiligten, die es damals erlebt haben, ein riesengroßes Loch, in das alle gestürzt wurden, da nun gewissermaßen noch unter Null noch einmal neu angefangen werden musste." Mit vorerst spärlicher Ausstattung, aber weiterhin hohem Know-how, galt es nun in Dresden, sich leidenschaftlich zurückzukämpfen.
Denn die Sowjetunion forderte zunächst unter anderem bis zu 20.000 Fotoapparate der bewährten Marke "Praktiflex" pro Jahr – eine schier unlösbare Aufgabe.
Nachhaltige Entschädigungen
Wie die Dresdner Kameraspezialisten waren laut dem Berliner Wirtschaftshistoriker Rainer Karlsch über 2.000 ostdeutsche Betriebe von den Demontagen betroffen – darunter der Jenaer Optikriese Carl Zeiss, die Chemiewerke Buna und Leuna bei Halle sowie die Sachsenerz Bergwerks AG im Erzgebirge, aus der 1947 die Wismut AG hervorging. Die Demontagen sollen gut ein Drittel der Industriekapazität der sowjetischen Besatzungszone abgetragen haben – im Vergleich etwa zehnmal mehr als in den Westzonen. Noch weitaus mehr Unternehmen waren an den fortlaufenden Lieferungen beteiligt, die zum Teil bis 1953 andauerten – während die westlichen Besatzer ihre Reparationspolitik bereits zurückgefahren und begonnen hatten, den westdeutschen Wiederaufbau gezielt zu fördern.
Forderungen teilweise erlassen
Der DDR erließ die Sowjetunion bis 1953 schließlich schrittweise einen erheblichen Teil ihrer ursprünglichen Forderung. Laut offiziellen sowjetischen Angaben sollen vom Osten Deutschlands bis dahin Reparationen im Wert von rund 4,3 Milliarden US-Dollar geleistet worden sein. Nicht berücksichtigt ist dabei neben den Besatzungskosten unter anderem auch der Transfer von Know-how. Im Rahmen der so genannten "Aktion Ossawakim" waren 1946 Tausende ostdeutsche Fachkräfte für mehrere Jahre in die Sowjetunion verschleppt worden – besonders betroffen war beispielsweise das Jenaer Glasunternehmen Schott.
Schwierige Aufrechnung
Die tatsächlichen ostdeutschen Kosten bis 1953 werden auf etwa 16 Milliarden Vorkriegsdollar geschätzt – somit auf mehr als 50 Milliarden Mark und auf etwa ein Viertel des Bruttosozialprodukts in diesem Zeitraum. Sie gelten auch als die höchsten bekannten Reparationen des 20. Jahrhunderts. Allerdings lagen die westdeutschen Aufwendungen nach Angaben des Schweizer Historikers Jörg Fisch in ähnlicher Höhe – wenn auch bedingt durch wesentlich höhere Besatzungskosten und zudem verteilt auf eine wesentlich größere Bevölkerung. Abgesehen davon leistete die Bundesrepublik, anders als die DDR, schließlich auch in großem Umfang Schuldentilgungen im Ausland und Wiedergutmachungszahlungen an den Staat Israel sowie Opfer des NS-Regimes.
Dennoch forderte die DDR 1965 von der Bundesrepublik stolze 120 Milliarden Mark als Ausgleich für ungleich verteilte Belastungen und den westlichen Wirtschaftskampf gegen den SED-Staat – freilich ohne Erfolg.
Eine wirklich exakte Gegenüberstellung der deutschen Reparationen ist aufgrund der vielen komplexen Faktoren bis heute nicht machbar.
Polen bereits entschädigt
Möglichen weiteren Nachforderungen sollte der "Zwei-plus-Vier-Vertrag" von 1990 im Kontext der deutschen Wiedervereinigung einen Riegel vorschieben – da dieser "anstatt eines Friedensvertrags" geschlossen wurde, bis zu dem weitere Forderungen beispielsweise Griechenlands aufgeschoben worden waren. Dementsprechend soll auch Polen keine neuen Forderungen erheben können – zumal es 1953 auf weitere Ansprüche verzichtet hatte und von der Sowjetunion vor allem durch abgetretene deutsche Ostgebiete entschädigt worden war.
Mühsamer Wiederaufbau
Vielerorts gelang es, die Einschnitte innerhalb weniger Jahre zu überwinden. So auch in Dresden, wo die hohen Stückzahlen an Kameras für die Sowjetunion allerdings nur schrittweise erreicht werden konnten. Dem Konstrukteur Siegfried Böhm gelang es aber auch in dieser schwierigen Zeit, parallel die "Praktica" als Modell der Zukunft zu entwickeln. Später erinnerte er sich an wochenlanges Übernachten im Betrieb und pausenloses Arbeiten, meist mit hungrigem Magen. Es war der schwierige Beginn einer großen Erfolgsgeschichte: Als Marke des VEB Pentacon verkaufte sich die "Praktica" bis zum Ende der DDR 1990 schließlich rund 10 Millionen Mal.
Über dieses Thema berichtete der MDR im TV in "MDR Zeitreise" 08.05.2018 | 21:15 Uhr
Dieser Artikel wurde 2018 erstveröffentlicht.